Grüne über die internationale Rolle der EU
Der Konstanzer Kreisverband der Grünen lädt für den 29.4. zu einer Veranstaltung ins Restaurant Steg 4 in Konstanz ein. Thema: „Europa als Friedensmacht? Die Rolle der EU in der internationalen Politik“. Als Podiumsdiskussion angekündigt, handelt es sich natürlich um eine handfeste Wahlveranstaltung, mit der die Partei auf Stimmenfang für die Europawahl am 26. Mai geht. Auf dem Podium sitzt denn auch ein grüner Europakandidat aus Berlin, umrahmt von zwei DozentInnen der Uni Konstanz.
Was zur Sprache kommen soll, beschreiben die Kreisgrünen in der Einladung so: „Im Rahmen der Podiumsdiskussion diskutieren wir die Frage, inwiefern die EU auf der internationalen Bühne Demokratie und Menschenrechte fördern kann und ob sie hierbei einen effektiven Gegenpol zur ‚America First‘-Strategie der US-amerikanischen Trump-Regierung darstellen kann. Wir befassen uns schwerpunktmäßig mit der Rolle der EU in osteuropäischen Ländern, zum Beispiel in Russland und der Ukraine, aber auch in den osteuropäischen Mitgliedstaaten der EU, wo in den letzten Jahren Erosionsprozesse bei der Achtung von Demokratie und Rechtsstaat zu beobachten sind. Wir werden außerdem ebenfalls einen Blick auf die Situation in afrikanischen Ländern werfen, wo die EU potentiell in einen Wettbewerb mit anderen aufstrebenden Mächten, insbesondere China, kommt.“
Als Protagonist des Abends haben die Grünen Dr. Sergey Lagodinsky (Foto) eingeladen, grüner Europakandidat aus Berlin „mit langjähriger Expertise bei den Themen Menschenrechte und Demokratieförderung“. Flankiert wird er auf dem Podium vom Konstanzer Uni-Professor Dr. Wolfgang Seibel („Professor für Innenpolitik und Verwaltungswissenschaft an der Universität Konstanz und Forscher zur Rolle von internationalen Organisationen in Demokratisierungsprozessen“) und Dr. Anja Osei („Forschungsgruppenleiterin im Fachbereich Politik- und Verwaltungswissenschaft der Universität Konstanz und Expertin auf dem Gebiet der Demokratieförderung in afrikanischen Staaten“).
MM/jüg (Foto: Bündnis 90/DIE GRÜNEN Kreisverband Konstanz)
Termin, Ort und Zeit: Montag, 29. April 2019, Restaurant Steg 4, Hafenstrasse 8 in Konstanz, oberer Saal, 19:30 Uhr
Hier in letzter Sekunde noch schnell ein aktueller Video-Hinweis zu einem Kernthema der Podiumsdiskussion mit dem Grünen Kreisverband. Ich zitiere aus der Ankündigung zur Veranstaltung:
(…) “ Wir befassen uns schwerpunktmäßig mit der Rolle der EU in osteuropäischen Ländern, zum Beispiel in Russland und der Ukraine, aber auch in den osteuropäischen Mitgliedstaaten der EU, wo in den letzten Jahren Erosionsprozesse bei der Achtung von Demokratie und Rechtsstaat zu beobachten sind.“ (…)::
ARD Europamagazin, Das Erste Mediathek
Video: Rechtsstaat in Gefahr: Polen, Ungarn – und jetzt Rumänien
Die Leiterin der Korruptionsbekämpfungsbehörde gerät unter Druck, nun hat die rumänische Regierung auch noch per Notverordnung das Korruptionsstrafrecht gelockert. Wie steht es um die Rechtsstaatlichkeit in Rumänien?
28.04.19 | 05:27 Min. | Verfügbar bis 28.04.2020
https://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/europamagazin/videos/Rechtsstaat_in_Gefahr_Polen_ungarn_rumaenien-video-100.html
(…) „Wir haben eine Verfahren gegen Polen und gegen Ungarn. Wir haben besorgniserregende Fälle von Korruption, die sogar zur Ermordung von Journalisten geführt haben. Ich wusste, daß, wenn ich den Kommissionsposten übernehme, es nicht einfach wird. Aber ich habe nicht erwartet, daß es so schlimm wird!“ (Vera Jourová, EU-Kommissarin) —
Nur leichte „Erosionsprozesse“(?), wie die Grünen in ihrer Ankündigung schreiben, oder schon irreversibel und irreparabel zerstört? Wie war es um Substanz, Festigkeit und Nachhaltigkeit von Demokratie und Rechtstaat und deren gesellschaftlicher Institutionalisierung und Etablierung beim EU-Beitritt der Länder bestellt, und wie ist es zu dieser negativen Entwicklung gekommen? Haben EU-Akteure sie mit gefördert und befördert?…
Die Grünen haben eigenartige Färbungen vorgenommen seit ihrer Gründung. Daß sie seit jeher schon die soziale Ausgestaltung lieber anderen Parteien überließen – geschenkt. Von ihrem einstigen beinahe Monopolanspruch als Friedenspartei haben sie sich aber seit dem völkerrechtswidrigen NATO-Einsatz in Jugoslawien, spätestens aber seit ihrer Unterstützung des Ukraine-Putsches endgültig verabschiedet. Wer zur Protektion der Strategie Zbigniew Brzezińskis und der Raffgier Bidens einen rechtswidrigen Aufstand vom Zaun bricht, ist nichts weiter als ein Kriegstreiber. Tausende von Toten wurden einkalkuliert, korrupte Figuren wie Timoschenko unterstützt, ummäntelt von Begriffen wie politische Gefangene und Freiheit.
Selbst bei Fällen wie dem Nadija Sawtschenkos tritt die Janusköpfigkeit dieser ehrenwerten Gesellschaft zutage. Genoß die noch als Kampfpilotin die Unterstützung von Rebecca Harms, stand sie als Inhaftierte des Kiewer Regimes plötzlich völlig alleine da. Menschenrechte, Freiheit, alles nicht mehr ganz so sakrosankt, je nachdem, wer sie verletzt.
Interessant auch die Haltung zu Presse- und Meinungsfreiheit. Einerseits wird der griechische Staatssender ERT in Athen mit Solidarität bedacht. Zweifellos ein ehrbares Unterfangen. Andererseits fordert MarieLuise Beck, „…dass der Verfassungsschutz endlich nachhakt, wer die ominöse „Maren Müllers ständige Publikumskonferenz“ ist, die jede Redaktion bombardiert mit Briefen, Protestbriefen, und so systematisch zu einer gewissen Einschüchterung sogar in den Öffentlich-Rechtlichen führt.“ (http://www.deutschlandfunk.de/marieluise-beck-russland-geht-es-darum-den-glauben-an-die.694.de.html?dram:article_id=346133).
– Der Verfassungsschutz als Freund und Helfer. Helfer gegen eine Initiative, die gegen Framing, Fake-News und einseitige Berichterstattung in den ö/r Medien eintritt und die Einhaltung des Rundfunk-Staatsvertrags einfordert. Das darf man sich gerne auf der Zunge zergehen lassen.
Festzuhalten ist, daß gerade im Fall der Ukraine weder die €U noch die Grünen friedensfördernde Positionen eingenommen haben, im Gegenteil. Es mag ja gut sein, daß die Basis fortschrittlicher tickt als die jeweiligen Vorstände, von denen sich einzelne als Mitarbeiter z.B. von BMW oder Bertelsmann profilieren.
Sieht man sich aber die Aktivitäten der Nese Erikli an, die dieser lokalen Basis verbunden sein sollte, macht sich doch Skepsis breit. Ihr letztes spektakuläres Projekt vor Ort war ein Frühstück mit Verantwortlichen des Konzerns Vonovia. Die Parole „Miethaie zu Fischstäbchen“ würde die Frau doch glatt übertünchen. Eine Wette von mir aus dem Bauch heraus.
Blinde Flecken
Rhetorische Fragestellungen sagen ja meist viel aus über die Betrachtungsweise des in Rede stehenden Gegenstands. Wer wie die Kreisgrünen das internationale Agieren der EU allen Ernstes vom Menschenrechtsgedanken getragen sieht, muss sich entweder der Naivität zeihen lassen oder will die knallharten ökonomischen Interessen verdecken, von denen die Politik des europäischen Staatenbunds geleitet werden. So sind die Eintrübungen im Verhältnis von EU und USA doch nicht entstanden, weil Trump etwa eine Mauer an der Grenze zu Mexiko bauen lassen will, oder anderer Unmenschlichkeiten der US-Administration wegen; in der Flüchtlingsabwehr eifert man der US-Politik schließlich selbst nach. Nein, Brüssel (und Berlin) treibt in erster Linie die Sorge um, durch Trumps wirtschaftliche Abschottungspolitik einen lukrativen Absatzmarkt für europäische Konzerne zu verlieren.
Bezeichnend auch der Blickwinkel auf die „Situation in den afrikanischen Ländern“. Kein Wort über die für die afrikanischen Partner ruinösen EU-Handelsverträge, die dort etwa die einheimische Landwirtschaft zerstören. Stattdessen sorgt man sich – gut neokolonial – um die Gefahr, die dem eigenen geopolitischen und ökonomischen Einfluss von „anderen aufstrebenden Mächten“ (die Chinesen natürlich wieder) ausgeht.
Verräterisch zudem, was erst gar nicht thematisiert wird: Die Beziehungen etwa, die Brüssel mit autokratischen Regimes wie der Türkei pflegt, die immer noch „Vorbeitrittshilfen“ von der EU kassiert. Ein blinder Fleck scheinen für grüne Betrachtungsweisen auch die Bestrebungen insbesondere Frankreichs und Deutschlands zu sein, die Union mit einer eigenen Armee hochzurüsten – Friedenspolitik sieht irgendwie anders aus.
Und bemüht man die Menschenrechte, um über die „Rolle der EU in der internationalen Politik“ zu diskutieren, kommt man ja eigentlich um Frontex nicht herum, jenes gnadenlose Grenzregime des Staatenbundes, das Tausende im Mittelmeer zum Ertrinkungstod verurteilt. Die Kreisgrünen schaffen auch das.
J. Geiger
Bezeichnender Weise kommt die Türkei in der Ankündigung der Podiumsdiskussion – neben Rußland und der Ukraine – nicht vor, obwohl es mit ihr seit Jahrzehnten „tiefe und enge politische und wirtschaftliche Beziehungen gibt.“ (Nato, EU-Assoziierung, Zollunion, Beitrittsverhandlungen etc.; vgl. z.B. auch die diesbezüglichen Äusserungen von Angela Merkel und dem Auswärtigen Amt)
Diese Beziehungen konnten jedoch die Entwicklung hin zur totalen „Führerdiktatur“ nicht verhindern…, die der Machtergreifung durch die Nazis in Deutschland 1933 sehr ähnlich ist. Wie in Russland herrscht auch in der Türkei eine Diktatur, die, bei allen historischen Unterschieden, viele Gemeinsamkeiten mit dem russischen „System“ der Unterdrückung und Repression hat und diesem de facto sehr ähnlich ist (one-man-regime). Auch gibt es durchaus historische Entwicklungsparallelen zu Russland (autokratisches Staatssystem, Verfassung, Zentralstaat, schwache Zivilgesellschaft, Stadt-/Land-Gefälle, Entwicklungsdefizite uvm.). Allerdings wird beschämenderweise nicht offen von Diktatur oder Diktator gesprochen, sondern in euphemistischer Weise lieber von „Autokraten“ oder dem „autokratischen System“ u.ä. (Interessanterweise wird Maduro in Venezuela von deutschen Massenblättern als Diktator bezeichnet, nicht jedoch der artgleiche Zeitgenosse Erdogan, ganz im Gegensatz zur französischen und britischen Presse, die regelmässig „le dictateur“, „sultan“ etc. titelt).
Zur Kompetenz und Einflussmöglichkeit der EU und ihrer Institutionen hinsichtlich Rechtstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechten vielleicht noch ein kleiner, aber nicht ganz unwichtiger Hinweis: Die grössten Geldgeber des Europarats in Straßburg sind die Diktaturen Rußland und die Türkei…! Noch weitere Fragen? Die meisten Verfahren sind gegen Russland und die Türkei anhängig…, die mit Abstand meisten Verurteilungen im Verhältnis zur Bevölkerungszahl hatte die Türkei bereits im Jahre 2007…!
https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/tuerkei-node/bilateral/201968
https://de.wikipedia.org/wiki/Europ%C3%A4ischer_Gerichtshof_f%C3%BCr_Menschenrechte
https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/emrk-egmr-tuerkei-journalisten-verfassungsgericht-guelen/
https://www.bild.de/politik/ausland/politik-ausland/venezuela-diktator-maduro-droht-usa-mit-vietnam-in-lateinamerika-59854284.bild.html#fromWall
Abschliessend hierzu vielleicht am prägnantesten der Newsletter von Can Dündar vom 21. Januar 2019:
„“Liebe Leserin, lieber Leser, – Heute feiert Europa den 50. Jahrestag des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Im Rahmen der EU-Beitrittsverhandlungen gestattete auch die Türkei 1987 allen ihren Bürgerinnen und Bürgern das Recht, sich an den EGMG zu wenden und legitimierte dessen Urteilskraft. Das Gericht ist somit ein Teil des türkischen Justizsystems. Und seither ist der EGMR eine Hoffnungstür für alle Personen, die bis dato von den türkischen Gerichten keine Gerechtigkeit erfahren haben.
Immer noch kommen die meisten Anfragen aus der Türkei und Russland. Vergangenes Jahr hat der EGMR 116 Entscheidungen über die Türkei getroffen. In 99 Fällen wurde ein Verstoß der Menschenrechte festgestellt. Die meisten Urteile wurden gefällt, weil das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren verletzt wurde. Die Anfragen stiegen nach dem Putschversuch am 15. Juli 2016 und dem darauffolgenden Ausnahmezustand rasant – viele hofften, Straßburg könne die Lücke der türkischen Justiz füllen. Schnell erkannte der EGMR aber, dass er unter den 30.000 Anfragen, die nach dem Putschversuch kamen, erdrückt worden wäre. Deswegen setzte man sich mit der Türkei an den Verhandlungstisch und gründete eine Kommission, welche die mit dem Ausnahmezustand verbundenen Anfragen aussortierte – insgesamt waren das circa 28.000 Verfahren. Dem Gerichtshof ist eine Last von der Schulter gefallen und die Türkei konnte der europäischen Justiz entkommen. Verloren haben nur die Menschen, die nach Gerechtigkeit suchten.
Leider geht es hier aber nicht nur um die Arbeitskapazitäten. Die Türkei und Russland – die beiden Länder mit den höchsten Mitgliedsbeiträgen für den Europarat verstoßen auch am häufigsten gegen die Menschenrechte. Es scheint, als gäbe es diese Kommission, weil man die „großen Geldgeber“ nicht verärgern wolle. Aber gehen wir einmal davon aus, der EGMR nimmt die Zusatzarbeit und Geldverluste in Kauf und fällt in den meisten Fällen Urteile – was würde dann passieren?
Die Antwort auf diese Frage hat Präsident Erdoğan bereits vergangenen November gegeben. Als der Gerichtshof die sofortige Freilassung des HDP-Chefs Selahattin Demirtaş gefordert hatte, sagte Erdoğan: „Die Entscheidungen des EGMR gelten für uns nicht. Wir spielen einfach einen Gegenzug und dann hat sich das erledigt.“ Der Gegenzug war, mit einem neuen Gerichtsverfahren die Haftstrafe des HDP-Chefs fortzusetzen. Trotzdem wurde die Türkei dazu aufgefordert, eine Entschädigung von 10.000 Euro an Demirtaş zu zahlen. Das ist eine Kleinigkeit für die Regierung…
Vor diesem Hintergrund haben wir das Recht, uns am 50. Jahrestag zu fragen: „Hat die Existenz des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte überhaupt noch einen Sinn?
Beste Grüße,
Ihr
Can Dündar
ÖZGÜRÜZ
ozguruz.org““
https://ozguruz.de/newsletter-de/
https://ozguruz.de/newsletter-tr/
America First oder EU First ? Ich frage mich ob in diesem Zusammenhang die Freihandelsabkommen der EU mit afrikanischen Staaten thematisiert werden, die sind nämlich auch nichts anderes als EU First.
Wie EU-Demokratieförderung leider nicht funktioniert kann man sich extern während des Regime Change in der Ukraine anschauen. Oder intern im Verhalten der Troika auf die Wahl der Syriza Regierung in Griechenland.
Übrigens bedenklich das FRONTEX demnächst von 280 Grenzpolizisten auf 10000 Soldaten ausgebaut wird. Festung Europa?