Gysi: „Machtwechsel nur mit den Linken möglich“

Er kam, sprach und am Schluss spendeten über 300 BesucherInnen im völlig überfüllten Wolkensteinsaal stehende Ovationen. Gregor Gysi, die Galionsfigur der Linken, zog Interessierte aus allen Bevölkerungsschichten zwischen 18 und 80 an. Seine Einschätzung der bundesdeutschen Politik, die er mit viel Sachkenntnis, aber auch mit Witz und Charme in freier Rede anbot, wurde immer wieder mit Zwischenapplaus bedacht. Seine Botschaft vor Ort war deutlich: Ohne den Einzug der Linken in den Stuttgarter Landtag bleibt Mappus am Ruder.

Der Zeitplan war eng gestrickt an diesem Samstag. Gerade eben hatte Gregor Gysi noch einen ebenfalls viel umjubelten Auftritt in Friedrichshafen und nun wartete schon der Katamaran, um den Politstar der Linken nach Konstanz zu bringen. Er kam pünktlich und Bernhard Hanke, Landtagskandidat der Linken im Wahlkreis Konstanz, atmete hörbar auf. Er hatte diverse Medien, darunter auch den „Südkurier“, zum Pressegespräch mit Gysi eingeladen. Normalerweise lässt sich ein ernst zu nehmendes Blatt so einen Termin nicht entgehen und hievt es auf die Seite drei.

Doch Politikchef Dieter Löffler zog seine ursprüngliche Zusage zurück. Die Weltlage beschäftige ihn gerade außerordentlich und da bleibe wenig Zeit für anderes. Zur Veranstaltung in Konstanz schicke man dann aber einen Mitarbeiter. Mag auch sein, dass Redakteur Löffler sich plötzlich daran erinnert hat, was er schon mal in einem Leitartikel über die Linken hat verlauten lassen: Besser sei, es gäbe sie nicht. So einfach kann seriöse Berichterstattung sein….

An Bord wurde Gregor Gysi von allen Passagieren freundlich begrüßt. Autogrammwünsche erfüllte er gerne, für ein kleines Fotoshooting mit einer Familie nahm er sich ebenfalls Zeit. Lange erinnern an den prominenten Gast wird sich wohl die Bedienung. Denn der unermüdliche Wahlkämpfer für die Linken verzehrte zu seinen Bockwürsten sage und schreibe acht (!) Tüten Senf. Dennoch blieb für seemoz ausreichend Gelegenheit, mit Gysi ein Gespräch zu führen. Hier die wichtigsten Auszüge:

Zum derzeitigen Topthema: Die Laufzeitverkürzung der AKW. Viele vermuten, das sei nur eine Hinhaltetaktik, um irgendwie die nächsten Landtagswahlen zu überstehen.

Da ist natürlich was dran. Die Union wird einige alte Meiler ganz vom Netz nehmen und da vor allem jene, die nur noch schwer auf einen Sicherheitsstand zu bringen sind. Im Übrigen wird sie vesuchen, die Profite der Atomlobby zu sichern und die Anlagen dann weiter laufen zu lassen. Sie sagen, sie bräuchten die drei Monate zur Sicherheitsüberprüfung. Da stellt sich die Frage: Was haben die eigentlich gemacht, bevor sie die Laufzeiten verlängerten, wenn sie nichts überprüft haben? Klar ist doch: Eine Katastrophe in einem Atomkraftwerk ist in den Folgen gleich wie eine Atombombe. Die Unterscheidung zwischer friedlicher und unfriedlicher Nutzung der Kernenergie taugt diesbezüglich gar nichts. Und eines müssen wir als Menschen immer wissen: Wir dürfen jede moderne und neue Technologie anwenden, aber nur, wenn wir sie auch in der Katastrophe beherrschen. Und ein Atomkraftwerk in der Katastrophe beherrschen wir nicht. Das sieht man jetzt in Japan ganz deutlich, wo sich gerade entscheidet, ob es nicht nur einen GAU, sondern einen SUPERGAU gibt.

Wenn es zu einem Supergau kommt, wird das furchtbar, furchtbar für die Japaner und deren Nachbarländer. Man kann nur noch hoffen, dass ein Wunder geschieht. Aber wir müssen raus aus der Atomenergie und zwar so schnell wie möglich. SPD und Grüne wollen ja ihren alten Kompromiss durchsetzen. Etwas schneller beim Ausstieg – die SPD spricht von einem Jahrzehnt. Ich finde das viel zu lange. Die acht ältesten und pannenreichsten Meiler müssen sofort vom Netz. Das geht, weil wir sowieso einen Energieüberschuss produzieren und für die anderen AKW brauchen wir bis Ende April einen Gesetzentwurf, wie wir so schnell wie möglich aussteigen und wie wir das ersetzen mit anderen Energieformen. Dann brauchen wir natürlich einen Schub bei erneuerbaren Energien, wir brauchen ein neues Konzept. Das müssen wir erarbeiten mit unabhängigen Wissenschaftlern, mit Umweltverbänden, mit kommunalen Energieversorgen und nicht mit der Atomlobby, wie das bisher immer geschehen ist. Ich glaube, einen anderen Weg gibt es nicht. Das nukleare Industriezeitalter muss sein Ende nehmen.

In einer Woche sind Wahlen in Baden-Württemberg. Glaubt man den Meinungsumfragen, dann könnte die Linke bei allem Engagement knapp scheitern. Weder Stuttgart 21 noch die AKW-Diskussion bringt den Linken Stimmen. Es sind wohl eher die Grünen, die davon profitieren.

Ich glaube nach wie vor, dass wir die fünf Prozent schaffen. Es herrscht soviel Leidenschaft hier im Wahlkampf, dass ich davon überzeugt bin, dass unsere Wählerinnen und Wähler als Multiplikatoren wirken. Die werben noch ihre Nachbarn und Freunde und ihre Kolleginnen und Kollegen und das ist immer ganz wichtig. Dazu kommt: Die Leute wissen, dass es Ende nächster Woche doch so sein kann, dass FDP und Union eine knappe Mehrheit haben gegenüber SPD und Grünen. Und nur wenn wir einziehen, wird Mappus verlieren. Umfragen sind ja zum Teil auch politisch gesteuert. (….) Richtig ist, durch S 21 haben wir nicht so gewonnen wie die Grünen, aber wir sind auch nicht schwächer geworden. Nach meiner Bundestagsrede zur Kernenergie habe ich auch viele Briefe aus Baden-Württemberg bekommen, in denen ich lesen konnte, dass ich der einzige war, der nicht polemisch war und auch der einzige war, der wirklich die Sache behandelt hat und zwar so konkret wie kein anderer.

Kurzer Themenwechsel. Sie haben sich zusammen mit der Regierung gegen einen Einsatz in Libyen ausgesprochen. Warum das?

Deutschland hat Gaddafi über lange Jahre mit aufgerüstet. Zuerst mit der Genehmigung von Grünen und SPD und dann auch von Union und FDP – aber nicht mit unserer Einwilligung. Jetzt heißt die Antwort Krieg. Plötzlich sagt die SPD, Deutschland muss zustimmen und die Grünen eiern vollständig rum. Wir haben eine klare Position: Krieg ist nie eine Lösung. (….) Aber nochmal zurück zur Wahl nächste Woche. Wenn wir einziehen in den Landtag, dann hat Mappus keine Mehrheit mehr. Eine bessere Garantie gibt es gar nicht.

Es riecht nach einer rosarot-grünen Mehrheit. Würde die Linke, wenn sie denn im Landtag ist, diese Mehrheit tolerieren?

Die SPD hat doch im Kern nur eine Möglichkeit. Entweder sie bietet eine Alternative zur Union oder sie rennt zur Union. Wenn sie das tut, macht sie sich unmöglich, da jetzt nach fast 58 Jahren erstmals ein Regierungswechsel greifbar nahe ist. Sie wird nicht gewählt, damit Mappus Ministerpräsident bleibt. Das wäre politisch ein gravierender Fehler und verheerend für die SPD. Der Fraktionsvorsitzende der SPD hat übrigens gesagt, er würde nicht mal eine Koalition mit uns ausschließen. Also die Meinungen gehen da auch recht durcheinander. Ich persönlich bin ja auch nicht gerade ein Fan von Tolerierungen. Weil Tolerierung bedeutet immer, du haftest für die Regierungspolitik mit, hast aber nichts zu sagen. Das ist etwas, was ich gar nicht mag. Dann lieber

richtig. (….) Erst mal wird gewählt und wenn es eine Alternative zu Mappus gibt, muss das genutzt werden. Wir brauchen gerade jetzt den Politikwechsel, nicht erst in fünf Jahren. Und einen Wechsel wird es nur geben, wenn die Linke in den Landtag einzieht.

Nochmal zurück zur Energiefrage. Wenn diesbezüglich wirklich ein schneller Ausstieg aus der Atomenergie vollzogen werden soll, würde das Kosten von rund 200 Milliarden Euro verursachen.

Nicht unbedingt. Die ältesten könnten alle abgeschaltet werden und dann würden wir nur auf den Export von Energie verzichten und könnten die eigene Versorgung garantieren. Ich wiederhole mich da ganz bewusst: Bei den restlichen Meilern brauchen wir schnell ein Gesetz, weil in Baden-Württemberg und Bayern Folgen eintreten könnten, wenn es diese AKW dort nicht mehr gäbe. Also brauchen wir eine bessere Energiespeicherung, eine Wende hin zu erneuerbaren Energien. Das muss Schritt für Schritt erfolgen und ich möchte vor allen Dingen, dass dieses Gesetz einschließlich der Fristen und Zeiten erarbeitet wird mit unabhängigen Fachleuten, die schon seit Jahren damit beschäftigt sind.

Die einen sagen, wir könnten 2015 ganz raus sein aus der Atomenergie, die anderen sagen, das ginge schon 2013. Mit solchen Leuten muss man kooperieren, damit das Ganze so schnell wie möglich funktioniert. Dazu brauchen wir natürlich generell Steuergerechtigkeit und wir brauchen auch mehr Energieeffizienz und ich darf die Leute nicht weiterhin dafür bestrafen, wie das die Energiekonzerne tun: Das ist doch irre – wenn du weniger Strom verbrauchst, wird dein Strom teurer. (…) Da gibt es vieles umzusetzen und dabei möchte ich nicht nur die Lobbyisten mit im Boot haben, die nur bestimmte Profitinteressen im Kopf haben, sondern Leute, die das Problem wissenschaftlich und sachlich angehen. Die muss man hinzuziehen und dann muss auch ein dementsprechendes Gesetz her.

Aber müssen wir nicht auch über den Tellerrand hinaus schauen? Was nützt es uns, wenn wir hierzulande neue Wege gehen, aber unsere Nachbarn wie Frankreich oder die Schweiz bedingungslos an der Atomenergie festhalten? Wie könnte eine gesamteuropäische Lösung aussehen?

Wir müssen hier einen Weg gehen, national und so schnell wie möglich. Erst dann haben wir international eine ganz andere Stimme. Wenn wir ein solches Gesetz verabschiedet haben und wir dann mit den Franzosen oder den Polen sprechen – denn auch dort gibt es Bewegung – und wir somit ein Vorbild sind, dann lösen wir europaweit was aus. Wenn wir warten, bis andere reagieren, wird es keine entscheidende Bewegung geben. Wir müssen erstmal den eigenen Weg gehen und damit den internationalen Druck erhöhen.

Das Gespräch mit Gregor Gysi führte Holger Reile

Fotos: H.-P. Koch