Hämmerle: Asylbewerber sind „richtig wichtig“
In der von der Partei Die Linke angeregten Debatte über die Situation der Flüchtlinge im Landkreis Konstanz, die sich in der letzten Kreistagssitzung entspann, gab es kaum Kontroversen: Alle waren sich einig, dass der Landkreis, der unter dieser Aufgabe ächzt, sein Bestes gibt, doch die Verwaltung hatte nur eine düstere Sicht auf die nahe Zukunft zu bieten
Als „eine der größten Herausforderungen für alle und richtig, richtig wichtig“ bezeichnete Landrat Frank Hämmerle das Problem der explodierenden Asylbewerberzahlen und warnte schon vor der nächsten Zukunft. Nach seinen Angaben ist er sich nicht einmal mehr sicher, ob der Landkreis in den nächsten Monaten überhaupt noch alle ihm zugewiesenen Flüchtlinge unterbringen kann.
Er hält einige Änderungen in der Flüchtlingspolitik für unerlässlich: Erstens möchte er die Kosten für Flüchtlinge wieder wie früher nicht aus der Kasse des Landkreises bezahlen, sondern direkt auf Konten des Landes Baden-Württemberg buchen. Flüchtlingsunterbringung ist nämlich eigentlich Sache des Landes, die dieses zwar an die Landkreise delegiert hat, aber nicht ausreichend bezahlt, so dass etwa der Landkreis Konstanz auf jährlich zwei Millionen Euro der Kosten sitzen bleibt. Zweitens fordert Hämmerle eine gleichmäßigere Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der EU – nach seinen Angaben nimmt allein Baden-Württemberg mit rund 19.000 Flüchtlingen in diesem Jahr etwa sechs- bis siebenmal so viele Flüchtlinge auf wie ganz Spanien.
Deutschland als Einwanderungsland
Hämmerle sieht Deutschland aufgrund seiner demographischen Entwicklung als Einwanderungsland, das auch Asylbewerber herzlich willkommen heißen muss, und fordert deshalb ein deutsches Einwanderungsgesetz. Was er sich davon verspricht (etwa, dass Deutschland nach australischem Vorbild bevorzugt Akademiker mit einer technischen Ausbildung aufnimmt und Kriegsflüchtlinge außen vor lässt?), ließ er offen. Er machte allerdings den Eindruck eines auch persönlich betroffenen Menschen, dem reine Nützlichkeitserwägungen angesichts des derzeitigen Elends eher fremd sind. Hämmerles eher hilfloses Fazit: „Politik und Parteien müssen Antworten geben.“
Die Stimmung ist umgeschlagen
Die sachliche Debatte ließ einen bemerkenswerten Wandel in der Einstellung Flüchtlingen gegenüber spüren. Die Fernsehbilder von Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlingen im Nahen Osten und von deren massenhaftem Sterben im Mittelmeer haben dazu beigetragen, dass Flüchtlinge heute nicht mehr als Schmarotzer im Gelobten Land, sondern als bedauernswerte Elendsgestalten wahrgenommen werden, und dass auch in breiteren Kreisen der Bevölkerung mittlerweile akzeptiert wird, dass viele dieser Menschen lange oder gar auf Dauer in Deutschland bleiben müssen.
Andreas Hoffmann (CDU) erinnerte ausdrücklich an jene, die bereits seit 10 Jahren in Deutschland geduldet werden und vergegenwärtigte die Probleme von Familien, die nach Jahren aus der Gemeinschaftsauskunft ausziehen und sich dann mit dem Gegenwert von Hartz IV ein komplett neues Leben aufbauen müssen. „Diese Menschen sind willkommen! Es sind auch viele gut Ausgebildete dabei, die schnell arbeiten wollen!“ In eine ähnliche Kerbe hieb Siegfried Lehmann (Grüne), der neben speziellen Arbeitsmarktprogrammen auf Schul- und Gesundheitsangebote als wichtigste Integrationsmittel verwies. Typisch für einen FDPler versuchte sich Jürgen Keck in ziemlich dreister Lobbyarbeit, indem er Mobilheime eines bestimmten Unternehmers als Flüchtlingsunterkünfte andiente; aber er wurde von Hämmerle ausgekontert, „wir wollen die Menschen richtig unterbringen“.
Turnhallen als Notunterkünfte?
Die Linke, die mit ihrer Anfrage die Aussprache ins Rollen gebracht hatte, konnte mit der informativen schriftlichen Antwort des Landrates durchaus zufrieden sein (s. seemoz von gestern), Hans-Peter Koch sah aber noch einige Punkte unerledigt und fragte daher nach. Auf seine Frage, ob auch an die eher menschenunwürdige Unterbringung in Turnhallen gedacht sei, antwortete Frank Hämmerle, Not kenne kein Gebot, und selbstverständlich prüfe man auch diese Möglichkeit ebenso wie die, leerstehende Gebäude nach dem Polizeigesetz gegen Entschädigung zu nutzen.
In diesem Zusammenhang verwies er darauf, dass nicht damit zu rechnen sei, dass die jedem Asylbewerber ab 1.1.2016 zustehende Fläche von 7,5 Quadratmetern erreicht werde, so viel Platz sei einfach nicht da. Mit den derzeit 4,5 Quadratmetern im Landkreis Konstanz stehe man etwa im Vergleich zu Karlsruhe mit 3 Quadratmetern sogar noch gut da. Außerdem hofft er von Bundesseite auf Erleichterungen im Baurecht, so sei beispielsweise die derzeit erforderliche Zahl der Autostellplätze für solche Einrichtungen einfach viel zu hoch und solle eher der von Altenheimen angeglichen werden. Außerdem versicherte der Landrat, und auch danach hatte ihn HP Koch gefragt, dass es im Landkreis Konstanz keinerlei Wachdienste in Flüchtlingsunterkünften gibt, wie sie ja jüngst erst in Nordrhein-Westfalen durch die Misshandlung von Flüchtlingen aufgefallen sind.
Neue Linie hat die Lösung
Die Neue Linie machte ihrem Namen alle Ehre und hatte als einzige Partei im Kreistag eine ebenso konkrete wie originelle Lösung dafür parat, wie und vor allem wo man Flüchtlinge denn am besten unterbringen könne. Marion Czajor erinnerte sich, dass weite Landstriche in den östlichen Bundesländern 25 Jahre nach dem Ende der DDR verlassen sind und schlug vor, Asylbewerber doch dort unterzubringen, denn da finde sich Platz genug.
Landrat Hämmerle sei dafür bewundert, mit welcher Ruhe und Sachlichkeit er Frau Czajor belehrte, die Verteilung von Flüchtlingen auf die Bundesländer erfolge nach dem Godesberger Schlüssel, an dem zumindest er nichts ändern wolle, und Integration sei nicht nur Sache von Mecklenburg-Vorpommern, sondern unser aller Gemeinschaftsaufgabe. Etliche Kreisrätinnen und -räte nämlich wanden sich bei Frau Czajors Redebeitrag vor Peinlichkeit in ihren Sesseln wie Würmer am Angelhaken, „Ostsiedlung“ und „Slawenmission“ glucksten einige höhnisch in sich hinein, und eine durchaus bürgerlich-behäbige Person im Publikum murmelte halblaut vor sich hin: „Nach der Revolution fährt der Zug nach Sibirien aber nicht los, ehe nicht diese Frau an Bord ist.“[modal id=“19250″ style=button color=default size=default][/modal]
Autor: O. Pugliese