Hanau liegt auch am Bodensee

Lina Seitzl, die Vorsitzende der SPD Konstanz, und der LLK-Stadtrat Simon Pschorr haben Pressemitteilungen zum Attentat in Hanau herausgegeben, in denen sie die rassistischen Morde nicht nur als das Verbrechen eines wirren Einzeltäters einordnen, sondern auch auf gefährliche Tendenzen vor Ort verweisen. Danach sind Rechtsradikalismus und Rassismus im Alltag immer stärker spürbar und müssen von uns allen täglich zurückgewiesen werden. Hier die beiden Mitteilungen im vollen Wortlaut.


Lina Seitzl (SPD Konstanz)

Hakenkreuze in der Konstanzer Opelstrasse, antisemitische Schreiben in Briefkästen, Antisemiten wie Wolfgang Gedeon in der Landespolitik, „Wodans Erben Germania“ auf einem Bauernhof in Wallhausen, die Reichsbürgerszene und ihre Radwegsschmiererei „Haager Landkriegsordnung“, der Dritte Weg, ein Konstanzer Bundestagsabgeordneter Andreas Jung, dem wider besseren Wissens die Lieder des Antisemiten und Nazipropagandisten Willi Hermann nicht im Halse stecken bleiben u.v.m.

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Die Liste von Personen und rechtsradikalen Gruppierungen und ihrer Aktivitäten in der Bodenseeregion wird länger und folgen kurzfristiger aufeinander. Der Umgang der Politik bleibt – vorsichtig ausgedrückt – unbedacht, ist sogar in der Art jungscher Banalisierung von Antisemiten und Rechtsradikalismus höchst gefährlich. Früher sind Politiker dafür zurückgetreten.

Keine Demokratin und kein Demokrat kann mehr ignorieren: Rechtsradikalismus, Volksverhetzung und Antisemitismus gibt es in Konstanz und am Bodensee. Die Bodenseeregion ist kein Hort demokratischer und rechtsstaatlicher Glückseligkeit. Es gibt eine sehr aktive rechte Szene. Bezüglich des Antisemiten und Komponisten von Fastnachtsliedern Willi Hermann wird zu diskutieren sein wie einst über den Antisemitismus eines Richard Wagner. Das sind keine Unkenrufe, das ist Wirklichkeit.

Die SPD fordert

– alle demokratischen Bürgerinnen und Bürger auf, sich aktiv in ihrem Umfeld für Demokratie, Rechtstaatlichkeit, Solidarität und Menschenwürde einzusetzen. Bei allen Alltagsherausforderungen, die es gibt, darf es keine Bagatellisierung von Ausländerfeindlichkeit geben. An eine AfD darf man sich nicht gewöhnen.

– Solidarität mit den Opfern von Hanau und Halle und allen Opfern rechten Terrors.

– alle gesellschaftlichen Kräfte, insbesondere die kommunalen und städtischen Kulturschaffenden, auf, in ihrer Arbeit und ihren Produktionen diese Entwicklung zu thematisieren.


Simon Pschorr (Linke Liste Konstanz)

Der Täter von Hanau hat getötet, weil er Rassist ist. Doch diese Tat gilt uns allen. Sie gilt uns allen, weil wir uns nicht einer Herrschaft der ach-so-überlegenen weißen Rasse beugen wollen. Sie gilt uns allen, weil wir Menschen ungeachtet ihrer Herkunft willkommen heißen und sie nicht zum Objekt von Hass und Hetze machen. Sie gilt uns allen, weil sie zeigt, wozu Rassisten in der Lage sind, um uns ihr menschenverachtendes Weltbild aufzuzwingen. Ich sage Rassisten, weil das nicht ein „Einzeltäter“ war in Hanau. Es gibt keine „Nazi-Einzeltäter“. Diese Verbrecher glauben sich als Teil einer Gemeinschaft und zehren von der gleichen Ideologie. Das ist mein Appell an Polizei, Justiz und Politik: Lasst das Narrativ vom Einzeltäter endlich fallen.

Legt stattdessen alle Erkenntnisse offen, die wir über die bisherigen Verbrechen haben! Gebt uns die Unterlagen zum NSU. Zeigt uns die Erkenntnisse zu Uniter. Gebt frei, was ihr über „Wodans Erben Germania“ wisst. Lasst die vielen engagierten Antifaschistinnen und Antifaschisten dabei helfen, die Verbindungen zu finden, damit wir weitere schreckliche Verbrechen frühzeitig verhindern können.

Bis dahin müssen wir jede Minute daran arbeiten, rassistisches Gedankengut zu bekämpfen. Die Täter wie der Mörder von Hanau sind überzeugte Rassisten, die in ihrer irren, von Wahnvorstellungen geprägten Welt leben und Vernunft nicht an sich heranlassen. Aber: Diese Gedankenwelt entsteht nicht einfach im abgeschlossenen Kämmerlein. Sie entsteht im Internet, sie entsteht in der Bildzeitung und sie entsteht im Alltag. Wenn in der Kaffeerunde über den faulen türkischen Kollegen hergezogen wird. Wenn auf der Straße die rumänische Bettlerin als Zigeunerin beschimpft wird. Wenn das Singen von Liedern eines Nazimörders wieder akzeptabel ist, weil „die schlimmen Dinge ja schon so lange her sind“. Rassismus wächst, wenn er „ja wohl noch gesagt werden darf“. Wir müssen im Alltag den Rassisten die Stirn bieten. Und besonders auf politischer Bühne dürfen wir Rassisten keine Spielchen erlauben. Thüringen hat gezeigt, wie sich bürgerliche Parteien von den Rassisten der AfD vorführen lassen – bloß um der Macht willen. Diese Experimente hatten wir schon einmal. 1933. Und auch damals kam der Rassismus nicht plötzlich von oben. Er kam aus der „bürgerlichen Mitte“. Für mich gibt es dazu nur eins zu sagen: Nie wieder!


MM (Fotos: SPD Konstanz, D. Schröder)