Hannes Heer: Die Wehrmacht beim Judenmord
Am 22. Juni 1941 überfiel die deutsche Wehrmacht die Sowjetunion. Der Historiker, Publizist und Ausstellungsmacher Hannes Heer geht in seinem Vortrag am 27. Oktober 2021 in Konstanz der Rolle der Wehrmacht beim Judenmord in der Periode der Anfangsverbrechen im Juni/Juli 1941 nach. Als Leiter der ersten Wehrmachtsausstellung war es ihm bereits maßgeblich zu verdanken, dass der Mythos der „sauberen Wehrmacht“ zerstört werden konnte.
Der Anteil der hitlerhörigen Wehrmachtsführung an der Erziehung zum Rassenhass
Nur wenige Tage nachdem ihm die Macht übertragen worden war, lud Adolf Hitler am 3. Februar 1933 die Befehlshaber des Heeres und der Marine ein und präsentierte den Vorschlag zu einem Pakt zwischen NSDAP und Reichswehr: Für die Zusicherung, der einzige Waffenträger der Nation zu sein, die versprochene Revision des verhassten Versailler Vcrtrages und Deutschlands Wiederaufstieg zur Großmacht forderte Hitler im Gegenzug Unterstützung bei der „Eroberung neuen Lebensraums im Osten“ und die Tolerierung seiner Politik im Inneren.
Was das unter anderem hieß, hatte er bereits 1925 in „Mein Kampf“ erklärt: „Der Jude ist und bleibt der ewige Parasit im Körper anderer Völker […], ein Schmarotzer, der wie ein schädlicher Bazillus sich immer mehr ausbreitet. […] Wo er auftritt, stirbt das Gastvolk nach kürzerer oder längerer Zeit ab.“
Was folgte, war ein Geben und Nehmen in beiderseitigem Interesse. Hitler schuf im Mai 1933 die zunächst noch geheime deutsche Luftwaffe. Die Reichswehr verbreitete während der Ausbildung der Rekruten „Führerworte“ und Auszüge aus Reden und Schriften prominenter Parteifunktionäre. Bis Ende Februar 1934 entfernte sie alle jüdischen Offiziere und Soldaten aus der Truppe; Offizieren war zudem die Ehe mit Jüdinnen als „Rassenschande“ verboten. Mit dem Gesetz zur Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht vom 16. März 1935 – nach der Schaffung der Luftwaffe ein weiterer Bruch des Versailler Vertrages – wurden schließlich alle „Nichtarier“ vom Wehrdienst ausgeschlossen.
Die von der Wehrmachtsführung systematisch betriebene Indoktrination von Offizieren und Rekruten im Sinne des Nationalsozialismus offenbart sich auch in deren „Schulungsheften“, die im Frühjahr 1939 verkündeten: „Wir Deutsche kämpfen heute einen doppelten Kampf. Den nichtjüdischen Völkern gegenüber wollen wir nur unsere Lebensinteressen durchsetzen. Das Weltjudentum aber bekämpfen wir wie einen giftigen Parasiten. Dieser Kampf ist ein sittlicher Kampf für die Reinheit und Gesundheit des gottgeschaffenen Volkstums und für eine neue gerechtere Ordnung in der Welt.“
Die Wehrmacht als Vorhut der SS-Einsatztruppen
Das antisemitische Vokabular radikalisierte sich in der Planungsphase des Überfalls auf die Sowjetunion weiter. Im März 1941 nannte Hitler den „jüdischen Bolschewismus“ als zukünftigen Gegner. Woraufhin der Oberbefehlshaber des Heeres, Walther von Brauchitsch, seine Kommandeure entsprechend instruierte: „Die Truppe muß sich darüber klar sein, daß der Kampf von Rasse zu Rasse geführt wird.“ Beim Einmarsch der Wehrmacht am 22. Juni 1941 verfügten die auf Rassenhass eingeschworenen Truppen über sogenannte Volkstumskarten, in denen nicht nur die Einwohnerzahlen der Dörfer und Städte am Marschweg, sondern auch der Anteil der Juden und die Zahl der Synagogen angegeben waren. Dieses Wissen erlaubte es den Panzer- und Infanteriedivisionen, in den Gemeinden die männlichen Juden auf die zentralen Plätze zu treiben, ihnen ihr Schicksal zu verkünden und dann 20 bis 70 Juden stellvertretend zu erschießen. Ab Juli/August 1941 übernahmen dann die SS-Einsatzgruppen die Aufgabe der Vernichtung aller Juden.
Text: Sabine Bade
Foto: Ulrike Deuscher
Hannes Heer: „Sommer 1941: Die Wehrmacht beim Judenmord“
Termin: 27. Oktober 2021. Uhrzeit: 19.30 Uhr. Ort: vhs Konstanz, Astoria-Saal.
Eine Veranstaltung der Initiative „Stolpersteine für Konstanz – Gegen Vergessen und Intoleranz“ in Kooperation mit der Heinrich Böll Stiftung Baden-Württemberg und der
Volkshochschule Landkreis Konstanz e.V.
Geboren 1941 in Wissen/Sieg. Studium der Geschichte und Literatur in Bonn, Freiburg und Köln. 1968 Staatsexamen an der Universität Bonn. Wegen seiner Aktivität im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) keine Zulassung als Referendar zum Schuldienst. 1970 bis 1972 Aufbaustudium in Volkswirtschaft an der Universität Bonn. Arbeit als Rundfunkautor. Lehraufträge und Forschungsprojekte an der Universität Bremen. 1980 bis 1985 Dramaturg und Regisseur am Deutschen Schauspielhaus Hamburg und an den Städtischen Bühnen Köln. 1985 bis 1992 Dokumentarfilme für ARD und ZDF. 1993 bis 2000 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hamburger Institut für Sozialforschung und Leiter des Ausstellungsprojektes „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“. Für diese Leistung wurde er 1997 stellvertretend für das Autorenteam der Ausstellung mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille ausgezeichnet. 2004/2005 zusammen mit Petra Bopp und Peter Schmidt Ausstellung „Viermal Leben. Jüdisches Schicksal in Blankenese“. 2006 zusammen mit Jürgen Kesting und Peter Schmidt Ausstellung „Verstummte Stimmen. Die Vertreibung der ‚Juden’ aus der Oper 1933 bis 1945“. Zahlreiche Publikationen zur Geschichte von Nationalsozialismus, Krieg und Nachkriegserinnerung, zuletzt im Jahr 2020 zusammen mit Christian Streit „Vernichtungskrieg im Osten – Judenmord, Kriegsgefangene und Hungerpolitik“. Mehr: www.hannesheer.de.