Hans Robert Jauß: Das bittere Ende einer Legende
Der weltweit bekannte Romanist und Literaturwissenschaftler Hans Robert Jauß (1921-1997) galt lange Jahre als Vorzeigeprofessor der Universität Konstanz. Zwar wusste man über seine Mitgliedschaft bei der Waffen-SS schon in den späten 1970-er Jahren, aber in Konstanz wurde sie lange gedeckelt und herunter gespielt. Nun liegt eine wissenschaftliche Dokumentation vor, die das Denkmal Jauß vom Sockel holt.
Nachdem Gerd Zahners szenische Lesung zum Fall Jauß im November 2014 für viel Furore und heftige Diskussionen gesorgt hatte, reagierte Ulrich Rüdiger, Rektor der Universität Konstanz, umgehend. Er beauftragte den Potsdamer Historiker Jens Westemeier mit weiteren Nachforschungen, um die Lücken in der Biografie über Hans Robert Jauß (s. Foto) zu schließen. Westemeier durchforstete Archive, unter anderem auch in Tschechien, Polen und Serbien, und trug am Mittwochabend vor rund 150 Interessierten eine Zusammenfassung seiner 138-Seiten langen Dokumentation im Audimax der Universität vor.
Schnelle Karriere
Jauß, so Westemeier, war „ politisch hoch ideologisiert“, und sei schon bei der Hitlerjugend durch seine „Führungsqualitäten“ aufgefallen. Als einer von wenigen HJ-Führern, die geschult wurden, stieg er aufgrund seiner nationalsozialistischen Überzeugung rasch zum Oberjungzugführer auf. Im Alter von 17 Jahren trat Jauß der SS bei, wurde 1941 zum SS-Untersturmführer befördert und somit innerhalb kurzer Zeit Mitglied im inneren Zirkel des SS-Führercorps. 1942 kämpfte Jauß mit der Freiwilligen Legion Niederlande an der Ostfront und war Teil der Heeresgruppe Nord, die über zwei Jahre lang die Stadt Leningrad blockierte und aushungerte, wobei über eine Million Leningrader ihr Leben verloren. 1947 erklärte Jauß bei seinem Spruchkammerverfahren, von durch die Waffen-SS verübten Kriegsverbrechen sei ihm nichts bekannt und nur „mitunter“ habe er etwas aus diversen Mitteilungsblättern darüber erfahren. Für den Einsatz vor Leningrad erhielt Jauß das von Hitler gestiftete Deutsche Kreuz in Gold und die Nahkampfspange in Bronze.
„Immer vorne mit dabei“
Hans Robert Jauß führte im Herbst 1943 eine Kompanie in Kroatien im sogenannten Partisanenkampf. Seine Gruppe war nachweislich beteiligt an Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung. Vier Dörfer wurden niedergebrannt, Menschen starben, eine ganze Region wurde von der SS verwüstet und ausgeplündert. Eine individuelle Tatbeteiligung, beispielsweise bei Deportationen oder Massakern, so Westemeier, könne man Jauß zwar nicht nachweisen, „aber er hatte Führungsverantwortung, wusste, was geschah und war vorne mit dabei“. Noch vor Ort wurde der schneidige SS-Mann am 9. November zum Obersturmführer ernannt. Im Mai 1944 folgte Jauß` Versetzung an die Junkerschule nach Kienschlag bei Prag, wo er Chef der wallonisch-französischen Inspektion wurde. Seine Aufgabe bestand hauptsächlich darin, weltanschaulichen Unterricht zu erteilen und das nationalsozialistische Weltbild der ihm anvertrauten Junker zu formen und zu festigen. Bei seinen Vorgesetzten kam Jauß gut an, mit dem Resultat, dass er mit knapp 23 Jahren zum SS-Hauptsturmführer befördert wurde, was in diesem Alter nur ganz wenigen gelang. Eine Blitz- und Bilderbuchkarriere im NS-Staat.
Jauß: Der Lügner und Fälscher
Nach Kriegsende im Herbst 1945 wollte sich Jauß an der Bonner Universität immatrikulieren lassen, legte aber, so die Recherchen Westemeiers, „gefälschte Dokumente“ vor. Er versuchte, seine SS-Zugehörigkeit zu verschleiern und „log hartnäckig“. Die Abschrift der Bestätigung des Rektors der Prager Universität vom März 1945, in der zu lesen war, dass Jauß zwei Semester dort studiert haben soll, war ebenfalls gefälscht, denn der Rektor hatte sich bereits im August 1944 das Leben genommen. Im Dezember 1945 stellte sich Jauß den britischen Besatzungsbehörden und wurde interniert. 1947 verurteilte ihn eine Spruchkammer zu einer „Sühne“ über 2000 Reichsmark, da er „Angehöriger einer verbrecherischen Organisation“ gewesen sei. Westemeiers Fazit: Hans Robert Jauß „war kein normaler Soldat“, vielmehr „Mitglied einer Terrorgruppe“, stets „ein aktiver Führer“ mit einer „stimmigen und stringenten SS-Karriere“. Alles andere käme einer unzulässigen Bagatellisierung gleich.
Unter den Talaren…
Bei der anschließenden Diskussion stolperte ehemalige Uni-Prominenz ins Bild. Und da vor allem der Althistoriker Wolfgang Schuller und die ehemaligen Rektoren Horst Sund und Bernd Rüthers, die glaubten, Unheil abwenden zu müssen von ihrem ehemaligen Kollegen. Deren Auftritte allerdings gerieten zu einer fast schon bemitleidenswerten Farce. Schuller kritisierte Westemeiers Vortrag und zweifelte sinngemäß an dessen Seriosität. Rüthers, Jahrgang 1930, geißelte das Gehörte als „postmortale Persönlichkeitsverletzung“ und Sund erinnerte sich an seine eigene Zeit bei der Hitlerjugend, die er zur allgemeinen Verwunderung des Publikums mit der heutigen Pfadfinderbewegung verglich. Politisch sei die HJ seiner Erinnerung nach nicht gewesen: „Wir waren viel draußen und haben eigentlich nur Sport getrieben“.
H. Reile
Die Westemeier-Dokumentation kann hier heruntergeladen werden.
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Früher gab es den Ausspruch: „Aber der Existentialist fragt warum?“ Wer die aktuellen Medien studiert, sieht auch manchmal den Hinweis auf einen angeblich „linken“ Professor. Ich bin da vorsichtig: Bei der SS hatte Jauß Tarnen und Täuschen gelernt. Und er war einer ihrer Besten! Autor Gerd Zahner hat den Stier bei den Hörnern gepackt und Jauß mit seinen eigenen Waffen der „Konstanzer Schule“ überführt. Und Dr. Westemeier kam zum Ergebnis. „Der von Jauß tradierte Narrativ stimmt mit der Forschungslage nicht überein.“ Seine Zeitgenossen erzählen uns, welche Wandervögel und Sportkanonen die HJler waren. Sollen wir ihnen glauben, wie unpolitisch die Nachwuchsförderung der Nazis war? Das Tarnen und Täuschen nimmt kein Ende . . .
Man fragt sich auch, warum so jemand dann später ausgesprochen linke Ansichten und Theorien entwickelt hat. Tarnung? Kompensation? Anpassung?
Vor diesen Hindergrund sollte man sich viele Produkte deutscher Geisteswissenschaftler bis heute genauer anschauen. Denn sie stehen in dieser Tradition.