Heckler & Koch vor Gericht

Neun Jahre nach Erstattung der ersten Straf­anzeige gegen führende Mitar­bei­terInnen des Oberndorfer Kleinwaffen­produzenten und -exporteurs Heckler & Koch (H&K) wegen der Lieferung mehrerer tausend G36-Sturm­ge­wehre in mexikanische Unruheprovinzen steht der Prozess nun vor seinem Ende. Wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffen­kon­troll- und das Außen­wirt­schafts­gesetz soll nach annähernd 30 Verhandlungstagen am Donnerstag im Landgericht Stuttgart gegen fünf Angeklagte das Urteil gefällt werden.

Die beschuldigten früheren MitarbeiterInnen von Heckler & Koch sollen in den Jahren 2006 bis 2009 daran beteiligt gewesen sein, dass rund 10.000 G36-Gewehre an das Verteidigungsministerium Mexikos verkauft wurden. Was legal war. Allerdings wurden davon mehr als 4700 Sturmgewehre widerrechtlich in die Unruheprovinzen Chiapas, Chihuahua, Jalisco und Guerrero weitergeliefert. Diese vier mexikanischen Provinzen, in die Waffenexporte von den Rüstungskontrollbehörden, dem Bundesausfuhramt (BAFA) und dem Bundeswirtschaftsministerium (BMWi), untersagt worden waren, zählten schon damals zu den Hauptschauplätzen des Drogenkrieges. Tagtäglich wird mit H&K-Gewehren in Mexiko gemordet, nicht selten von korrupten Polizisten. So konnte beispielsweise der Einsatz illegal nach Guerrero exportierter G36-Gewehre bei der Entführung und offensichtlichen Ermordung von 43 demonstrierenden Lehramtsstudenten im Jahr 2014 belegt werden.

Zügig eingestellte Ermittlungsverfahren gegen Verantwortliche

Im April 2010 erstattete der Pädagoge und Friedensaktivist Jürgen Grässlin, unter anderem Sprecher der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“, Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.) und seemoz-LeserInnen bestens bekannt durch seine Vorträge in Konstanz, Strafanzeige gegen Verantwortliche von Heckler & Koch wegen des Verdachts illegaler G-36-Gewehrlieferungen an Mexiko. Ein Mitarbeiter von H&K hatte sich an ihn gewandt, als ihm Unregelmäßigkeiten bei den Waffenlieferungen in Mexiko auffielen. Grässlins Anwalt erstattete zudem 2012 eine zweite Strafanzeige gegen beteiligte Vertreter der Rüstungsexportkontrollbehörden.

Doch ungeachtet der erdrückenden Beweislast stellte der damals zuständige Stuttgarter Staatsanwalt Peter Vobiller die Ermittlungen gegen die in den Fall involvierten Vertreter des BMWi und des BAFA rasch ein. Damit trat die Verjährung in Kraft und Vertreter der Rüstungsexport-Kontrollbehörden wurden im Verfahren seither lediglich – wenn überhaupt – als Zeugen vernommen.

Auch gegen die meisten der führenden Repräsentanten von Heckler & Koch, die Jürgen Grässlin 2010 angezeigt hatte, gelangte Vobiller merkwürdigerweise zu keinen ausreichenden Ergebnissen und stellte die Ermittlungen nach kürzester Zeit ebenfalls ein.

Statt angemessener Strafe Lebensleistung würdigen

So sassen bei der Prozesseröffnung im Mai 2018 lediglich fünf ehemalige MitarbeiterInnen auf der Anklagebank: Neben Joachim Meurer (vormaliger H&K-Geschäftsführer), Ingo Sahlmann und Wolfram Mackrodt (frühere H&K-Vertriebsleiter) und einer ehemaligen Vertriebsmitarbeiterin auch Peter Beyerle. Beyerle war nach seiner Pensionierung als Präsident des Landgerichts Rottweil 2005 in die Unternehmensführung der Oberndorfer Waffenschmiede gewechselt. Als Kriegswaffenkontrollbeauftragter des Unternehmens verantwortete er auch die Ausfuhr von G-36-Gewehren und Ersatzteilen nach Mexiko und trägt damit maßgeblich Mitverantwortung.

Doch obwohl sich Beyerle laut Eröffnungsbeschluss des Gerichts wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG) in Tateinheit mit bandenmäßigem Verstoß gegen das Außenwirtschaftsgesetz (AWG) in zwölf Fällen zu verantworten hat, gesteht ihm die Staatsanwaltschaft – die eine Haftstrafe von vier Jahren und zwei Monaten für diese Vergehen prinzipiell als angemessen erachtet – weitreichende Schuldmilderungsgründe zu und plädiert auf eine zur Bewährung auszusetzende Haftstrafe von lediglich einem Jahr und zehn Monaten: Seine Lebensleistung als Landgerichtspräsident sei zu würdigen wie auch die Tatsache, dass Beyerle nicht mehr der Jüngste und auch nicht ganz gesund sei. Honi soit qui mal y pense!

Endverbleibserklärungen sind Barbiturat fürs Volk

Wenn auch das Verfahren, in dem die allermeisten der Verantwortlichen für den Waffendeal mit Mexiko nicht zur Rechenschaft gezogen wurden, dadurch eine absurde Struktur bekommen hat, wurde eines doch überdeutlich: „Endverbleibserklärungen sind Barbiturat fürs Volk“ und die entsprechenden Kontrollgesetze „löchrig wie ein Schweizer Käse“, so Jürgen Grässlin im Interview mit Radio „dreyeckland nach dem 27. Prozesstag. Der Prozess war eminent wichtig, da er aufgezeigt hat, dass die deutsche Öffentlichkeit über Jahrzehnte von jeder Bundesregierung getäuscht wurde: Waffen „wandern“ eben doch, wandern in Krisen- und Kriegsgebiete, weil staatliche Endverbleibskontrollen bewusst ausgehebelt werden. Ohne Sanktionen befürchten zu müssen, wenn es nur geschickt genug angestellt wird und Genehmigungen nicht nachweislich „erschlichen“ werden. Mehrfach betonte etwa der Vorsitzende Richter Maurer in der Verhandlung, dass die Endverbleibserklärungen – wonach die vier Unruhestaaten keinesfalls G36-Sturmgewehre hätten erhalten dürfen – nicht Teil der von H&K und dem mexikanischen Verteidigungsministerium ausgehandelten Verträge gewesen seien, sondern lediglich an diese angeheftet waren, womit sich die Orte, an die die Waffen letztlich gelangten, der Einflussnahme von H&K entzogen. Und keinen Hehl machte der als Zeuge geladene zuständige Referatsleiter des BMWi aus dem Bemühen seines Hauses, Rüstungsexporte zu ermöglichen und das wirtschaftliche Überleben renommierter Hersteller sicherzustellen. Sein Ministerium heiße schließlich „Ministerium für Wirtschaft“.

Was somit dringend benötigt wird, so Grässlin, sei eine von der Friedens- und Menschenrechtsbewegung anzustoßende parteiübergreifende Initiative zur Schaffung eines wirkungsvollen Rüstungsexport-Kontrollgesetzes, das Waffenexporte generell verbietet und für Ausnahmen davon eine stichhaltige Begründung erfordert.

Rege Publikumsbeteiligung erwünscht

Wie schon zum Prozessbeginn am 5. Mai 2018 sind auch zum Prozessende am 21. Februar 2019 Aktionen der Friedens- und Menschenrechtsbewegung geplant. Wer bei der öffentlichen Verhandlung dabei sein möchte, sollte pünktich kommen, da auch mit dem Erscheinen von vielen Pressevertretern gerechnet wird. Auch aus Mexiko, wo sich die Angehörigen der durch G-36-Gewehre getöteten Opfer – deren Schicksal während des Prozesses vollkommen ausgeblendet war – besonders dafür interessieren, wie vor deutschen Gerichten Recht gesprochen wird.

Wie der Prozess verlief, wie das Urteil einzuordnen ist und was in Zukunft gegen Rüstungsexporte zu tun ist, sind Fragen, die am selben Abend mit dem ehemaligen Linken-Bundestagsabgeordneten Jan van Aken diskutiert werden können, der für die Rosa-Luxemburg-Stiftung den Prozess verfolgte.

Sabine Bade (Text und Foto; das Bild zeigt das Landgericht Stuttgart)


Urteilsverkündung: Ort: Landgericht Stuttgart, Urbanstraße 20, 70182 Stuttgart; Termin: Donnerstag, 21.02.2019, Uhrzeit: 9.30 Uhr

Urteil im Prozess gegen Heckler & Koch, Der Tod – ein Meister aus Deutschland? Vortrag/Diskussion mit Jan van Aken, Beobachter beim Prozess gegen Heckler & Koch, ehem. MdB für Die LINKE. Ort: Rosa-Luxemburg-Stiftung Baden-Württemberg, Ludwigstr. 73a, 70176 Stuttgart. Termin: Donnerstag, 21.02.2019, Uhrzeit: 18 Uhr.

„Global Net – Stop the Arms Trade“, das Netzwerk gegen Rüstungshandel
Seit April 2018 steht mit dem Global-Net des Netzwerks um das RüstungsInformationsBüro Freiburg (RIB e.V.) ein Online-Archiv zu legalen und illegalen Rüstungsdeals zur Verfügung. Das Team um Jürgen Grässlin arbeitet mit ExpertInnen aus aller Welt zusammen, die bisher neben dem akribisch dokumentierten Fall des Mexiko-Deals von Heckler & Koch Dossiers zur historischen Verantwortung deutscher Waffenhersteller beim Genozid an den Armeniern veröffentlichten. Weitere Fälle sind in Vorbereitung. Website: www.gn-stat.org