Hilfe für verfolgte Jüdinnen und Juden in Italien 1943–1945

Am 8. November 2022 – einen Tag vor dem Jahrestag der Reichspogromnacht 1938 – spricht Sara Berger (Fritz Bauer Institut, Frankfurt) über erfolgreichen Rettungswiderstand im von den Deutschen besetzten Italien. Sie wird viele „stille HeldInnen“ und Rettungsnetzwerke vorstellen, mit deren Hilfe es gelang, die meisten der in Italien lebenden Jüdinnen und Juden dem Zugriff des NS-Regimes oder der italienischen Faschisten zu entziehen.

In Benito Mussolinis faschistischem Italien – dessen Bewegung zu Beginn auch jüdische AnhängerInnen hatte, Tausende Mitglieder des Partito Nazionale Fascista (PNF) waren und auch hohe Positionen in der Partei einnahmen – begann erst Mitte der 1930er-Jahre die sukzessive Verdrängung von Jüdinnen und Juden aus leitenden Positionen. In einem Land mit vergleichsweise geringer antisemitischer Tradition und einem so außergewöhnlich hohen Grad jüdischer Assimilation richtete sich der Rassismus zunächst gegen die Bevölkerung der italienischen Kolonien Eritrea und Somalia, ein offen und gnadenlos rassistisches Vorgehen, das im Italienisch-Äthiopischen Krieg 1935/1936 seinen Höhepunkt fand.

Das änderte sich mit den „Rassengesetzen“ von 1938. Diese raubten den italienischen Jüdinnen und Juden durch Berufs- und Ausbildungsverbote die ökonomischen Grundlagen, versagten ihnen mit dem Ausschluss aus Vereinen und Verbänden die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und machten sie durch vielfältige Diskriminierung zu stets von der Geheimpolizei überwachten BürgerInnen zweiter Klasse.
Von Großmachtambitionen geleitet, griff Italien zusammen mit der deutschen Wehrmacht zahlreiche Staaten an und ordnete auch die Internierung von ausländischen (1940) und Zwangsarbeit für alle Jüdinnen und Juden (1942) an. Es verweigerte sich aber bis Sommer 1943 vehement dem mörderischen Kurs des deutschen Bündnispartners, schützte sie vor Deportationen und lieferte sie auch aus den italienisch besetzten Gebieten in Jugoslawien, Albanien, Griechenland und Südfrankreich – sehr zum Ärger des NS-Regimes – nicht aus.

Als aber nach der Absetzung Mussolinis und der Verkündigung des italienisch-alliierten Waffenstillstands am 8. September 1943 das NS-Regime sofort mit der Besetzung Italiens begann, änderte sich die Lage für Jüdinnen und Juden fundamental. Bereits zwischen dem 15. September 1943 und dem 11. Oktober 1943 wurden mehrere idyllische Orte am piemontesischen Westufer des Lago Maggiore und dessen Umgebung Schauplatz der ersten Massenmorde an Jüdinnen und Juden. Dass sich etwa vier Fünftel der in Italien lebenden Gesuchten dem Zugriff des NS-Regimes entziehen konnten, nicht nach Auschwitz und in andere Vernichtungslager deportiert oder vor Ort ermordet wurden, ist der Hilfe vieler Menschen zu verdanken, die bereit waren, die Verfolgten zu unterstützen.

Rettungsnetzwerke und stille HeldInnen

Sara Berger, die von 2009 bis 2020 für die Fondazione Museo della Shoah in Rom arbeitete, wird viele Beispiele gelungenen Rettungswiderstands vorstellen. Ihr Arbeitsplatz lag genau dort, wo am 16. Oktober 1943 Einheiten der Ordnungs- und Sicherheitspolizei unter der Leitung des eigens zu diesem Zweck angereisten „Judenreferenten” SS-Hauptsturmführer Theodor Dannecker das jüdische Ghetto durchkämmten und über 1200 Menschen – überwiegend Frauen und Kinder – zusammentrieben. Die meisten von ihnen wurden am 18. Oktober via Brenner in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert, wo keines der Kinder überlebte. Nur fünfzehn Männer und eine Frau kehrten nach dem Krieg zurück.

Gedenktafel im ehemaligen Ghetto von Rom

Während Papst Pius XII. zu den dramatischen Geschehnissen schwieg, fanden viele Menschen – auch AntifaschistInnen, die in den Untergrund gehen mussten – in Hunderten von Klöstern und religiösen Einrichtungen Unterschlupf. Dauerhafte Verstecke boten auch private oder öffentliche Heil- und Pflegeanstalten oder Krankenhäuser.
Kirchenvertreter waren schon im September 1943 bei der Ankunft hunderter, insbesondere ausländischer jüdischer Flüchtlinge aus dem französichen Saint-Martin-Vésubie nach Borgo San Dalmazzo im Piemont mit deren Rettung befasst. Es gelang zwar, für einige von ihnen sichere Verstecke zu finden oder sie in andere Städte weiterzuleiten – dennoch gingen über dreihundert von ihnen den Häschern in die Fänge: Sie wurden im November 1943 in deutsche Vernichtungslager deportiert.

Eine wichtige Funktion im Rettungswiderstand fiel der 1939 gegründeten Delasem zu, der Hilfsorganisation für jüdische EmigrantInnen, die – obwohl auch sie nach dem 8. September 1943 in den Untergrund gehen musste – Vertreter in allen großen italienischen Städten hatte und auch über Kontakte zum American Jewish Joint Distribution Committee (joint) und zu anderen Hilfsorganisationen verfügte. Oft knüpften Mitglieder der Delasem die Verbindungen für weitere Rettungsaktionen, von denen Sara Berger berichten wird.

Dienstag, 8. November 2022, 19.30 Uhr, Kulturzentrum am Münster, Wolkensteinsaal
Eine Veranstaltung der vhs, der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Bodensee-Region, der  Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Konstanz e.V. und der Jüdischen Gemeinde Konstanz e.V.; Eintritt frei

Sabine Bade (Text und Fotos, Teaserfoto; Ausschnitt Buchcover) 

Dr. Sara Berger ist seit 2020 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fritz Bauer Institut und zuständig für die Ausstellungen des Instituts. Sie hat Geschichte, Sozialpsychologie und Italienische Literaturwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum studiert. Im Jahr 2011 hat sie dort mit einer Studie über die Vernichtungslager Belzec, Sobibor und Treblinka der „Aktion Reinhardt“ promoviert. Von 2009 bis 2020 konzipierte und organisierte sie Wechselausstellungen an der Fondazione Museo della Shoah in Rom, unter anderem zu Auschwitz, zu den Ghettos in Polen, zur Judenverfolgung in Italien. Von 2012 bis 2017 bearbeitete sie im Rahmen des Editionsprojekts „Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945“ den Teilbereich Italien in Band 14 „Besetztes Südosteuropa und Italien“.