Hilferuf afghanischer Flüchtlinge aus Konstanz
„Im Namen einer Gruppe afghanischer Flüchtlinge aus Unterkünften in Stockach, Singen, Radolfzell, Bodman und Konstanz leite ich Ihnen den angefügten Hilferuf weiter“. Schreibt der in der Flüchtlingshilfe engagierte Konstanzer Autor Jürgen Weber. „Der Hilferuf wurde von rund 40 afghanischen Flüchtlingen gemeinsam erarbeitet“.
Wir afghanische Flüchtlinge aus dem Landkreis Konstanz,
… sind unter Gefahr und Einsatz unseres Lebens nach Europa, nach Deutschland und in den Landkreis Konstanz gekommen, um hier Schutz und Sicherheit zu finden. Um uns eine Perspektive für unsere meist jungen Leben aufzubauen. Wir haben unser Land verlassen, weil wir es verlassen mussten. Wir haben diesen gefährlichen Weg der Flucht auf uns genommen, weil wir in Sicherheit ankommen wollen.
Es ist das Recht, welches wir als Menschen haben, uns nicht zum politischen Spielball machen zu lassen. Unser Leben nicht zum Gegenstand von Abkommen zwischen der afghanischen Regierung und den Regierungen Europas und Deutschlands zu machen. Die afghanische Regierung kann für unsere Aufnahme zwar viel Geld kassieren, sie kann aber nicht für unsere Sicherheit garantieren. Es darf keinen solchen Deal mit unseren Leben geben. Wir sind nach Europa und nach Deutschland gekommen, weil wir hier Vertrauen in Menschenrechte und Demokratie haben.
Wir, afghanische Flüchtlinge, sind vor Bedrohung unseres Lebens durch die Taliban oder andere extreme politische und religiöse Gruppen geflohen, oder um nicht als Kämpfer zu den Waffen in einer der Konfliktparteien gezwungen zu werden. Wir haben seit unserer Kindheit nichts anderes als Bürgerkrieg im eigenen Land und Krieg fremder Nationen in unserem Land und im Mittleren Osten erlebt. Wir wollen Frieden und in Frieden leben. Manche von uns haben auch schon ihre Kindheit als Flüchtlinge in Ländern des Nahen und Mittleren Ostens erleben müssen, haben keine Wurzeln mehr in Afghanistan und wollen als gleichberechtigte Menschen an einem Fleck der Erde ankommen dürfen. Hier im Landkreis Konstanz, in Deutschland, endlich ankommen.
Wir verstehen nicht, dass Menschen in der deutschen Politik und in den deutschen Behörden Afghanistan als sicher für uns bezeichnen. Das trifft für uns nicht zu. Wir sind an keinem Ort in Afghanistan sicher. Unser Leben ist bedroht. Wir können nicht zurück und wir werden nicht zurückgehen.
Wenn wir morgen am Flughafen in Kabul ankommen, sind wir auf uns selbst gestellt. Es gibt keine Hilfsorganisationen, viele von uns haben keine Verwandten, keine Anlaufstelle. Die Polizei wird uns weg schicken.
Wir können nicht mit dem Bus in eine andere Region fahren. Taliban und andere radikale Gruppen machen immer wieder Kontrollen, bei denen wir auffallen. Sie werden uns befragen, nicht selten töten.
Wir können uns nicht einfach in den Straßen aufhalten. Militär und Polizei arbeiten häufig mit Taliban und anderen radikalen oder kriminellen Gruppen zusammen. Selbst in Städten und Regionen, die von der Regierung kontrolliert werden, fühlen sich Militär- und Polizeistationen für ganze Straßenzüge oder Kontrollpunkte der Taliban oder anderer Gruppen nicht zuständig. Es gibt auch Absprachen, dass sich beispielsweise die Polizei und das offizielle Militär nachts zurück ziehen. Dann sind wir wieder vogelfrei und der Willkür der bewaffneten Gruppen ausgesetzt.
Die meisten von uns sind junge Männer. Wenn uns die deutsche Regierung zurückschickt oder abschiebt, müssen wir um unser Leben fürchten. Wer überprüft oder fragt danach, ob wir dann noch am Leben sind? Manche von uns werden dazu gezwungen sein zu sterben oder auf einer Seite als Soldat zu kämpfen. Die deutsche Regierung sorgt so für den Nachschub neuer Soldaten für die zahlreichen Konflikte und radikalen Gruppen. Wir wollen aber endlich in Frieden leben. Ist das zu viel verlangt?
In den Regionen, aus denen viele von uns kommen, sind wir nicht willkommen oder gelten als Ungläubige oder Verräter. Dort haben wir am wenigsten Schutz zu erwarten und sind am meisten bedroht. Seit unserer Flucht ist die afghanische Gesellschaft noch tiefer gespalten und religiöse Gruppen haben besonders Jugendliche weiter radikalisiert.
Wer von uns nicht sterben oder Kämpfer werden will, wird sich wieder und wieder auf gefährliche Fluchtwege machen. Schon heute berichten Flüchtlingen von vielen toten Flüchtlingen, die von den Grenzsoldaten an der pakistanisch-iranischen Grenze oder an den Grenzen zur Türkei erschossen wurden. Eine Familie aus dem Landkreis Konstanz hat viele solcher Toten auf der Flucht gesehen. Die Kinder sind davon traumatisiert.
Viele werden auf der erneuten Flucht wieder im Nirgendwo stranden, auf Fluchtwegen verschwinden oder im Mittelmeer sterben.
Was sollen wir also tun? Wir leben in Flüchtlingsunterkünften im Landkreis Konstanz und lernen deutsch. Viele Menschen unterstützen uns dabei, hier anzukommen. Dafür sind wir dankbar und würden gerne etwas zurückgeben. Wir wollen hier ankommen: Arbeiten, wohnen und gemeinsam mit allen in Sicherheit leben. Wir bitten die regionalen Abgeordneten des Landtags und des Bundestags, wir bitten unsere Nachbarn, wir bitten die Bürgerinnen und Bürger unserer Gemeinden im Landkreis Konstanz, uns hier dauerhaft Schutz und die Grundlage für eine Lebensperspektive zu geben.
Die, die sich die derzeitige „Abschiebungspraxis“ ausgedacht haben und durchsetzen, sind auch diejenigen, die all die unenedlich vielen, teuren Waffen gutheißen und deren Produktion befördern, die weitere Kriege ermöglichen bzw. bestehende befeuern!
Siehe Oberndorf a. Neckar und der „werte“ Herr Kauder!
Derzeit ist Wahlkampf. Die Abgeordneten, die solche Politik machen (meist schon langjährig), die Folgen immer noch ignorieren und nicht im Sinne der Leidtragenden tätig werden, wähle ich nicht!
Ich wünsche mir eine andere Politik, eine, die Menschenwürde und -recht als Grundhaltung hat!