„Ich war in einem rosa Polohemd in Chemnitz“

Montagabend in Rielasingen, Kulturpunkt Arlen. Die AfD, genauer der Singener Landtagsabgeordnete Dr. Wolfgang Gedeon, hat zum „Politabend“ geladen. Thema: Was geschah in Chemnitz?

Um dieser Frage, die anscheinend noch nicht ausreichend durch die Medien dokumentiert wurde, auf den Grund zu gehen, sind zwei Gäste geladen, von denen später nur einer die Veranstaltung beehren wird: Stefan Räpple, MdL, und Hans-Peter Stauch ,MdL, die beide der Stuttgarter AfD Fraktion angehören. Unseren Einschätzungen zufolge waren ca. 50-60 Gäste anwesend, darunter auch einige politische Gegner*innen.

Es gab, natürlich, keinen Mob

Mit leichter Verspätung beginnt die Veranstaltung. Das Publikum ist dabei vorwiegend männlich und jenseits der sechzig. Gedeon, der die Moderation des Abends übernimmt, stellt Räpple, der als „Demonstrationstourist“, wie er süffisant anmerkt, in Chemnitz und Köthen demonstriert hat, vor. Räpple trug bei seinem Demobesuch in Chemnitz im Übrigen ein rosa Polohemd, wie er betonte.

Folgt man den Schilderungen Räpples, ergibt sich folgendes Bild: Es gab, natürlich, keinen Mob und keine Hetzjagden. Stattdessen hätten die Menschen dort „ganz normale“ Sprechchöre angestimmt, wie zum Beispiel „Merkel muss weg“ oder „Lügenpresse“. Die Menschen, die Hitlergrüße gezeigt hatten? „Das waren vielleicht zwei oder drei Einzelpersonen, aber natürlich haben sich die Systemmedien direkt darauf gestürzt!“, wettert Räpple. Und überhaupt könne man ja nicht wissen, wer diese Leute geschickt habe – von der AfD kämen die jedenfalls nicht, das seien alles zivilisierte Leistungsträger der Gesellschaft. Was die korrumpierten Medien berichteten, habe selten etwas mit der Wahrheit zu tun. Gedeon währenddessen blieb auch an diesem Abend seiner antisemitischen Linie treu und verleugnete, dass es einen Angriff auf ein jüdisches Restaurant gegeben hatte.

Eigentlich hätte der Abend an dieser Stelle enden können. Der Erlebnisbericht des Abgeordneten beinhaltet nicht viel mehr als diese Zitate. Doch schnell wird klar: Das, was als Hauptthema des Abends proklamiert wurde, diente nur als Aufhänger, um die eigenen Verschwörungstheorien zu verbreiten und das alternative Weltbild zu festigen. Als es in die Fragerunde geht, beglückwünscht Räpple die Anwesenden dazu, dass sie es geschafft hätten, das „System der Altparteien“ zu durchschauen. Er könne den Menschen an der Nase ansehen, dass sie anständig seien.

Die „Propaganda der Tagesschau“

Wie schlimm es um das geliebte Vaterland tatsächlich bestellt ist, darüber sind sich Gedeon und Räpple jedoch nicht ganz einig. Während letzterer proklamiert, Deutschland sei keine Demokratie mehr, sondern ein „Neofeudalismus“, wie in der Adelszeit würde hier die „Politikerkaste“ über die Menschen herrschen, geht Gedeon noch einen Schritt weiter. Die Köpfe der Menschen würden durch die „Systemmedien“ kontrolliert (die Tagesschau wird dabei zur „Propagandastelle der Antifa“) – ein klares Zeichen, dass Deutschland eine Diktatur sei. Neben der Tagesschau gibt es laut Gedeon aber noch eine weitere öffentlich-rechtliche Sendung, die die „Systemparteien“ nutzen, um ihre Ideologien in die Köpfe der Menschen einzupflanzen: Den sonntäglichen „Tatort“. Denn dort sei natürlich niemals der Ausländer der Mörder, sondern Personen wie der „deutsche Rechtsanwalt“.

Räpple erzählt weiter, er habe Klage gegen die Diätenerhöhung für die Landtagsabgeordneten eingereicht, welche jedoch von den „parteiischen Richtern mit ihrem CDU-Parteibuch“ abgelehnt worden sei. Dies hindert ihn jedoch nicht daran, seine vollen Bezüge in Anspruch zu nehmen und sich davon, nach eigenen Aussagen, einen teuren Südseeurlaub zu leisten.

Während Räpple und Gedeon die Wahrheit für sich gepachtet zu haben scheinen, und der gemeine Zuhörer langsam, aber sicher den Eindruck bekommt, sich hier in einem Kreis weniger Auserkorener zu befinden, werden die präsentierten „alternativen Fakten“ immer abenteuerlicher. Insbesondere der Gast aus Stuttgart betätigt sich dabei voller Wonne als Hellseher, der allerdings sehr düstere Zukunftsszenarien zeichnet. So prophezeit er, dass die Morde, die momentan noch wöchentlich stattfänden, bald an der Tagesordnung stünden. Eine Teilnehmerin, die sich selbst als besorgte Bürgerin bezeichnet, zischt darauf: „Schön wär’s, wenn die sich alle gegenseitig abstechen würden, dann wär‘ Ruh“ Ursprung dieser untragbaren Zustände ist, folgt man Gedeons Logik, natürlich die „kulturimperialistische Invasion“ der „IS-Armee“.

Polizeibericht – Fake News?

Auf die Frage von Tobias Volz, ob sich Herr Gedeon mit dem Polizeipräsidenten ausgetauscht habe, da die aktuelle Polizeistatistik zeige, dass die Kriminalität im Landkreis Konstanz zurückgegangen sei, antwortete Gedeon lediglich, dass der Polizeibericht zu den „Fake News“ gehöre und „die Flucht in die Statistik ein Argument der Hilflosigkeit“ sei. Bekräftigt wurde dies durch einige weibliche Gäste, die bekundeten, sich seit Ankunft der Flüchtlinge nicht mehr sicher fühlen zu können. Außerdem müsse man ja nun auch damit rechnen, dass weitere Köpfe abgeschlagen würden.

Zum Glück für die AfD hat sich, wie sich heute herausstellte, eine weitere Prophezeiung des Abends nicht erfüllt. Dieser zufolge hätte Maaßen im Amt bleiben müssen. Die Logik dahinter: Da Maaßen in der öffentlichen Meinung als rechts wahrgenommen werde, aber durch einen Verbleib im Amt immer noch auf dem Boden der Verfassung stände, rechtfertige dies umso mehr ein durch ihn initiiertes Parteiverbotsverfahren gegen die AfD. Aufgrund dieser Wahrnehmung begründet Gedeon, dass eine „Säuberung des Apparates“ notwendig sei. Was genau dieser „Apparat“ jedoch bezeichnet, darauf geht er nicht ein. Wie Maaßens Beförderung zum Staatssekretär sich nun in dieses Bild einfügt, überlassen wir an dieser Stelle den Berufsverschwörungstheoretikern.

„Es gibt kein Recht auf Nazi-Propaganda“

Die Veranstaltung wurde auch durch drei Störaktionen unterbrochen. Zuerst stimmten drei junge Erwachsene den bekannten Sprechchor „Es gibt kein Recht auf Nazi-Propaganda“ an, dann unterbrachen zwei junge Männer Stefan Räpple während eines Redebeitrags mit Trillerpfeifen. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Polizei bereits eingegriffen und die Störer*innen hinaus befördert. Eine Weile später, und unter Anwesenheit von zusätzlichen Polizeikräften, hielten dann ein junger Mann und eine junge Frau ein Transparent mit einem Zitat aus der WELT hoch, auf dem zu lesen war „GEDEON darf HOLOCAUSTLEUGNER genannt werden“. Dieses wurde recht schnell von einem der Anwesenden heruntergerissen, wobei einer der beiden Protestierenden ebenfalls zu Boden ging. Mehrere Polizeikräfte mussten einen Besucher, der gerade dabei war, einen Stuhl gegen diese zu erheben, von diesen trennen und die Störer*innen unter Gegenwehr aus dem Saal führen. Die Aktivist*innen setzten ihren Protest weiterhin gut hörbar vor dem Veranstaltungsgebäude fort.

Durch eine Pressemeldung und einen Blogbeitrag stellte sich gestern heraus, dass die Störer*innen dem Offenen Antifaschistischen Treffen (OAT) angehörten. Diese beschreiben in ihrer Mitteilung, dass sie stark körperlich angegriffen wurden und auch Verletzungen davontrugen. Außerdem sei einer der „AfD-Prügelknaben“ ebenfalls von der Polizei festgenommen worden. Sie fordern außerdem, dass nach diesen gewalttätigen Auseinandersetzungen die Polizei diese Veranstaltung hätte beenden müssen.

Dass auch wir in dieser Mitteilung persönlich angesprochen und als stillschweigende Zuschauer ohne Zivilcourage bezeichnet werden, empfinden wir als sehr schade. Aus unserer Perspektive ging das Ganze so schnell vonstatten, dass ein Eingreifen quasi unmöglich war, da die Polizei, zum Glück, sehr schnell reagierte. Nichtsdestotrotz sind wir froh, uns mit eigenem Protest bis zur Fragerunde zurückgehalten zu haben, da wir nur so die Möglichkeit zu kritischen Auseinandersetzung hatten. Sonst wären uns viele der rassistischen, antisemitischen und schlicht falschen Aussagen der Veranstalter wohl entgangen.

Die Stimmung wurde, je später der Abend war, immer aufgeheizter und feindseliger. Wir hatten leider das Gefühl, dass die Menschen dort durch die gezielte Agitation und Manipulation der beiden Abgeordneten sachlichen Argumenten, die ihrem Weltbild widersprachen, nicht mehr zugänglich waren. Gleichzeitig nahmen sie offensichtliche Widersprüche in der Argumentation Gedeons und Räpples nicht wahr oder blendeten diese bewusst aus.

Über die Autorinnen:
Antje Behler, 22, Mitglied des Kreisvorstandes der Partei Die Linke
Kathrin Morasch, 22, Vorsitzende der Jusos Konstanz