Ihr da in Petershausen – Euch packt das Grausen
In der gestrigen Sitzung des Technischen und Umweltausschusses (TUA) gab es einen Vorgeschmack darauf, wie der bisher unter anderem von Telekom, Post und Postbank genutzte Gebäudekomplex an der Moltkestraße in ein paar Jahren aussehen soll. Der Projektentwickler bpd will sich dort an die „Gestaltung lebendiger Räume“ machen, woraus ein – rein postfilialmäßig betrachtet – toter Raum entstehen könnte. Ist das die vorletzte Runde im Rückzugsgefecht der Post aus Konstanz?
„Hoch auf dem gelben Wa-ha-gen // sitz‘ ich beim Schwager vorn“, sang am 6. Dezember 1973 ein langnäsiger FDP-Außenminister und späterer Bundespräsident in aller Öffentlichkeit im ZDF. Die Menschen wussten damals noch, dass mit „Schwager“ der Postkutscher gemeint war, ein wettergegerbter Mensch mit einer ungewissen Neigung zu tiefer Schwermut und billigem Alkohol, aber von einer eisernen Disziplin bei der Postzustellung.
Immerhin hielt sich die Plattenaufnahme dieses Gesangsstücks mehrere Wochen in den Charts und machte den unvergessenen Walter Scheel Anfang 1974 mit Platz 5 in den Singlecharts zum auf diesem Markt nach 1945 erfolgreichsten deutschen Politiker. Gegen ein Loblied auf die Post hatten damals selbst die Stones in den deutschen Charts keine Chance, sie kamen mit „It’s Only Rock ’n Roll (But I Like It)“ im selben Jahr nur auf Platz 36.
Rotkäppchen und der arme Wolf
Damals hatte die Bundespost einen Ruf wie Donnerhall, als Arbeitgeber wie als Dienstleister, und ein Dorf ohne Postamt war nicht denkbar. In der Nacht ratterten Postwaggons durch Deutschland, in denen emsige Beamte Briefe und Pakete während der Fahrt sortierten. Selbst dem letzten abendlichen Personenzug aus Konstanz nach Offenburg und weiter in Richtung Norden war noch in den siebziger Jahren ein Postwagen angehängt, in den man direkt am Bahnsteig Briefe einwerfen konnte. Ein Postbeamter war ein paramilitärisch uniformierter Mensch von ganz eigentümlichem Charakter, der mit seinem Dienstbleistift grundsätzlich keine Privatnotizen machte. Die Post kümmerte sich um die Menschen, und sie prägte sie.
Der Rest der Geschichte ist bekannt: Mit der Post ging’s bergab wie mit dem Wolf, nachdem er auf Rotkäppchen traf.
Wer hat wem gekündigt?
Trotz dieses Niedergangs wissen die Petershausener*innen, was sie an ihrer Post haben, und meist ist es dort gestopft voll, eine Schließung der Post würde also eine spürbare Lücke reißen. Was also wird aus der Post, was aus den zugehörigen Gebäuden samt dem ehemaligen Fernmeldeamt, einer echten Ikone des schlechten Geschmacks?
Für den Stuttgarter Immobilienentwickler bpd, der sich auch BPD schreibt, trat der in Konstanz bereits bekannte Rainer Beitlich vor den TUA. bpd ist eine Tochter der niederländischen Genossenschaftsbank Rabobank, die im Immobilienhandel sehr aktiv ist. Die bpd mit ihren 250 Mitarbeitern verkaufte in den letzten Jahren im Schnitt etwa 1400 Wohnungen pro Jahr und machte damit zuletzt mehr als 500 Millionen Euro Umsatz. In Konstanz war das Unternehmen etwa an der „Neuen Mitte Petershausen“ am Petershausener Bahnhof beteiligt.
Auf die Frage von Johann Hartwich (FDP), wer denn hier wem gekündigt habe, die bpd der Post oder die Post der bpd, antwortete Beitlich, es habe überhaupt keine Kündigung von irgendeiner Seite gegeben. Die Post habe vielmehr einen Generalmietvertrag, befristet bis zum 31.12.2019, und dann laufe dieser Vertrag automatisch aus. Ab 01.01.2020 gehöre das gesamte Ensemble dann komplett der bpd, die es umbauen und vermieten bzw. verpachten wolle.
Ein sportlicher Plan
Der Zeitplan der bpd ist durchaus ehrgeizig. 2020 soll mit dem Umbau des Hochhauses begonnen werden, ab 2022 ist dann das Technikgebäude dran, und 2025 soll das alles fertig sein. Was Beitlich dann berichtete, macht den Postkund*innen in Petershausen wenig Hoffnung. bpd habe immerhin ein ganzes Jahr gebraucht, allein um bei der Post überhaupt einen Ansprechpartner zu finden. Wer verfolgt hat, wie die Verhandlungen zwischen der Stadtverwaltung und der Bahn verlaufen, kennt dieses Muster: Normalerweise heißt das, dass mit irgendwelchen Entscheidungen nicht zu rechnen ist, ehe der FC Bayern nicht zumindest sieben weitere Male am Stück Deutscher Meister geworden ist.
Immerhin: bpd hat gegen die Post als Mieter in ihrer Immobilie ebenso wenig einzuwenden wie gegen jede andere solvente Firma (wie auch, es geht ja schließlich um Gewinnmaximierung). Als Beitlich dann aber anfügte, dass er sich nicht vorstellen könne, dass das Versand- und Retourenwesen der Internetanbieter in ein paar Jahren noch im bisherigen Umfang existieren werde, so dass die Post dafür eigene Paketschalter vorhalten müsse, wurde klar, dass die Post in der Moltkestraße zumindest in seinen Augen ein Auslaufmodell ist. Man werde der Post natürlich ein Angebot für einen Postshop unterbreiten, aber ob die ein solches Angebot akzeptiere, stehe in den Sternen …
Im Technikgebäude werden immerhin 120.000 Konstanzer Telefonanschlüsse geschaltet, und dabei werde es auch künftig bleiben. Aber man brauche auch dort wegen der Digitalisierung bald weniger Platz, so dass man das Gebäude teilweise zurückbauen (= abreißen) könne. Nebenbei erfuhr man/frau, dass es auf dem Gelände auch eine Ein-Feld-Postsporthalle gibt. Das macht wehmütig, erinnert es doch an jene fernen Zeiten, in denen ein Arbeitgeber sich noch um die Seinen kümmerte.
Ein einziger Werbeblock
Bürgermeister Karl Langensteiner-Schönborn, der das Vorhaben in trautem Verbund mit dem Investor präsentierte, betonte das große Interesse der Stadt daran, die Postfiliale in Petershausen zu erhalten. Außerdem berichtete er, dass bpd die Fassade des Hochhauses umgestalten werde und dass in dem Ensemble eine Mischung aus „qualitativ hochwertigem“ Wohnen mit Gewerbe und Dienstleistung entstehen werde, dort bestehe nämlich ein entsprechendes Baurecht. Außerdem werde gerade die Möglichkeit ausgelotet, im Rahmen der energetischen Sanierung zusammen mit den Stadtwerken Energie per Abwasserwärmetauscher zu gewinnen. Ach ja, geförderten Wohnraum werde es dort natürlich auch geben. Von der in die Jahre gekommenen Wiese ganz zu schweigen, auf der er sich mehr Sitzgelegenheiten und einen Spielplatz vorstellen kann.
Wie das alles am Ende aussehen könnte, muss sich aber erst noch zeigen, denn es wird ein Wettbewerb für qualifizierte Architekturbüros ausgeschrieben. Das Ergebnis erhofft man sich für Frühjahr 2019. Auf jeden Fall vermittelten Verwaltung und Investor an diesem Abend größte Harmonie, und Beitlich sagte seinem Unternehmen in jener unnachahmlichen Bescheidenheit, die ihn und seinesgleichen auszeichnet, „höchste Kundenzufriedenheit“, „Nachhaltigkeit“ und eine „vertrauensvolle, langjährige Zusammenarbeit“ nach.
Ein durchaus bürgerlicher, dem Unternehmertum ausgesprochen wohlgesonnener Gemeinderat zwinkerte mir nach diesem 40-Minuten-Gute-Laune-Auftritt zu: „Was meinste wohl, was die dieser Werbeblock gekostet hat?“
Nichts natürlich! Eine Stadtverwaltung und die Mehrheit der 40 Gemeinderät*innen für sich zu gewinnen, das fällt bei bpd unter Peanuts.
O. Pugliese
Lieber Seemoz. Mozen ist destruktiv. Wenn ihr konstruktiv arbeiten wollt, dann meldet euch bei mir. Beste Grüße Rainer Beitlich