Ilse Schneider-Lengyel: Fotografin, Ethnologin, Dichterin

Das Hesse Museum Gaienhofen erinnert mit einer Ausstellung und einem Begleitprogramm in Konstanz und Gaienhofen vom 20. März 2022 bis 19. Juni 2022 an Ilse Schneider-Lengyel, die am Ende ihres Lebens in Konstanz wohnte und im PLK Reichenau starb.

Nachdem sie zerlumpt und verwirrt während der Fasnet 1969 in der Konstanzer Buchnerstraße aufgegriffen worden war, landete sie im Psychiatrischen Landeskrankenhaus Reichenau, wo sie die letzten Jahre ihres Lebens verbrachte und Ende 1972 starb. Das ist nachzulesen in Manfred Boschs vorzüglicher topographischer Spurensuche „Konstanz literarisch“.

Schon in den achtziger Jahren hatte ihr Gerhard Köpf in seinem Erstling „Innerfern“ und in Essays ein literarisches Denkmal gesetzt, ihr Werk schien aber verschollen. Er beschrieb die Szene, in der sie aufgegriffen wurde, so: „Überall Konfetti und laute Musik. Masken und Larven auf der Straße. Vermummte, Maskierte, Hexen und Schemen. Grell geschminkte Gesichter. Grotesken, Konfetti. Bodenseefasnet. Szenen wie aus einem Totentanz.“

2019 hat der ehemalige Konstanzer Literaturwissenschaftler Peter Braun, der inzwischen an der Universität Jena lehrt, das, was von ihrem verstreuten Werk noch auffindbar ist, ans Licht gezogen und ein schönes Porträt der Vergessenen entworfen (Peter Braun: Ilse Schneider-Lengyel. Fotografin, Ethnologin, Dichterin. Ein Porträt. Wallstein Verlag Göttingen 2019).

Scheinbar unwissenschaftlich schildert er, wie er im Handschriftensaal der Münchener Staatsbibliothek daran geht, die 17 Schachteln ihres Nachlasses zu sichten, und er findet noch viel Interessantes, entdeckt aber auch Hinweise auf noch mehr Verlorenes.

Daraus entwarf er ein Porträt der in gutbürgerlichem protestantischem Milieu in München am 10.1.1903 geborenen Ilse Maria Schneider. Sie studierte Kunstgeschichte, Ethnologie und Fotografie in Paris, Berlin, München und am Bauhaus, war fasziniert von den neuen Strömungen in Kunst, Völkerkunde und insbesondere den Kunstwerken der Naturvölker. Sie eröffnete 1933 in München ein eigenes Studio für Gebrauchsgraphik. Im gleichen Jahr heiratete sie den jüdischen Ungarn László Lengyel, den sie im Umfeld des Bauhauses kennengelernt hatte. 1934 verließen die beiden Deutschland, sie lebten im Exil in Paris, wenn Ilse Schneider Lengyel nicht recherchierend oder fotografierend unterwegs war. Sie publizierte Fotobände über „Die Welt der Maske“, „Das Gesicht des deutschen Mittelalters“, gotische Statuen, italienische Skulpturen, griechische Terrakotten, Künstlermonographien über Rodin und Michelangelo und vieles mehr. Trotz der Lebensgefahr für sie und ihren Mann im besetzten Paris bekam sie Kontakt mit den neuesten Strömungen der Kunst, Philosophie und Literatur und es entstanden ausgesprochen moderne surrealistische Gedichte und Prosatexte.

1945 erbte Ilse Schneider-Lengyel von ihren verstorbenen Eltern den idyllischen Bannwaldsee im bayerischen Allgäu, wo sie ein kleines Haus bezog, das ursprünglich eine Fischerhütte gewesen war. Hans Werner Richter hatte Kontakt mit ihr aufgenommen, weil er sie für eine neu zu gründende Literaturzeitschrift mit dem Titel „Skorpion“ gewinnen wollte. Bis 1947 war sein Projekt so weit vorangetrieben, dass er 17 Schriftstellerinnen und Schriftsteller in ihr Haus an den Bannwaldsee einlud. Die Zeitschrift kam zwar nicht zustande, aber bei dem Treffen am 6. und 7.9.1947 entstand die einflussreichste literarische Instanz der Nachkriegszeit, die „Gruppe 47“. Die Gedichte, die Ilse Schneider-Lengyel bei diesem und weiteren Treffen der Gruppe 47 bis 1950 vortrug, stießen wegen ihrer surrealistischen Modernität auf Zweifel und Unverständnis, wurden aber als Geheimtip gehandelt. Ein Beispiel: „Lange schlief der Engel! Halbwach. / Als er die Sprossen herabstieg / war die Erde verloren.“

Bis 1952 erschienen einige Gedichtbände von ihr. In den fünfziger Jahren war sie wieder als Ethnologin unterwegs, beteiligte sich an Aktionen gegen den Atomtod, verließ ihren Mann, verließ den Bannwaldsee, landete schließlich in Konstanz und auf der Reichenau. Eines ihrer Gedichte, das sie 1947 am Bannwaldsee vorgetragen hatte, scheint das Ende vorweggenommen zu haben: „Der leichte Tod // Ohne Gewicht / zerbricht / schwelend / ein Lebenslicht.“

Peter Braun charakterisierte Ilse Schneider-Lengyel sensibel, ließ sie ausführlich in Gedichten, Erzählungen und Briefen selbst zu Wort kommen. Und in einem Epilog bedauerte er, dass aus ihrem Anwesen am Bannwaldsee ein riesiger Campingplatz wurde, er findet keinen Standpunkt, um ein Foto aufzunehmen, von dem aus nicht ein Karavan ins Bild ragt.

Die Ausstellung im Hesse Museum Gaienhofen zeigt einen Querschnitt durch das vielschichtige Werk Ilse Schneider-Lengyels. Ausgestellt werden größtenteils noch unveröffentlichte Fotoarbeiten aus dem Nachlass. Zudem sollen Entwürfe, Notizen, Manuskripte und Briefe aus ihrem Nachlass auch die Publizistin und Schriftstellerin vorstellen. Die verschiedenen Arbeiten und Materialien zeichnen das Porträt einer Künstlerin, die, wie nur wenige in Deutschland, Avantgarde und Ethnologie miteinander verbunden hat. Ihr künstlerisches Credo formulierte Ilse Schneider-Lengyel in einem Brief an Arno Schmidt vom 31. März 1958: „Die Naturvölker mit ihrem Götter-Dämonenbegriff sind mir näher; der tierische Ernst fällt weg; zwischen Kult und Opfer: die kleine Spanne Spiel bleibt.“

Text: Veranstalter, Bilder: Ilse Schneider-Lengyel, unten 1938 bei Aufnahmen von Michelangelos David in der Accademia in Florenz (c) Hesse Museum Gaienhofen

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Ausstellung und Begleitveranstaltungen gehören zu den 12 Projekten, deren Durchführung kürzlich durch den Kulturfonds der Stadt Konstanz gefördert wurden. Kuratiert wird die Ausstellung der Literarischen Gesellschaft Forum Allmende von Peter Braun in Zusammenarbeit mit Oswald Burger und dem Hesse Museum Gaienhofen. Die Veranstaltungen des Begleitprogramms finden sowohl im Hesse Museum Gaienhofen als auch in Konstanz statt. Weitere Informationen finden Sie hier.

Freitag 18. März 2022, 18:30 im Kunstverein Konstanz, Kulturzentrum am Münster
Buchvorstellung Peter Braun: Ilse Schneider-Lengyel. Fotografin, Ethnologin, Dichterin. Ein Porträt. Moderation Siegmund Kopitzki.

Sonntag 20. März 2022, 11:00 im Hesse Museum Gaienhofen
Ausstellungseröffnung mit Begrüßung durch die Museumsleiterin Dr. Ute Hübner, dem Vorsitzenden der Literarischen Gesellschaft Forum Allmende Siegmund Kopitzki und einer Einführung in die Ausstellung durch Prof. Dr. Peter Braun mit Lesung von Texten Ilse Schneider-Lengyels durch  Heinke Hartmann

Sonntag 27. März 2022, 11:00 im Hesse Museum Gaienhofen
Ilse Schneider-Lengyel und der Schweizer Arzt und Kulturphilosoph Max Picard (1888-1965). Vortrag von Alfons Maria Arns, Frankfurt. Er zeichnet nach, wie Max Picard und Ilse Schneider-Lengyel sich mit den Ausdruckweisen des menschlichen Gesichts befassten.

Mittwoch 6. April 2022, 20:00 im Kunstverein Konstanz, Kulturzentrum am Münster
Vortrag Helmut Böttinger, Berlin, über Ilse Schneider-Lengyel und die Gruppe 47, moderiert von Siegmund Kopitzki. Der Berliner Literaturkritiker hat mit „Die Gruppe 47. Als die deutsche Literatur Geschichte schrieb“ das Standardwerk zur „Gruppe 47“ vorgelegt.

Mittwoch 27. April 2022, 20:00 beim Internationalen Bodensee Club in Freiräume, Vor der Halde, Ecke Hofhalde Konstanz
Die Schauspielerin Heinke Hartmann liest aus Texten von Ilse Schneider-Lengyel. Moderation Dr. Waltraut Liebl-Kopitzki.

Samstag 14. Mai 2022, 11:00-13:00 und 14:00-16:00 im Hesse Museum Gaienhofen
Schreibwerkstatt mit Peter Braun. In einer kreativen Schreibwerkstatt sollen die Teilnehmer kreative Arbeiten angesichts von Bildern und Texten Ilse Schneider-Lengyels entwickeln. Vorkenntnisse sind nicht erforderlich; das Spielerische steht im Vordergrund.

Sonntag 15. Mai 2022, 11:00 im Hesse Museum Gaienhofen im Rahmen des Internationalen Museumstags
Ilse Schneider-Lengyel: Fotografin und Buchgestalterin. Vortrag von Prof. Dr. Felix Thürlemann, Zürich. Anhand des berühmten, im Londoner Phaidon Verlag erschienenen Bildbands mit Michelangelo-Skulpturen wird gezeigt, wie wirkungsvolle Detailaufnahmen unsere Sicht von Kunstwerken mitprägen.

Sonntag 15. Mai 2022, 15:00 im Hesse Museum Gaienhofen im Rahmen des Internationalen Museumstags
„Die kleine Spanne S p i e l“. Vortrag und szenische Performance von Marie Luise Hinterberger und Brigitte Krauss.

Donnerstag 19. Mai 2022, 18:30 im ZFP Konstanz-Reichenau
Vortrag von Prof. Dr. Klaus Hoffmann über „Künstler im Bellevue“,
moderiert von Siegmund Kopitzki.

Sonntag 19. Juni, 11:00 im Hesse Museum Gaienhofen
„Der Gartenzwerg“ Vortrag von Oswald Burger, Überlingen und Lesung von Heinke Hartmann, Konstanz. Bis zuletzt schrieb Ilse Schneider-Lengyel an ihrem Roman „Der Gartenzwerg“. Zur Finnisage stellt Oswald Burger das Manuskript vor und berichtet über die Freundschaft Ilse Schneider-Lengyels mit Gerhard Köpf. Heinke Hartmann liest aus dem unveröffentlichten Roman

Ausstellung und Vortragsprogramm werden veranstaltet vom Hesse Museum Gaienhofen und der Literarischen Gesellschaft Forum Allmende und gefördert von der Stadt Konstanz, der Sparkasse Hegau-Bodensee und der ALG (Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften).