Im Schatten der Pandemie: Göttlicher Segen über der Stadt

Während sich die Gebetshäuser der Amtskirchen weiter leeren, hält der Run auf andere Glaubensangebote unvermindert an, auch in Konstanz. In den alten Rieter-Werken bietet die pfingstlerische Freikirche Hillsong Church ihre sonntäglichen Gottesdienste an, bei denen sich oft über tausend meist junge Menschen einfinden. Am 28. März wollte Hillsong ihren „Serve The City Day“ abhalten, teilweise mit Unterstützung städtischer Einrichtungen. Doch daraus wird wohl nichts.

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Seit einiger Zeit schon bieten Mitglieder der christlichen Glaubensgemeinschaft Nachbarschaftsdienste in unterschiedlichen Konstanzer Wohngebieten an. Freundliche und fast ausnahmslos junge Leute organisieren Nachhilfe inklusive Mittagessen, putzen, helfen bei Umzügen oder mähen den Rasen. Zudem halten sie Kurse für junge Mädchen und Frauen ab, um sie, so ist auf der Webseite der Gruppe nachzulesen, „auf ihre wesentliche Bestimmung vorzubereiten und ihr volles Potenzial zu erkennen“. Dazu gehört unter anderem: Kein Sex vor der Ehe, ein gottgefälliges Leben, rund um die Uhr „den Menschen dienen“. Angeblich kooperiere man dabei auch mit Konstanzer Schulen, wofür es aber derzeit noch keinen Beleg gibt.

Keine Seniorenbeglückung

Vorgesehen war, „die Liebe Jesu“ am 28.3. auch in weitere städtische Einrichtungen tragen. Dafür habe sich „die gesamte Church“ fünf Projekte ausgesucht. Mit dabei: das Luisenheim, „in dem wir die Ehre haben, ein Nachmittagsprogramm für die Bewohner gestalten zu dürfen“. Geplant ist der Auftritt eines Kinderchors der Religionsgemeinschaft, dazu Kaffee mit Kuchen und ein Spielenachmittag. Damit möchte man die „vorherige Generation ehren“ und dafür sorgen, „dass wir durch diesen Nachmittag die Liebe von Jesus praktisch anfassbar machen können.“

Auf seemoz-Anfrage erklärte Ralf Veit, Leiter des Luisenheims, „nette junge Leute“ seien auf ihn zugekommen und hätten angeboten, den Senioren „einen schönen Nachmittag“ zu bescheren. Einwände habe er nicht, denn das sei ja wohl ein ehrenwertes Unterfangen. Anderntags aber wurde unserer Redaktion mitgeteilt, dass man vom Angebot der Hillsong Church doch lieber Abstand nehmen möchte. Über Nacht hat man wohl aufgrund unserer Nachfrage genauer recherchiert, worum es den religiösen Eiferern in der Hauptsache geht: Werbung für ihre umstrittene Organisation, gute PR für einen Auftritt in einem städtischen Seniorenheim. Der Auftritt dort ist nun, auch nach Intervention von Sozialbürgermeister Andreas Osner und Stiftungsdirektor Andreas Voß endgültig abgesagt. Osners Klartext: Für Mitgliedergewinnung werde man der Hillsong Church, „auch wenn diese in caritativen Gewändern daher kommen“, die städtischen Einrichtungen nicht öffnen.

Teilerfolg, dank Bürgeramtsleiterin Anja Risse

Mit der Notunterkunft für Obdachlose im Haidelmoosweg haben sich die gottesgläubigen Seelensammler ein weiteres Projekt ausgesucht. „Durch Sponsoring mit der Stadt Konstanz“, behaupten sie, dürften sie beim Umbau des Gebäudes tätkräftig mitwirken. Auch hier gilt das Credo der religiösen Überzeugungstäter: „…unsere Stadt sichtbar zu verschönern und den Menschen von Konstanz zu dienen (…) und die Botschaft von Kreuz = Liebe“ in die Stadt tragen zu dürfen.

Für die Notunterkunft im Haidelmoosweg ist das Bürgeramt Konstanz zuständig. Auf Anfrage meldet sich Anja Risse, Leiterin dieser Behörde. Mitglieder der Hillsong Church hätten ihre ehrenamtliche Tätigkeit angeboten und das sei ja, so Risse am Telefon, „für die Stadt völlig unproblematisch“. Der Hinweis darauf, dass die Jesusjünger aus dem Luisenheim auf bürgermeisterliche Anordnung wieder ausgeladen wurden, interessiert Frau Risse nicht. Aber ziemlich sicher sorgt die derzeitige Pandemie dafür, dass allen Aktivitäten der Glaubensgemeinschaft ein Riegel vorgeschoben wird.

H. Reile

Die Hillsong Church

Die „Mega-Church“ (Großgemeinde) wurde 1983 im australischen Sydney von Brian und Bobby Houston gegründet. Einen Vorläufer der Hillsong Church rief Brian Houstons Vater William Francis Houston (1922-2004) ins Leben. 2001 wurde bekannt, dass Houston senior zahlreiche Jugendliche sexuell misssbraucht hat, doch vor Gericht musste er sich nicht verantworten.

Weltweit zählt Hillsong rund 100 000 Mitglieder, verteilt auf ca. 80 Standorte in 19 Ländern. Ableger existieren u.a. in Zürich, München, Düsseldorf und Konstanz.
Die „Gottesdienste“ sprechen überwiegend junge Leute an und sind geprägt von rockiger „Lobpreis“-Musik, die zur spirituellen Erweckung beitragen soll. Die Hillsong-Bands „United“ und „Worship“ geben weltweit Konzerte und gelten als Marktführer in der christlichen Musik. Produziert wurden insgesamt 40 Alben, etwa 15 Millionen Tonträger sollen verkauft worden sein.

Alleine 2016 hat Hillsong in Australien geschätzte 100 Millionen Dollar eingenommen, steuerbefreit, weil dort Hillsong als Kirche anerkannt wurde. Wohin die enormen Einnahmen gehen, ist weitgehend unklar.

Hosianna und Halleluja am Bodensee

Seit 2005 ist die dubiose Glaubensgemeinde schon in Konstanz aktiv. Damals bat die „Lakeside Church“ noch im Kulturzentrum K9 zum sonntäglichen Gottesdienst der evangelikalen Art. Eines dieser Treffen hatte auch unser Autor besucht und seine Eindrücke protokolliert. Die Glaubensinhalte haben sich seitdem nicht geändert, aber die Gemeinde ist zahlenmäßig enorm gewachsen und verzeichnet weiter Zuspruch. Sein damaliger Bericht über das Treiben evangelikaler Einpeitscher und hysterisierter Jugendlicher kann hier nachgelesen werden.