Impfskeptiker, Impfverweigerer und Corona-LeugnerInnen

ImpfverweigererRund 1200 Menschen versammelten sich vergangenen Samstag im Herose-Park, um unter anderem gegen die Corona-Maßnahmen zu demonstrieren. Aufgerufen dazu hatte die Initiative „Studenten stehen auf“ unter dem Motto: „Wir sind die rote Linie“, „Für einen freien Zugang zu Bildung für alle“. Vom beschwerlichen Versuch, mit VertreterInnen der höchst unterschiedlichen Gruppen ins Gespräch zu kommen.

Schon von weitem wummern laute Basstöne über das Gelände, dazu sind immer wieder Rufe zu hören: „Widerstand, Widerstand“. Am Eingang zum Park haben sich Polizeikräfte versammelt. Dort auch ein Stand von „Studenten stehen auf“, an dem das wöchentlich erscheinende Blatt „Demokratischer Widerstand“ ausliegt, das sich als „Stimme der kritischen Intelligenz“ bezeichnet und dessen Chefredakteur der bundesweit bekannte Corona-Leugner Anselm Lenz ist. Auf der Rückseite des Blattes eine unverhohlene Drohung: „Wer eine friedliche Revolution verhindert, macht eine gewaltsame Revolution unausweichlich“.

Gegen 16 Uhr wird die Demo offiziell von einem „Friedenschor“ eröffnet, der sich nach Kräften bemüht: „Gloria, Gloria“ ist zu hören, anschließend „We shall overcome“, vorgetragen von meist älteren TeilnehmerInnen der Veranstaltung, die auf dem Platz deutlich in der Mehrheit sind. Vor der aufgebauten Bühne staut sich die Menge, dicht gedrängt und Schulter an Schulter, fast alle ohne Maske, kontrolliert wird hier nicht. Daneben ein wackeres Häuflein tatsächlich junger Leute mit Masken, die auf Plakaten deutlich dazu aufrufen, sich doch einfach impfen zu lassen. Sie müssen sich Vieles anhören von den meist emotionsgeladenen DemoteilnehmerInnen: „Büttel der Pharmaindustrie“ ist noch das Freundlichste, was ihnen entgegen schallt.

Auf der Bühne erscheint Stef Manzini, die sich als freie Mitarbeiterin der Überlinger Südkurier-Redaktion vorstellt. Sie kritisiert unter lautem Beifall die einseitige Berichterstattung in den Medien. Die Gefahr einer Impfung werde verschwiegen, die Sprache sei durchweg tendenziös und erinnere sie an das Prinzip der drei Affen: „Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen“. Bei diesen Verlautbarungen kochen die erregten Widerstands-Seelen hoch, frenetische Zustimmung. Die nimmt allerdings sehr deutlich ab, als die Rednerin betont, von „Lügenpresse“ wolle sie trotz allem nicht reden, „Lückenpresse“ sei wohl angebrachter, denn sie kenne viele KollegInnen, die ihr – noch insgeheim – zustimmten. Um das allgemeine Meinungsbild zu schärfen, habe sie nun unlängst „Josta“ – „Journalisten stehen auf“, gegründet und wolle damit dafür sorgen, die manipulative Berichterstattung auch im Südkurier umgehend zu ändern.

Meine Bemühungen, mit DemonstrantInnen ins Gespräch zu kommen, gestalten sich als äußerst schwierig. Alleine die Tatsache, dass ich eine Maske trage, ordnet mich ein in die Abteilung derer, die beabsichtige, das Land „zusammen mit einer korrupten Politik“, schnurstracks in einen „faschistischen Staat“ zu führen. Keine Frage: Natürlich gibt es berechtigte Kritik an oft wenig durchdachten und teilweise völlig überzogenen Maßnahmen, und man kann und soll auch über eine angedachte Impfpflicht diskutieren – aber ein konstruktiver Diskurs darüber ist an diesem Samstag einfach nicht möglich. Da spielt die aktuelle Verlautbarung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann, an eine schrittweise Rücknahme der Corona-Maßnahmen sei „bis Ostern“ nicht zu denken, den Corona-Ignoranten in die Hände. Mittlerweile rudert er zurück, ein Schaden bleibt.

„Verpiss Dich, Du Schlafschaf“, höre ich des öfteren, und als dann noch einer höchst erregt erklärt, „das ist einer von seemoz“, wird es mir dann doch zu brenzlig. Ich ziehe mich langsam zurück, begleitet vom lauten Gebimmel eidgenössischer Corona-LeugnerInnen, die zentnerschwere Kuhglocken mit sich herum schleppen. Diese Heimsuchung, und dazu gehört auch die Schweizer Truppe „Mass voll“, zählten zu den aggressivsten DemonstrantInnen an diesem Samstag. Diesen Eindruck hatte auch Frank Otto Hinkelmann, der die Demo angemeldet hatte und sich in Zukunft damit beschäftigen muss, wie er sich diese grenzüberschreitende Seuche aus dem befreundeten Nachbarland vom Halse hält.

Warum sich Aurelia Scherrer, freie Mitarbeiterin beim Konstanzer Südkurier, und meist damit beschäftigt, über das Befinden der hiesigen Fasnachtsvereine und des Einzelhandels zu berichten, dazu aufgerufen fühlte, anderntags zu schreiben, die Demo sei „friedlich“ und nahezu „vorbildlich“ verlaufen, bleibt wohl persönlich ihr ziemlich tiefes Geheimnis. Gut möglich, dass sie den Auftrag hatte, einen eher beschwichtigenden Text zu verfassen, der allerdings mit der allgemeinen Stimmung auf dem Platz wenig bis nichts zu tun hatte.

Mein subjektiver Eindruck: Ein Großteil dieser Leute ist nur noch schwer ansprechbar für einen konstruktiven Diskurs. Sie fühlen sich auserkoren, und das hat fast schon einen sektoiden Charakter, dem Rest der Welt erklären zu wollen, wie falsch sie liegt.Verharmlosen sollte man diese Bewegung von außer Rand und Band geratenen KleinbürgerInnen nicht. Sie aber der Einfachheit halber alle unter Nazi-Verdacht zu stellen, ist eher kontraproduktiv und entspricht auch nicht den Tatsachen. Ob sie dennoch, wenn sich der Erregungsnebel etwas lichtet, für eine vernünftige Debatte zu haben sind, wird sich weisen – auch in Konstanz. Ein zweiter Eindruck: Viele kamen aus dem Konstanzer Hinterland, der Schweiz und auch aus Bayern und darüber hinaus. Längst hat sich eine Art Anti-Corona-Maßnahmen-Tourismus entwickelt, der auch andernorts zu beobachten ist.

Kritisch zu hinterfragen ist aber der Veranstalter „Studenten stehen auf“. Über dieses Etikett wird der Eindruck vermittelt, vor allem StudentInnen vom Gießberg stünden hinter den Protesten. Das ist nachweislich nicht der Fall. Diese Initiative hat nämlich in anderen Städten keinerlei Probleme, sich bei ihren angeblich studentischen Protesten mit Rechtsradikalen zu verbrüdern.

Klar, dass auch Gerry Mayr vor Ort war. Der selbsternannte Abenteurer und Konstanzer „Querdenker“ der ersten Stunde hat allerdings auch in seinen verschwörungstheoretischen Kreisen gewaltig an Reputation verloren und wird von früheren WegbegleiterInnen mittlerweile als „Pausenclown“ der Corona-LeugnerInnen bezeichnet. Dieser Eindruck wird verstärkt durch folgenden Eintrag, den Mayr kürzlich auf einer seiner vielen Webseiten zum Besten gab:

„Aus der Geschichte nichts gelernt.



Wie bereits im Mittelalter kommt die obere Klasse der Politiker und Verwaltung zusammen und richtet Menschen auf dem Scheiterhaufen.
 Und dem Vorwand der Pandemie werden hier in der Stadt Konstanzer Bürger, welche einer anderen Meinung sind hingerichtet.
(…)
Die Hexer und Hexen sind die Freidenker, Querdenker, Denker, Studenten stehen auf – aufständischen Bürger, die nicht die Meinung und Angst der oberen Klasse teilen.
(…)
Zu viele Jan Hus bekamen einen Aluhut auf und wurden in Konstanz auf dem Scheiterhaufen getötet, es wird Zeit, dass diese Stadt durch Liebe, Freiheit, Toleranz in die Geschichtsbücher eingeht.

Am 6. Juli 1415 bekam der Theologe Jan Hus einen stilisierten Hut aufgesetzt, auf dessen Papier die Teufel kreisten. Dann wurde er vor die Tore von Konstanz auf den Scheiterhaufen geführt und verbrannt“.

Bliebe abschließend die Frage: Wer holt den reinkarnierten Jan „Gerry“ Hus ab und führt ihn, damit die vom Widerstandsgeist gebeutelte Seele zumindest vorläufig etwas Ruhe findet, symbolisch zum Hussenstein? Diesen Märtyrerstatus, nach dem er sich so sehr sehnt, sollten wir ihm dann doch gönnen.

Text und Bilder: H. Reile