In die Konstanzer Kultur gestolpert
Seit Dezember 2021 betreibt der 27-Jährige Moritz Schneider den Kulturkiosk Schranke. Er liegt, wie der Name schon sagt, direkt an der Schranke der Fahrradstraße nahe dem Petershauser Bahnhof. Täglich radeln hier mehrere tausend FahrradfahrerInnen entlang. Moritz spricht im Interview über ein neues Angebot, das speziell den KonstanzerInnen gilt und warum die Gedanken zu Raumverteilung von Rousseau auch heute noch aktuell sind.
seemoz: Wer steckt hinter dem Kulturkiosk Schranke?
Moritz Schneider: Ich bin Moritz und habe letztes Jahr den Kulturkiosk eröffnet. Ich bin der Besitzer und Geschäftsführer. Natürlich mache ich das nicht alles alleine. Das war auch nie meine Intention. Ursprünglich wollte ich den Kiosk auch gar nicht alleine kaufen, sondern mit einem Team zusammen. Das hat sich auf die Schnelle aber nicht ergeben und so bin ich das Risiko alleine eingegangen.
seemoz: Du hast Geografie im Bachelor studiert und machst gerade deinen Master in Soziologie und Ethnologie an der Uni Konstanz. Jetzt bist du plötzlich in der Gastronomie und Geschäftsführer. Macht dir das Spaß?
Moritz Schneider: Ehrlich gesagt habe ich mich noch nicht sooo viel mit Buchhaltung und Geschäftsführung auseinandergesetzt (grinst). Aber grundsätzlich habe ich schon Spaß mit Zahlen und natürlich habe ich eine Verantwortung und möchte zusehen, dass ich nicht die ganze Zeit mehr Geld in das Projekt stecke, als dann dabei herauskommt. Mein Studium rückt durch die Arbeit am Kulturkiosk ein bisschen in den Hintergrund. Ich bin an einem Punkt, an dem ich mir klar mache, dass ich das Studium nicht nur wegen des Titels, sondern vor allem für das Wissen mache und dafür nehme ich mir ein bisschen Zeit. Ich habe Lust auf Austausch, Input und Inspiration. Ich möchte etwas machen, das mir Kraft gibt und beschäftige mich oft mit den Fragen, was uns dieser Apparat von Institutionen, Zertifikaten und Abschlüssen eigentlich bringt. Ich möchte mich lösen von institutionalisiertem Zwang und der Deutungshoheit, die Abschlüssen zugeschrieben wird.
Ein Crowdfunding-Projekt
seemoz: Wie hast du den Kauf und die Renovierung des Kulturkiosk finanziert?
Moritz Schneider: Als der Preis von 60.000 Euro für das Häuschen klar war, musste ich schnell handeln, denn es gab auch andere InteressentInnen. 15.000 Euro habe ich von meinen eigenen Ersparnissen genommen, 20.000 Euro kamen von meiner Mutter, 30.000 Euro habe ich ohne direkte Rückzahlungspflicht von einem Freund bekommen. Ich kann das Privatdarlehen nach und nach zurückzahlen. Im Dezember letzten Jahres lief über die Plattform startnext.com außerdem ein Crowdfunding. Darüber haben wir 17.504 Euro einnehmen können.
seemoz: Was passiert mit dem Geld vom Crowdfunding?
Moritz Schneider: Tatsächlich sind wir mit vielen Investitionen in Vorkasse gegangen, das heißt das Crowdfunding zahlt uns erst mal unser Geld zurück. Von dem Geld haben wir Heizung, Fliesen und Elektrik finanziert. Außerdem hat es dann noch gereicht für eine tolle Siebträger-Kaffeemaschine, einen Backofen und eine Spülmaschine.
seemoz: Woher wusstest du, dass der ehemalige Dönerladen zum Verkauf steht?
Angebote zu schaffen, den Garten schön zu gestalten – das sind unsere Wünsche und Ziele
Moritz Schneider: Der erste Impuls kam von einem Freund, der schon von mir gehört hatte, dass ich mir diesen Ort so gut als Treffpunkt für KonstanzerInnen vorstellen könnte. Hier wohnen viele Studenten in den Jägerkasernen, und die Fahrradstraße fahren täglich so viele Leute entlang. Ich glaube das ist eine riesige Kaufkraft, die dahinter steckt. Für diese Zielgruppe Angebote zu schaffen, den Garten schön gestalten – all das sind unsere Wünsche und Ziele. Ich bin letztes Jahr zu dem ehemaligen Besitzer Azadin Tayar gegangen und habe angefragt. Als er sagte, dass der Dönerladen schon verkauft ist, war die Chance verpasst. Über den Sommer war Azadin dann aber immer noch da und ich bin immer wieder zu ihm hin. Es stellte sich dann heraus, dass der ursprüngliche Verkäufer abgesprungen war. Durch meine ständige Präsenz, habe ich dann glaube ich letztlich, trotz anderer InteressentInnen, den Zuschlag bekommen. „Alles klar, verkauft“, hat er gesagt.
seemoz: Wie seid ihr dann an den erweiterten Vorplatz gekommen?
Moritz Schneider: Über das Jugendforum kenne ich Gabi Weiner aus dem Gemeinderat. Sie hatte von dem Crowdfunding erfahren und durch ihre Kontakte ermöglicht, dass die Stadt uns mit dem Vorplatz entgegenkommt.
seemoz: Wie viel kostet das?
Moritz Schneider: Der momentane Vertrag sieht vor, dass wir sechs Prozent des Nettoumsatzes für die Miete bezahlen, mindestens jedoch 500 Euro monatlich. Je nachdem wie hoch der Umsatz ist, kann das auch ganz schön viel werden. Für mich ist das nicht das attraktivste Konzept muss ich sagen, aber die Stadt hat auch mit anderen Kioskgebäuden solche Vereinbarungen. Ich verstehe auch, dass es da eine Gleichbehandlung braucht und hoffe aber, dass wir die Stadt mit unserem Konzept weiterhin überzeugen können und so möglicherweise weitere Förderungen erhalten.
Ich stelle mir vor, dass wir ein ehrenamtliches Projekt aufziehen
seemoz: Ihr habt diesen tollen Garten zur Verfügung! Was macht ihr damit?
Moritz Schneider: Der Garten birgt wirklich viel Potenzial, aber bis wir da wirklich etwas gestalten können, braucht es noch etwas Zeit und Arbeit, denn für viele Ideen gibt es bürokratische Hürden. Das ist leider nicht einfach mal so gemacht. Aber ich stelle mir vor, dass wir ein ehrenamtliches Projekt aufziehen, Hochbeete und Möbel bauen und den Garten schön machen. Wenn wir dann noch eine Förderung bekommen, könnten sich langfristige Optionen ergeben, um den Gästen auch eine Bewirtung im Garten anzubieten. Bis dahin bleiben wir flexibel kreativ.
seemoz: Der Kulturkiosk Schranke hat seit dem 4.12. geöffnet. Nach ein paar Wochen Winterpause seid ihr seit dem 31.1. wieder für eure Gäste da. Hat sich schon eine Art „Kioskverhalten“ entwickelt? Ich habe die romantische Vorstellung, dass der Kulturkiosk ein Ort ist, an dem ich spontan vorbeifahre und immer jemanden zum Quatschen treffe.
Moritz Schneider: Genau das soll es werden! Das ist es noch nicht, aus verschiedenen Gründen. Zum einen spielt die Pandemie eine Rolle, wobei man sich hier draußen wirklich schon gut treffen kann. Zum anderen ist es noch nicht so ein richtiger Treffpunkt, weil wir noch keine Veranstaltungen umsetzen konnten. Der Treffpunktcharakter fehlt noch, aber wir arbeiten daran mit verschiedenen Ideen: Lesungen, Diskussionsrunden, Workshops oder offene Treffen. Das kann ich mir alles sehr gut vorstellen.
Ich wünsche mir, dass man hier aus seiner Bubble heraustreten kann
seemoz: Welchen Herausforderungen stehst du gegenüber?
Moritz Schneider: Verschiedenen (lacht). Zum einen wünsche ich mir an diesem Ort eine gesellschaftliche Durchmischung und dass man hier aus seiner Bubble heraustreten kann. Und was mich auch sehr beschäftigt, ist das Thema Lebensmittel und Preise. Ich habe da einen wertvollen Austausch mit Martina Vogl vom Voglhaus, denn sie vertritt ähnliche Werte von Lebensmittelqualität wie ich. Die Erkenntnis ist: Konsequent biologische Lebensmittel anzubieten, kostet und schlägt sich daher auch in den Preisen nieder.
seemoz: Wie wurdet ihr in der Nachbarschaft aufgenommen?
Moritz Schneider: Nebenan wohnt Henry in seinem kleinen Garten direkt am Gleis, das ist ein ganz lieber Kerl und ein super Nachbar. Dann haben wir hier direkt um die Ecke das ehemalige Telekom-Gebäude, da wird sich jetzt eine neue Nachbarschaft ergeben. In den Jägerkasernen haben wir viele Studis, die sich über uns freuen. Bisher war die Resonanz sehr positiv. Im Grunde sind auch all die FahradfahrerInnen unsere Nachbarn. Denn auch davon wird dieser Ort hier leben.
seemoz: Wie schätzt du das Konstanzer Kulturverhalten ein?
Moritz Schneider: Das Kulturverhalten der Konstanzer erinnert mich sehr an Hochkultur. Also Theater, Philharmonie – ein Begriff, den man auch aus der Kulturwissenschaft so kennt. Für mich bedeutet Kultur aber etwas ganz anderes: Die Gewohnheiten, wie wir miteinander umgehen, wie wir uns begrüßen, verabschieden und fremden Menschen begegnen. Am Kulturkiosk Schranke wollen wir eine Kultur des Miteinanders statt des Gegeneinanders leben. Dabei kann der Kiosk einen Rahmen geben, der von euch mit Leben und dieser Kultur gefüllt wird. Wir bieten einen Ort, an dem „niederschwellige“ Kultur erlebbar ist. Man geht zur Tür hinaus und stolpert direkt in die Kultur hinein, ohne es zu bemerken. Ohne aktiv Eintritt fürs Museum oder die Oper zu bezahlen. Für mich ist das auch ein Prozess des Kulturwandels, der sich fortlaufend weiterbildet und jeden Menschen dazu ermächtigt, kulturschaffend zu sein und sich zu beteiligen.
seemoz: Inwiefern beeinflusst dich dein geographischer Hintergrund?
Moritz Schneider: Tatsächlich sehr! Räume und Stadtwandel sind für mich super prägnante Themen, vor allem in der Hinsicht, dass man damit auch gesellschaftlichen Wandel voranbringen kann. Wie kann man Räume beleben, welche Art und Weisen des Zusammenlebens gibt es und was wird tatsächlich auch umgesetzt? Ein Beispiel: In unseren Gefilden ist Raum so organisiert, dass bestimmte Menschen die Macht haben, Entscheidungen darüber zu treffen, wer welchen Raum nutzen darf und wofür. Die Seepromenade an der Seestraße ist beispielsweise für alle frei zugänglich, aber ansonsten ist der See kaum frei von Privatflächen. Und das nur, weil Personen Kapital besitzen, das ihnen das Recht zuspricht, diesen Raum für sich in Beschlag zu nehmen. Es gibt da ein Zitat von Rousseau, das ich sehr passend finde:
Der erste, der ein Stück Land mit einem Zaun umgab und auf den Gedanken kam zu sagen „Dies gehört mir“ und der Leute fand, die einfältig genug waren, ihm zu glauben, war der eigentliche Begründer der bürgerlichen Gesellschaft. Wie viele Verbrechen, Kriege, Morde, wie viel Elend und Schrecken wäre dem Menschengeschlecht erspart geblieben, wenn jemand die Pfähle ausgerissen und seinen Mitmenschen zugerufen hätte: „Hütet euch, dem Betrüger Glauben zu schenken; ihr seid verloren, wenn ihr vergesst, dass zwar die Früchte allen, aber die Erde niemandem gehört.
Die Organisation von Raum ist ein hoch politisches Thema.
seemoz: Du hast auch eine Ausbildung zum Erlebnispädagogen in Freiburg gemacht.
Moritz Schneider: Ja und gerade mache ich auch noch eine Ausbildung für Themenzentrierte Interaktion (TZI). Das ist wirklich sehr spannend! Da geht es um „The Art of Leading“, also die Kunst des Leitens. Es geht darum, sich selbst zu leiten, aber auch Gruppen auf Augenhöhe und partizipativ zu führen. Wovon lasse ich mich leiten? Wie treffe ich Entscheidungen? Diese Fragen begleiten einen in dieser Ausbildung. Ich kann diese Ausbildung sehr gut auf den Kiosk anwenden, denn es geht nicht nur um Gruppengefüge, sondern auch um Gemeinschaftsprozesse. Am Kiosk kann ich das direkt in die Praxis umsetzen.
seemoz: Was bietet der Kiosk an?
Moritz Schneider: Wir vereinen drei Elemente. Es gibt den Mittagstisch mit Essen. Dann bieten wir Kaffee, Tee und Kuchen an und wir haben ein kleines Repertoire an Zeitschriften, Tabakwaren und Kioskartikeln. Bei den Kioskartikeln könnte ich mir gut vorstellen, eine Plattform für Kleinkunst aus der Region zu werden für Selbstgemachtes zum Verkauf.
seemoz: Die Pandemie trifft wirtschaftlich vor allem auch die Gastronomie. Ist es nicht ein bisschen waghalsig, in Pandemie- und Lockdown-Zeiten ein gastronomisches Angebot aufzubauen?
Moritz Schneider: Manchmal sind Mut und Leichtsinn nah beieinander (lacht). Ich habe hier eine Chance wahrgenommen und möchte langfristig denken. Gerade in einer Pandemie sind Orte der Begegnung unheimlich wichtig. Ich glaube an Austausch und auch daran, unangenehme Themen kontrovers zu diskutieren. Am Kulturkiosk wird ein Spiegel- und Resonanzraum geboten. Gerade in diesen Corona-Diskussionen müssen wir wieder lernen, uns gegenseitig zu verstehen. Menschen leben und nehmen nach ihren gemachten Erfahrungen wahr. Das sollten wir immer im Hinterkopf behalten. Es gibt von Gordon Allport die sogenannte Kontakthypothese, die besagt, dass sich Meinungen von Personen nur ändern, wenn sie mit anderen ethnischen Gruppen in Kontakt treten und im besten Fall auch ein gemeinsames Ziel verfolgen. Ich bin ein großer Fan dieser Perspektive.
seemoz: Was ist das Besondere am Kulturkiosk Schranke?
Moritz Schneider: Das Besondere ist, dass hier nicht nur Begegnung stattfindet, sondern die Begegnungen auch beabsichtigt sind.
seemoz: Aus touristischer Sicht mag es schönere Orte in Konstanz geben. Ihr liegt direkt an den Gleisen, das große Telekom-Gebäude wirkt sehr ungemütlich, hier ist direkt eine große Straße …
Moritz Schneider: Ja, das ist sicher auch etwas Besonderes: unsere Zielgruppe sind die KonstanzerInnen und die Menschen, die hier leben. Nicht die Touristen. Willkommen sind aber alle!
Das Gespräch führte Linda Lengler, die Bilder stammen ebenfalls von ihr
Ja, das ist wirklich eine super Idee! Viel Glück, Freude und Erfolg damit! Und herzlichen Dank für den schönen Artikel. Wir kommen ….
Super Sache! Das sind die Ideen der Gegenwart und der Zukunft. Und Maggis Mittagstisch ist grandios. Sie kocht mit Liebe und Erfahrung, das schmeckt man!