In Hambach ist die Polizei, die in Chemnitz fehlte

Es waren wohl annähernd 400 Menschen, die letzten Freitag in Konstanz für den Erhalt des Hambacher Forstes und für einen effektiven Umschwung in der Klimapolitik durch die Konstanzer Straßen zogen, um am Büdingen-Areal zu demonstrieren. Dort, wo ebenfalls jahrhundertalte Bäume bedroht sind, forder­ten verschiedene Redner einen Ausstieg aus der Kohlegewinnung. Beispielhaft auf den Punkt brachte es Simon Pschorr von der Linken, dessen Beitrag wir dokumentieren:

Sehr geehrte Damen und Herren,

Albert Einstein wird das Zitat zugerechnet: „Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit. Aber beim Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.“

Was gerade im Hambacher Forst passiert, belegt wieder einmal eindrücklich, wie schlau dieser Mann gewesen ist und wie recht er doch hatte. Warum gerade der Hambacher Forst? Das hat zwei Gründe:

Die Vorgänge im Hambacher Forst zeigen, wie schlecht unser Gesellschaftssystem dafür geeignet ist, Freiheit zuzulassen und Kritik zu ertragen. Mit einem gewaltigen Polizeieinsatz von bis zu 4000 Einsatzkräften ist vor Ort die Staatsgewalt in der Lage, mit Zwang die Interessen des Energieriesen RWE durchzusetzen – da geht es um Egoismus, um Raubbau an unserer Natur alleine zu Gunsten des Profits der Aktionäre. Für Firmeninteressen stehen in Deutschland scheinbar unbegrenzte Ressourcen zur Verfügung; macht sich die Staatsgewalt zum Büttel. Heute hatte die Konzernspitze sogar die Dreistigkeit, von der Bundesregierung ein Machtwort einzufordern – der Hambacher Forst sei ja eh nicht zu retten.

Zum Vergleich: In Chemnitz, da ging es nicht um Gier und Macht, sondern es ging um den Schutz von Menschen mit Migrationshintergrund, die sich dem entfesselten Zorn der rechtsradikalen, geifernden Menge ausgesetzt sahen, die sich selbst für das Volk hält. Da hat man es gerade einmal geschafft, knapp 600 Polizistinnen und Polizisten auf die Straße zu bekommen. Es war offenbar nicht im Interesse des sächsischen Innenministeriums, den fremdenfeindlichen Verbrechen auf öffentlicher Straße Einhalt zu gebieten. Um gegen den friedlichen Protest von Umweltschützerinnen und Umweltschützern vorzugehen, dafür haben wir dann Polizei.

Aber noch viel rücksichtsloser als wir Menschen gegeneinander sind, sind wir der Natur gegenüber. Kaum ein Tier weltweit würde so weit gehen und seine eigene Lebensgrundlage vernichten. Nur Bakterien überfressen sich so lange, bis alle Nahrung in der Umgebung aufgebraucht und die Population zur Ausrottung verdammt ist. Aber was machen diese Egoisten von RWE: Holzen einen 12.000 Jahre alten Wald ab, um die darunter befindliche Braunkohle zu gewinnen. Das muss man sich am auf der Zunge zergehen lassen: Da wird ein CO2-Speicher vernichtet, um daraufhin noch mehr CO2 in die Atmosphäre blasen zu können. Nicht nur wegen des diesjährigen Rekordsommers könnten wir doch wissen, wie gefährlich das ist. Aber nein: Einen Atomausstieg haben wir mit Hängen und Würgen gerade noch geschafft, ein Braunkohleausstieg liegt politisch in weiter Ferne. Wollen wir wirklich Klimaschutz als halbe Sache? Es ist eine Frage der Klugheit, nicht nur einen Schritt, sondern auch den zweiten zu gehen.

Liebe Freundinnen und Freunde, Sie sind heute alle hier, weil Sie nicht verstehen, wie einige wenige mit ihrem unbegrenzten Egoismus so weit kommen. Ich verstehe das auch nicht! Ich möchte das auch nicht länger zulassen! Wir sagen deshalb: Lasst die Bäume stehen. Lasst den Hambacher Forst leben. Lasst uns gemeinsam über alternative Energieträger und zukunftsfähige Projekte für eine saubere Umwelt nachdenken. Und schließlich: Wir brauchen ein zukunftsfähiges Wirtschaftssystem, das statt Egoismen das Wohl Aller im Blick hat! Das dürfen wir nicht in die Zukunft schieben – das haben wir schon viel zu lange gemacht –, die Verantwortung tragen wir heute.

Die Erde vor einem menschengemachten Klimawandel zu retten, geht nur, wenn wir uns in Zukunft kohlefrei mit Energie versorgen. Nicht nur der RWE-Vorstand, sondern auch das Fraunhofer-Institut haben heute eine echte Schlagzeile geliefert! Das Fraunhofer-Institut hat im Auftrag von Greenpeace heute bestätigt: Bis 2030 könnten wir das schaffen! Das ginge sogar ausdrücklich, ohne den Hambacher Forst vorher roden zu müssen. Aber eine Voraussetzung ist unabdingbar: Wir müssen nur wollen!

Sie wollen. Ich will es auch. Hier stehen wir heute gemeinsam, damit es die Bundesregierung auch will.

Vielen Dank.

Simon Pschorr

(Foto: hpk)