„Ins Orchester investiertes Geld ist gut investiertes Geld“

Das ist schon etwas Besonderes: Ein Parlamentarier entschuldigt sich bei den Wählern. So geschehen in der letzten Sitzung des Konstanzer Orchesterausschusses, in der es um die Mitschuld der Verwaltung, des Intendanten, aber auch des Gemeinderates am Defizit der Philharmonie ging. Anselm Venedey von den Freien Wählern (s. Archivbild) fand mutige Worte und erntete berechtigten Applaus. Venedeys Einwurf im Wortlaut:

„Was soll zur Causa Philharmonie noch gesagt werden, das nicht in den letzten Tagen schon in den Medien stand oder soeben im Rat diskutiert wurde? Welchen Rücktritt sollen wir noch fordern, welche Maßnahmen, um die Finanzen richtig kontrollieren zu können, wobei ich ausdrücklich das ständig falsch gebrauchte Wort „Controlling“ vermeide, das mit dem deutschen Wort ‚Kostenkontrolle‘ herzlich wenig zu tun hat.

Lassen Sie mich etwas anderes in den Mittelpunkt meiner Ausführungen stellen. Unsere eigene Verantwortung an diesem Dilemma:

Der Kultur- und der Orchesterausschuss, dessen Mitglied ich nun auch schon seit bald drei Jahren bin, ist gekennzeichnet durch eine Art Reflex der Verharmlosung von Problemen bei unseren drei großen Kultureinrichtungen Museum, Theater und Philharmonie. Die meisten von uns reagieren bei jeder Unstimmigkeit in den Wirtschaftsplänen oder Haushalten der Institutionen – und ich schließe mich bis zum Juni dieses Jahres leider in diese Gruppe ein- wie das Kaninchen vor der Schlange. „Jetzt bloß nichts Falsches machen- sonst erwischt‘s uns.“ Zu sehr war die Angst, eine öffentliche Diskussion über die Notwendigkeit von Kulturausgaben auch für Theater, Museen und Orchester führen zu müssen, handlungsbestimmend. So erteilten wir immer wieder Absolution, wenn uns nur gesagt wurde, im nächsten Jahresplan würde das Defizit dann wieder geringer oder gar nicht mehr existent sein. (Ich spreche jedoch ausdrücklich nicht über den Pseudoskandal um die Fasnachtskonzerte).

Statt uns auf die Hinterbeine zu stellen, wenn uns Quartalsberichte nicht oder zu spät vorgelegt wurden und Jahresberichte erst im übernächsten Jahr diskutiert werden konnten, lobten wir noch im konkreten Fall bis ins Frühjahr hinein die geleistete Arbeit des Intendanten. Wir hätten die Sitzungen unter Protest verlassen müssen, wenn die erwarteten Zahlen nicht vorlagen oder die Sitzung sofort vertagen sollen. Wir haben uns im Blindflug hinter die Philharmonie gestellt und leider auch erst reagiert, als es eigentlich schon zu spät war.

Ich möchte mich hierfür bei allen Konstanzerinnen und Konstanzer in meiner Funktion als Orchesterausschussmitglied entschuldigen.

Aber ich will gleichzeitig auch dafür werben, dem Orchester jetzt aus dieser Misere zu helfen. Unser Orchester hat es verdient, dass wir es unterstützen, denn es waren zuerst die Musikerinnen und Musiker, die sich an uns wandten und uns sagten: „Liebe Räte, so wie derzeit gewirtschaftet und geleitet wird, fährt der Karren in den Dreck.“ Und die Musikerinnen und Musiker sind es, die uns während des ganzen Aufarbeitungsprozesses immer wieder mit konstruktiven Vorschlägen helfen und signalisieren, dass sie um ihren Arbeitsplatz kämpfen werden.

Ihnen allen vielen Dank hierfür!

Wir müssen dazu kommen, die Wichtigkeit unseres Orchester selbstbewusst vor den Gegnern der fälschlicherweise „Hochkultur“ genannten klassischen Musik zu verteidigen. Wir müssen die Bürgerinnen und Bürger davon überzeugen, dass es ein Gewinn für die Stadt ist, dass unser Orchester in den Schulen spielt, dass es die Stadt in der näheren und weiteren Umgebung ausgezeichnet repräsentiert, dass es ein weicher Standortsvorteil für uns ist, dass es eine Bildungsaufgabe nicht nur für die Schulkinder, sondern auch für uns Erwachsene wahrnimmt, dass es Frauen und Männer beschäftigt, die in unserer Stadt wohnen, leben und Steuern zahlen, die das Kulturleben bereichern, die unseren Kindern Musikunterricht geben und das als hoch ausgebildete Musiker unter in jeder Beziehung schwierigen Umständen.

Richtig ins Orchester investiertes Geld ist für die Stadt gut investiertes Geld! Das gilt selbstverständlich in gleichem Masse für das Theater und die Museen.

Wir haben Frau Häusler (die Interimsintendantin, Anm. d, Red.) gestern in den Fraktionen und heute hier als engagierte, couragierte Frau kennen gelernt, die sich traut, offen auf Defizite in der personellen und materiellen Ausstattung des Orchesters hinzuweisen. Lassen Sie uns jetzt nicht wieder reflexartig jede berechtigte Forderung nach Besserausstattung des Orchesters abschmettern, sondern lassen Sie uns die Gelegenheit nutzen, unsere Philharmonie offener, mutiger zu verteidigen, als wir das bisher getan haben.

Aus gutem Grund mischen wir uns nicht in die künstlerischen Belange der Kulturinstitutionen ein. Das ist im Fall der Philharmonie Aufgabe von Intendantin und Dirigent. Aber immer bei einem Intendanten-Wechsel haben wir die Möglichkeit, Wünsche zu formulieren oder nach unserem künstlerischen Geschmack auszuwählen. Nun war die Not groß, und Frau Häusler konnte glücklicherweise ganz schnell ohne langwierige Ausschreibung und Bewerberrunden zumindest als Interimsintendantin gewonnen werden. Lassen Sie mich deshalb einen Wunsch formulieren, den ich sonst erst wieder bei der Neubesetzung hätte formulieren können: Das Orchester hat in den vergangenen Spielzeiten vermehrt auf das klassische Standardrepertoire gesetzt.

Das mag den meisten Konzertbesuchern entgegenkommen – aber es macht das Profil unserer Philharmonie beliebig. Große Stars und Wiener Klassik, um es einmal ganz einfach zu formulieren, sind nicht der richtige Weg. Einen Großteil dieses Programms könnten die tingelnden Wanderorchester, die gleichzeitig die Musiker ausbeuten, à la Philharmonie der Nationen von Justus Frantz, erledigen. (Was bloß ist aus diesem Mann geworden, der einst unter Leonard Bernstein Schumanns Klavierkonzert wirklich bemerkenswert gespielt hat?).

Nein, wir wollen mehr. Bitte, Frau Häusler und Herr Christopoulos, seien Sie mutig, blicken Sie weit ins musikalische 20. und bitte auch ins 21. Jahrhundert und spielen Sie auch diese großartige neue Musik! Machen sie Konzertbesuche wieder aufregend! Sorgen sie nicht dafür, dass nur glückselig mitgesummt werden kann, sondern dass über Ihre Auftritte diskutiert wird. Schaffen Sie ein Profil, über das man nicht nur wegen überteuerter Altstars spricht, die eigentlich niemand, der etwas davon versteht, mehr sehen will, wie z. B. Mischa Maisky in der nächsten Saison, sondern über das man sprich, weil man neben den Klassikern des Konzertrepertoires auch Unerhörtes, Ungekanntes kennen lernen konnte. Darum bitte ich Sie ganz inständig.

Jetzt will ich nicht verhehlen, dass wir nicht umhinkommen werden, einen Großteil des Defizits aus dem städtischen Haushalt begleichen zu müssen. Aber Frau Häusler, vielleicht wäre es ja genau der richtige Zeitpunkt, um auch die Freunde des Orchesters, die Konzertbesucher und die Sponsoren einzubeziehen, indem man einen Spendenaufruf lanciert, bei dem wir alle beweisen können, dass wir es mit unserer Forderung nach dauerhaftem Erhalt des Orchesters ernst meinen.

Ich gehe gerne voran und spende 1000 Euro für den Ausgleich des entstandenen Defizits, an dem auch ich einen Anteil habe.

Zum Schluss möchte ich noch etwas zum gespenstischen Auftritt des Nochintendanten in den gestrigen Fraktionssitzungen sagen: Immerhin hat er sich gestern getraut – aber gerne hätten wir wenigstens nur ein Wort der Entschuldigung gehört. Stattdessen wurde der Schwarze Peter anderen zugeschoben. Aber ein Wort der Entschuldigung kam leider aus seinem Munde nicht. Hierzu werde ich im nichtöffentlichen Teil noch etwas sagen.

Einen Antrag habe ich noch: Ich stelle den Antrag, rechtlich prüfen zu lassen, ob es möglich ist, das noch ausstehende Gehalt von Herrn Riem bis zur Klärung des Angelegenheit zurückzuhalten.

Frau Häusler, ich wünsche Ihnen und dem Orchester und uns für die ganzen Stadt eine glückliche Hand bei Ihrer schwierigen Aufgabe.“