Integration: Die europäische Lösung ist tot

Rudy „Kuki“ Haenel berichtet von den Aufgaben der IntegrationsmanagerInnen, die die zentralen AnsprechpartnerInnen für Flüchtlinge werden sollen. Außerdem geht es um das geplante Einwanderungsgesetz und den innereuropäischen Zusammenhalt. Zentral für eine gelungene Integration ist aber die Frage der Arbeitsplätze: Einige Unternehmen fordern angesichts des Arbeitskräftemangels ein umfassendes Bleiberecht für Flüchtlinge. Ist das wirklich eine Situation, in der beide Seiten gewinnen können? – Zweiter Teil

Du hast eine Ausbildung zum Integrationsmanager absolviert?
Das Sozialministerium Baden-Württemberg hat vor drei Jahren, gefördert vom Bund, über zehn Millionen Euro bereitgestellt. Damit wurden seitdem rund eintausend Integrationsmanager ausgebildet. Diese Integrationsmanager sollen von den Landkreisen und den Gemeinden angestellt werden und das tun, was zuletzt ehrenamtliche Flüchtlingshelfer gemacht haben.

Beim Landratsamt Rottweil beispielsweise sind circa 12 Personen als IntegrationsmanagerInnen für Flüchtlinge zuständig. Davon sind zwei zum Beispiel zuständig für je eine bestimmte Gemeinde im Kreis. Sie sind die Anlaufstelle für alle Flüchtlinge, die sich dort aufhalten. Sie übernehmen sämtliche Aufgaben wie die Vermittlung von Sprachkursen oder die Sozialberatung.

Ich habe meine Ausbildung im Fernstudium an der Fachhochschule des Mittelstands in Bielefeld absolviert, die sich auf solche Zusatzqualifikationen spezialisiert hat. Das Studium bestand aus sechs Modulen. Eins davon behandelte Grundzüge des Flüchtlings- und Migrationsrechts. Dann gab es zum Beispiel das Case Management, das heißt den Umgang mit Einzelfällen oder Flüchtlingsschutz und Resilienzfähigkeit [das Vermögen, persönliche Krisensituationen zu bewältigen] oder Interkulturelle Kompetenz und Zweitspracherwerb. Ein wichtiges Modul thematisierte Bildung, Beruf und Arbeit, dabei beschäftigst Du Dich mit der sozialen Förderung und Integration von Flüchtlingen in diesen Bereichen.

Ist das eher eine Koordinationsstelle, die mit den ehrenamtlichen Initiativen zusammen arbeitet?
Das kann ich nicht sagen. Zumindest geplant war, dass IntegrationsmanagerInnen als zusätzliche Kräfte fest angestellt und entsprechend bezahlt werden. Ich habe ja einen akademischen Abschluss und langjährige Berufserfahrung als Migrationsanwalt. Ich habe mir damals gedacht, ich mache diesen Abschluss als Integrationsmanager und bewerbe mich dann beim Landkreis Konstanz oder bei der Stadt Konstanz – da freuen die sich, die kennen mich nämlich (lacht).

Es kam aber anders, in der Praxis werden nämlich meistens nicht neue Integrationsmanager zusätzlich eingestellt, sondern bestehende Stellen umgewidmet. Die Mittel werden also von Kreisen und Kommunen dazu verwendet, die Leute, die sie schon haben, aus den neuen Töpfen zu bezahlen und so Geld zu sparen.

Besteht die Gefahr, dass vor Ort gesammelte Erfahrungen verloren gehen, wenn wie in Konstanz die Verantwortung von der Stadt auf Integrationsmanager im Landkreis übergeht?
Die Zentralisierung halte ich für unproblematisch, weil sie sich flächendeckend über den Landkreis verteilen. Aber es sind zu wenig Stellen für all die Aufgaben.

Integrationsmanager sind als Angestellte zum Beispiel beim Landkreis auch Weisungen unterworfen. Sind das damit Leute, die nicht primär das Wohl von Flüchtlingen vertreten, sondern im Zweifelsfall auch Maßnahmen des Landrates gegen Flüchtlinge durchsetzen?
Der oberste Vorgesetzte ist natürlich in diesem Fall der Landrat. Dazu kommt ein direkter Vorgesetzter im Landratsamt.

Du warst auch schon selbst als Ausbilder tätig?
Ja. Mein Fernstudiengang mit 15 Teilnehmern dauerte elf Monate. Gegen Ende meiner Ausbildung wurde ich von der Fachhochschule gefragt, ob ich im Landratsamt Rottweil eine Fortbildung im Migrationsrecht anbieten kann. Dort habe ich bemerkt, welch hoher Bedarf bei den Beschäftigten an der Beantwortung rechtlicher Fragen aus der Praxis besteht. Ich überlege mir, nach meiner Verrentung Seminare für IntegrationsmanagerInnen und FlüchtlingshelferInnen zu geben.

Wie verläuft denn die Integration in anderen europäischen Staaten?
Was in der Öffentlichkeit nicht ankommt, ist, dass das Dublin-System [der Staat in Europa, in dem ein Flüchtling ankommt, ist für dessen Asylverfahren zuständig] ursprünglich einmal von Deutschland initiiert wurde. Deshalb hat Frau Merkel ein starkes Interesse daran, dass dieses System auch weiterhin funktioniert. Aber dieses System funktioniert nicht mehr, denn es wird von einzelnen Ländern sabotiert. Die Italiener etwa haben die bei ihnen ankommenden Flüchtlinge phasenweise nicht mehr registriert, sondern durchgewunken und ihnen sogar eine Zugfahrkarte gegeben, damit sie das Land schnell wieder verlassen. Rumänien, Ungarn, Bulgarien, Polen halten sich schon von Anfang an nur dann an das Dublin-System, wenn es ihnen passt.

Dublin beruht auf dem Grundsatz, dass Flüchtlinge ihren Asylantrag in jedem Land Europas stellen können, weil es in allen Ländern Europas die gleichen Asylverfahren gibt. Das ist aber eine Fiktion. Im Moment prüfen der Europäische Gerichtshof und die deutsche Rechtsprechung, ob es so ist, dass in Italien anerkannte Asylbewerber in Deutschland einen neuen Asylantrag stellen dürfen, weil sie in Italien praktisch auf der Straße stehen, ihre Kinder nicht zur Schule gehen können usw. Wenn der Europäische Gerichtshof entscheidet, dass Dublin in Italien derzeit nicht funktioniert, bedeutet das, dass viele in Italien anerkannte Flüchtlinge versuchen werden, nach Deutschland zu kommen, um hier einen weiteren Asylantrag zu stellen. Italien wird in diesem Fall erst recht versuchen, diese Leute direkt durchzuwinken, denn es macht ja keinen Sinn, dann erst teure Asylverfahren durchzuführen.

Wie sieht es innerhalb Deutschlands aus? Funktioniert die Integration, sei’s im Schulwesen, sei’s im Berufsleben? Wie sind Deine Erfahrungen, was hörst Du von Flüchtlingen?
Ich würde mich, was die Kinder und Jugendlichen anbelangt, auf das berufen, was Anne Mühlhäußer in ihrem Interview mit seemoz gesagt hat. Ich fand dieses Interview übrigens sehr gut und habe mit einigen Feststellungen daraus meine mündliche Prüfung zum Integrationsmanager bestritten.

Wir müssen schnell eine grundsätzliche Entscheidung treffen: Wollen wir diese Menschen wirklich integrieren, müssen wir zusätzliche Bildungsangebote für Kinder und Jugendliche entwickeln und mehr Personal einstellen. Da stimme ich Anne Mühlhäußer voll und ganz zu. Wird nichts getan, drohen meiner Meinung nach langfristig Probleme wie schlechtere Bildung, hohe Jugendarbeitslosigkeit und psychische Erkrankungen.

Die andere Seite sind die Erwachsenen, für die Arbeitsplätze natürlich am wichtigsten sind und die ein verlässliches Aufenthaltsrecht brauchen. Wir benötigen ja nicht nur Fachkräfte, sondern auch Arbeitskräfte in anderen Bereichen, etwa in der Brauerei, für Reinigungsdienste oder auf dem Bau, wo meines Wissens mehr als 50 Prozent der Arbeitskräfte einen Migrationshintergrund haben und etwa aus dem ehemaligen Jugoslawien kommen.

In Deutschland gibt es große soziale Probleme durch den gezielt geschaffenen Niedriglohnsektor, der dafür verantwortlich ist, dass sich zu wenige Leute auf solche Stellen bewerben. Ist es nicht eine fragwürdige Nützlichkeitspropaganda zu sagen, solange wir sie brauchen, sollen sie ruhig kommen?
Ich will natürlich nicht Arbeitskräfte gegeneinander ausspielen und kämpfe seit jeher für legale Beschäftigungsverhältnisse und gegen Ausbeutung.

Ich sehe aber, dass in jenen Berufen, für die Du keinen Realschulabschluss brauchst, viele Arbeits- und Ausbildungsplätze unbesetzt sind, auch weil immer mehr junge Menschen studieren und keine Handwerkslehre oder sonstige Ausbildung mehr machen wollen. Das wäre auf jeden Fall eine gute Möglichkeit, Flüchtlinge zu integrieren.

Ist dafür auch das Einwanderungsgesetz gedacht?
Das Einwanderungsgesetz soll schon bis Ende des Jahres durchgepeitscht werden, heißt es aus CDU-Kreisen. Ich denke, dass es relativ schnell kommen wird, es sei denn, die SPD schafft es, hart zu verhandeln. Aber es wird sich auf reine Fachkräfte beschränken, so dass am Ende nur ganz wenige kommen werden, es geht also nicht um Flüchtlinge. Das Einwanderungsgesetz deckt nur einen sehr schmalen Bereich ab, denn wir haben ja schon jetzt die Green Card und die Blue Card, für die die Anforderungen sehr hoch sind.

Für die Flüchtlinge brauchen wir Regelungen, die Rechtssicherheit für alle schaffen, vor allem für die, die hier sind und sich integrieren wollen.

Du hast Kontakt zu einer Unternehmerinitiative, die sich für Flüchtlinge einsetzt?
Es gibt eine Initiative baden-württembergischer Unternehmen, die Flüchtlinge ausbilden, beschäftigen und bei der Integration unterstützen und sich für ein Bleiberecht auch abgelehnter Asylbewerber aussprechen. Natürlich muss ein Arbeitgeber, der einen Flüchtling anstellen und integrieren will, allein schon wegen der Sprache mehr Zeit und Nerven investieren. Aber wenn es dann klappt, sind alle glücklich, auch die KollegInnen. Wenn ein Unternehmen aber befürchten muss, dass seine Leute irgendwann abgeschoben werden, nimmt es diese Mühe gar nicht erst auf sich.

Eine Vertreterin der Firma Vaude sagte mir, dass sie in Deutschland zu wenig Arbeitskräfte für bestimmte einfachere Jobs bekommen und deshalb große Hoffnungen in die Flüchtlinge setzen, sonst müssten sie ihre Produktion ins Ausland verlagern.

Das Vorurteil, dass Flüchtlinge eh nicht arbeiten wollen und nur hierher gekommen sind, um Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen, können diese Unternehmen aus eigener Erfahrung widerlegen.

Ich sehe das weniger aus Unternehmer-, sondern aus Beschäftigtenperspektive. Weißt Du, ob es seitens der Gewerkschaften Programme, Forderungen oder Initiativen gibt? Gerade angesichts der Argumente, die nehmen uns die Arbeitsplätze weg, ist es ja wichtig, von Gewerkschaftsseite aus zu betonen, dass es keine Rolle spielt, ob der Kollege aus Afghanistan oder Syrien kommt. Wenn Du Dich gegen den ausspielen lässt, dann hindert Euch das nur, Eure Interessen gemeinsam gegen das Unternehmen durchzusetzen.
Ich schaue mich oft im Internet um, was sich in diesem Bereich tut, und die Caritas Deutschland hat dieselben Forderungen wie die Unternehmerinitiative erhoben. Über Haltung und Aktionen der Gewerkschaften kann ich derzeit nichts sagen.

Wo kriegst Du denn im Moment im Rahmen Deiner Tätigkeit einen dicken Hals?
Es bereitet mir Probleme, dass vom Bundesamt behauptet wird, Afghanistan sei nicht gefährlich, und man könne Leute dorthin zurückschicken, denn das widerspricht allem, was man weiß. Afghanen müssen sich vor der Abschiebung fürchten, und wenn sie keinen Anwalt haben, dann hocken sie ganz schnell wieder in Kabul, das erfährt niemand. Man kann nur hoffen, dass sich keiner aufhängt, wie einer der 69 am 69. Geburtstag von Seehofer abgeschobenen jungen Afghanen.

Je älter ich werde, umso mehr merke ich, dass die Kinder und Jugendlichen unsere Zukunft sind. Es darf nicht wieder derselbe Fehler gemacht werden wie mit den türkischen Jugendlichen, als der hessische CDU-Vorsitzende Roland Koch mit seiner Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft selbst für Europäer Wahlkampf gemacht hat. Das macht mich als Doppelstaatler heute noch wütend.

Hätten wir die doppelte Staatsbürgerschaft viel früher eingeführt, hätten wir heute viel weniger Probleme und keine Parallelgesellschaften. Die Deutsch-Türken würden bestimmt viel weniger Erdoğan wählen, als sie es jetzt tun. Aber das ist ein anderes Problem.

Die Einwanderung folgt der ökonomischen Entwicklung, also etwa der Globalisierung der Produktion. Es bleibt nicht aus, dass Arbeitskräfte dorthin gehen, wo sie am besten bezahlt werden und die besten Aussichten für ihre Kinder vermuten. Das ist der Kern dieser Entwicklung, wenn man einmal davon absieht, dass es in bestimmten Regionen furchtbare Kriege gibt, für die ja auch wieder bestimmte Leute und Gesellschaften verantwortlich sind, denen es ganz gut damit geht. Manche Kräfte, weit über die AfD hinaus, reagieren darauf mit der Forderung nach einer autoritären Regierung.
Ich kenne die Geschichte des Flüchtlingsrechts der letzten 35 Jahre. Das Flüchtlingsrecht war in dieser Zeit immer eine Reaktion auf wirtschaftliche Verhältnisse. Es ging in der Diskussion nie wirklich darum, dass es Flüchtlingen schlecht geht, oder dass man Bürgerkriegs- oder Kriegsflüchtlinge grundsätzlich aufnehmen müsse.

In den fünfziger und sechziger Jahren gab es durch den Wirtschaftsboom zu wenig Arbeitskräfte, also holte man die sogenannten Gastarbeiter. Dann verschlechterte sich 1973/74 die wirtschaftliche Situation, da wurde wieder zugemacht. In den Neunzigern kamen dann wieder sehr viele Flüchtlinge, es gab auch immer mehr Kriege, in Algerien und dem ehemaligen Jugoslawien zum Beispiel. Die Reaktion war immer repressiv. Grenzen zumachen, Mittel streichen, das kommt immer zuerst.

Rechte Entwicklungen konzentrieren sich auf eine Gruppe wie die Flüchtlinge, die dann als Buhmann für alles dienen, was schief läuft. Damit wird im Moment davon abgelenkt, dass die Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland immer weiter auseinander geht. Die Leute wählen nicht AfD, weil es zu viele Flüchtlinge gibt, sondern sie wählen AfD, weil sie unzufrieden sind mit ihrer Situation und weil ihnen suggeriert wird, die Flüchtlinge seien dafür verantwortlich.

Das Gespräch führten Jürgen Geiger und O. Pugliese, (Foto: O. Pugliese)