Ja, das Bodensee-Stadion ist in die Jahre gekommen
Die ‚amtliche Zählung‘ des SC Konstanz-Wollmatingen: 4000 Besucher. Selbstverständlich eine runde Zahl. Zufälligerweise ist diese identisch mit den Prognosen, die schon lange vor dem Spiel des VfB Stuttgart gegen den FC Winterthur veröffentlicht wurden. Eher stimmt da schon die Zahl verkaufter Karten – 3800. Bis auf einen harten Fan-Kern der Schweizer Mannschaft fanden sich hauptsächlich Konstanzerinnen und Konstanzer im Bodenseestadion ein, um Teil eines der seltenen, sportlichen Großereignisse am Bodensee zu werden.
Leider merkt man dem Stadion an, dass es für eine derartige Veranstaltung nicht (mehr?) geeignet ist. Das 1935 als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme der Nationalsozialisten errichtete Gelände scheitert angesichts moderner Standards. Es fehlt ein baulich getrennter, durch Schleusen markierter Eingangsbereich, wenn man von den kläglichen Resten der Kassenhäuschen einmal absieht. Solange sich der Publikumsandrang in Grenzen hält, lassen sich Besucher durch die beiden Eingänge leiten und gleichzeitig Eingangskontrollen vornehmen. Bei einem „Sicherheitsspiel“ – also einem Fussballspiel mit gewaltbereitem Publikum – wären ausreichende Sicherheits-Maßnahmen jedoch nicht zu gewährleisten.
Die Tribünenplätze sind marode, der Beton baufällig und allenthalben sucht sich der Lorettowald seinen Weg ins Stadion, wenn’s sein muss, auch durch den Stein. Genauso wie ein fester Eingangsbereich vermisst wird, fehlen bauliche Anlagen zur Bewirtung der Gäste. Dennoch meisterten die freiwilligen Helfer des SC Wollmatingen die große Aufgabe, die zahlreichen Besucher mit Getränken und der unverzichtbaren Stadion-Wurst zu versorgen. Mit Pavillons, transportablen Gasgrills und Bierbänken wurde man des Ansturms Herr, auch wenn hier und da ein verirrter Fussball im Brötchenkorb einschlug. Sogar die Balljungen wurden zeitweise für den Nachschub an Wecken verpflichtet. Erst der Regen zu Beginn der zweiten Halbzeit machte den Organisatoren den weiteren Verkauf unmöglich.
Man merkt dem Stadion an, dass es nicht vorrangig als Fußball-Arena, sondern als Ort faschistischer Gemeinschaftserlebnisse – als die ‚Bodensee-Kampfbahn‘ – errichtet wurde. Das Spielfeld wird von einer breiten Laufbahn gesäumt, weshalb die Zuschauerplätze relativ weit vom Geschehen entfernt sind. Natürlich: Das sich ergebende Rund ist dadurch ungewöhnlich groß. Beim Bodensee-Stadion handelt es sich um eines der 50 größten Fußballstadien Deutschlands. Nachdem mit dem Festival Rock am See eine weitere Großveranstaltung im Stadion immer wieder mit organisatorischen Komplikationen zu kämpfen hat, kann man ein solch raumgreifendes Stadion angesichts des Konstanzer Flächenmangels kaum mehr rechtfertigen.
Erfreulicherweise wurde es erst recht spät dunkel. Der Arena fehlt es an jeder Flutlichtbeleuchtung, die Tribünen-Beleuchtung selbst besteht aus Straßenlaternen. In der einsetzenden Dämmerung war es mitunter schwierig, dem über das Spielfeld huschenden Ball zu folgen. Genauso vergeblich wie Licht sucht man eine Uhr oder gar eine Anzeigetafel für Spielstand und Spielzeit. Entsprechend improvisiert erschienen Trainer- und Spielerbank, auch hierfür mussten Bierbänke herhalten. In einem kleinen, 1990 ergänzten Häuschen finden sich unzureichende Sanitäranlagen – alles in allem erlaubt das Bodensee-Stadion nur ein Urteil: Ungenügend. Es würde Millionen verschlingen, notwendige Modernisierungsmaßnahmen durchzuführen, doch wer soll das zahlen und wozu?
Trotz dieser Ausgangssituation genossen die Zuschauer ein moderat spannendes Spiel mit deutlichem Ausgang. Der von Anfang an dominante VfB Stuttgart gewann 4:1 nach Toren von Didavi (25. und 34.), Ginczek (48.) und Werner (57.). Besonders gelungen war der erste Treffer des Stuttgarter Spielers mit der Nummer 10 per Freistoß ohne Chance für den Schweizer Tormann. Erst kurz vor Schluss konnte die Mannschaft aus Winterthur einen Ehrentreffer per Kopfball durch Paiva (85.) erzielen. Trotzdem ließen sich die Spieler des FC Winterthur im einsetzenden Regen von ihren eingefleischten Fans hochleben. Echte Anhänger folgen dem Verein durch Sturm, durch Regen und in ein marodes Stadion.
Simon Pschorr