Jede Menge Nachholbedarf

Ob „Shared Space“, „Begegnungszone“ oder „Stadtboulevard“ – welchen Namen der umgebaute Konstanzer Bahnhofsvorplatz auch bekommt – in jedem Fall gibt es jede Menge Nachholbedarf. Das sieht sogar das Baudezernat so und schlägt dem Technischen und Umweltausschuss (TUA) auf der Sitzung am kommenden Donnerstag eine Reihe von Nachbesserungen vor. Damit aus dem Provisorium eine wirkliche Begegnungszone wird

Von Biel in der Schweiz (s. Foto: Begegnungszone Zentralplatz) über Kevelaer am Niederrhein bis Drachten in den Niederlanden gibt es bereits Dutzende von Begegnungszonen in Europa. Überall wurden Verkehrsknotenpunkte auf diese Weise entschärft, überall wurden Erfahrungen gemacht, von denen die Konstanzer Bauherren hätten lernen können. Es gibt, und darauf weist Conrad Schechter, Behindertenbeauftragter der Stadt Konstanz, hin, überdies Gutachten der Deutschen Verkehrswacht und der GDV (Unfallforschung der Versicherer) zu dem Thema. Im Gutachten der Verkehrswacht wird z. B. der Frage nachgegangen, wie schwächere Verkehrsteilnehmer mit diesem Verkehrsraum zurechtkommen. Und die GDV kommt zu dem Schluss, dass sich der Bahnhofsplatz für ein „Shared-Spaces-Projekt“ eigentlich nicht anbietet (Konzentration zu vieler Verkehrsfunktionen, einmündende Straßen, Fehlen einer entsprechenden Straßenhierarchie).

„Busbetrieb verbesserungswürdig“

Die sechsmonatige Erprobungsphase in Konstanz hätte man sich also womöglich sparen können, wenn man auf die Erfahrungen andernorts zurückgegriffen hätte – es muss ja nicht der Flop in Kreuzlingen sein. Immerhin kommt die Verwaltung in ihrer Vorlage für den TUA zu der Erkenntnis, dass „der Busbetrieb auf dem Bahnhofsvorplatz für Fahrgäste und Passanten verbesserungswürdig“ sei. Auch beim „ruhenden Verkehr“ sieht das Baudezernat noch Nachholbedarf – so soll die Parkdauer reduziert werden.

In einer umfangreichen Statistik werden die Geschwindigkeiten der passierenden Pkw dokumentiert. Da wenigstens scheint der „Erziehungseffekt“ zu greifen: 80 Prozent aller Fahrer respektieren die Geschwindigkeitsbegrenzung. Und das führe, so die Statistiker, auch zu einer Verkehrsreduzierung von immerhin acht Prozent nach der Einrichtung des Tempo-20-Bereichs. Das aber ist – mit Verlaub – keine wirkliche Reduzierung des Autoverkehrs.

Fußgänger im Nachteil

Auch Beobachtungen der Polizei belegen, dass Fußgänger zunehmend Probleme haben, die Fahrspur zu queren. Offensichtlich hat sich auch ihnen der Sinn der grünen Markierungslinien noch nicht erschlossen. Und die Planer wundern sich, dass „sich die Fußgänger offensichtlich bevorrechtigt sehen“. Auch hier sehen die Baumeister noch Verbesserungsbedarf vor allem für sehbehinderte und mobilitätseingeschränkte Passanten: Das fängt bei den zu hohen Bordsteinen an und hört bei fehlenden Querungsmöglichkeiten nicht auf.

Das Miteinander von Fußgängern und Radfahrern, so die Erkenntnis der Planer, funktioniert auch nicht so richtig. Nicht nur „der Zugang zu den Fahrradabstellanlagen“ sei verschlechtert worden, vor allem ortsfremde Radfahrer würden verstärkt die Fußwege nutzen – auch ihnen fiele die Orientierung schwer.

Korrekturen in den nächsten Monaten

Schon kurzfristigen Korrekturbedarf sieht deshalb auch die Verwaltung. In den nächsten Monaten sollen diese Maßnahmen in Angriff genommen werden (wir belassen es ausnahmsweise beim Wortlaut der Vorlage im schönsten Beamten-Deutsch):

– Prüfung einer flächigen Einfärbung des Stadtboulevards von Wand zu Wand, um den Gesamtraum als Stadtraum mit Tempo 20 für den Bürger deutlicher erkennbar zu machen;

– Erhöhung der Umschlagzahlen der Parkierungs- und Anlieferungsflächen durch Reduzierung der erlaubten Maximalparkdauer;

Erhöhung der Kontrolle hinsichtlich der Einhaltung der neuen Verkehrsregelungen (Parken, Geschwindigkeit).

Darüber hinaus ist für das erste Quartal 2013 eine „Bürgerinformationsveranstaltung“ vorgesehen. Das ist doch recht mutig von Baubürgermeister Kurt Werner, denkt man nur an die harsche Kritik, die ihm in den letzten Bürgerbefragungen entgegen hagelte. Aber wahrscheinlich gibt es bereits in der TUA-Sitzung am kommenden Donnerstag genügend Argumente von den StadträtInnen, die das Baudezernat zum Umdenken anregen.

So dürfte beispielsweise die rätselhafte Ausdehnung der Erprobungsphase – ursprünglich war von sechs Monaten die Rede, jetzt wird, so scheint es, deutlich länger geprobt – zum Thema werden. Zumal im aktuellen Haushaltsentwurf kein Finanzierungsvorschlag für einen Weiterbau der Begegnungszone erkennbar ist.

Autor: hpk

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