„Jüdisches Konstanz“ und seine Schattenseiten

seemoz-Juden in Konstanz„Das könnte Ärger geben“, ahnte Tobias Engelsing bereits im Januar auf seemoz. Und während der gestrigen Medien-Information zur Ausstellung „Das jüdische Konstanz – Blütezeit und Vernichtung“, die ab morgen im Konstanzer Kulturzentrum gezeigt wird, war davon erneut die Rede. Es geht um die Arisierung von Geschäften und Firmen einstmals jüdischer Besitzer durch Konstanzer „Arier“. Und da fallen Namen, die man auch heute noch kennt.

Sowohl in der Ausstellung als auch in dem gleichnamigen Begleitbuch ist diesem dunklen Kapitel deutscher Geschichte ein eigener Abschnitt gewidmet. Und das, obwohl nach 1945 offensichtlich wichtige Akten geschreddert oder verbrannt wurden. Engelsings Recherchen fördern mit allerlei Behutsamkeit dennoch Fakten und Namen zutage, die bis in die jüngste Gegenwart nachwirken.

Arisierung nannten die Nationalsozialisten den Raub an jüdischen Eigentum in der Zeit von 1933 bis 1945. Nutznießer waren Menschen, die sich als „arisch“ bezeichneten. Zumeist handelte es sich um Unternehmen oder Geschäfte, die von „Ariern“ zu Schleuderpreisen übernommen wurden.

So wird zum Beispiel die Geschichte des Textilgeschäftes Guggenheim in der Rosgartenstraße erzählt, das schon vor 1933 von den Brüdern Josef und Richard Holzherr übernommen wurde. Und es wird vom Anwalt Moritz Bloch berichtet, der sein Haus in der Schottenstraße einem Konstanzer Zahnarzt verkaufen musste – mit einem Wertverlust von 20 000 Reichsmark. Als Witwe Bloch 1949 versuchte, den Verkauf rückgängig machen zu lassen, befand das Konstanzer Gericht, ein „verfolgungsbedingter Notverkauf habe nicht vorgelegen“.

Zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft gab es in Konstanz 46 eingetragene Firmen jüdischer Kaufleute oder Gewerbetreibender. Schon nach zwei Jahren war fast die Hälfte der Geschäfte und Firmen jüdischer Inhaber verkauft oder liquidiert worden – 1938 hatten fast alle neue „arische“ Eigentümer bekommen.

2000 Mark als Nachzahlung

So hatte Lisbeth Klopstock 1936 ihr Warenhaus in der Rosgartenstraße 27 an den Hauptmann a. D. Ulbo Kol verkaufen müssen – Kaufpreis und Hypothek wurden nach der Emigration der Familie auf einem Sperrkonto der Sparkasse Konstanz gebunkert und nach der 1941 erfolgten Enteignung der Juden durch den Reichsfiskus eingezogen. In anderen Fällen übertrugen die Eigentümer ihr Unternehmen an langjährige Mitarbeiter. So kam der bisher angestellte Oskar Sulger 1937 zur altbekannten Eisengroßhandlung der Gebrüder Rothschild. „Nach dem Krieg“, so Engelsing (s. Foto) in seinem Buch, „erklärte er sich bereit, dem in die USA emigrierten Alfons Rothschild 2000 Deutsche  Mark auf den damals etwas zu gering angesetzten Kaufpreis nachzubezahlen“.

Anderes Beispiel: 1939 verkauften die bereits ausgewanderten Erben des Optikers Louis Frank das Familienanwesen in der Kanzleistraße 19; das Haus war vermietet und erbrachte einen jährlichen Mietertrag von 3600 Reichsmark – das 20fache dürfte als damals angemessener Verkehrswert einer Immobilie in dieser Lage angesetzt werden. Der Käufer, Adolf Zimmermann aus Konstanz, zahlte jedoch nur 31 700 Reichsmark.

Schandmarsch durch die Stadt

Zahlreiche solcher Beispiele zählen die Autoren (neben Engelsing auch Manfred Bosch, Lisa Foege und Birgit Lockheimer) im Buch „Das jüdische Konstanz – Blütezeit und Vernichtung“  auf und vergessen beispielsweise die Konstanzer Kaufmannsfamilien Bredl und Spring ebenso wenig wie die Katholische Kirche aus Freiburg oder die Stadt Konstanz, die sich vornehmlich landwirtschaftliche Freiflächen unter den Nagel rissen.

Aber es gibt auch Gegenbeispiele. So wird von den Familien Hepp (Optiker) und Zwicker (Herrenausstatter) berichtet, die sich weigerten, „die ab 1933 verteilten Schilder ‚Arisches Geschäft‘ in ihre Schaufenster zu stellen. Das hatte Folgen: Die Brüder Hepp wurden … wegen ihrer reservierten Haltung gegenüber dem NS-Regime gemeinsam mit anderen Bürgern in einem Schandmarsch durch die Stadt geführt.“

Viele Gründe also, die Ausstellung Das jüdische Konstanz – Blütezeit und Vernichtung. anzuschauen: 16. Juli bis 30.12.2015 im Kulturzentrum am Münster. Öffentliche Führungen jeden Dienstag ab 16 Uhr. Führungen für Schulklassen und Jugendliche jederzeit auf Anfrage. Kontakt: Dr. Lisa Foege, Telefon: 07531-900 851 oder per Mail: lisa.foege@konstanz.de

seemoz-CoverJüdisches konstanzUnd das gleichnamige Buch zu lesen:
Tobias Engelsing: Das jüdische Konstanz – Blütezeit und Vernichtung, 2015, Südverlag Konstanz, Gestaltung: Siegrun Nuber, 17,0 x 24,0 cm, ca. 272 Seiten, € 19,90.

hpk

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