Jugend der Welt, schau‘ her!

Für insgesamt 110 Jahre Mitgliedschaft im Gemeinderat wurden gestern fünf RätInnen geehrt. Viermal 20 Jahre und einmal 30 Jahre hören sich zwar an wie eineinhalb Mal lebenslänglich mit anschließender Verbringung auf die Galeeren, aber alle fünf Geehrten zeigten wenig Reue. Eine gute Nachricht gab es am Rande der Sitzung: Die AfD soll mangels geeigneter KandidatInnen nicht zur Konstanzer Gemeinderatswahl im Mai antreten. Auch das Volk wurde wieder vorstellig – unter anderem in Sachen Büdingen.

Es ist eine imposante Wegstrecke, auf die die fünf Geehrten – Heinrich Everke (FDP), Dorothee Jacobs-Krahnen (FGL), Anne Mühlhäußer (FGL), Gabriele Weiner (JFK) und Ewald Weisschedel (FW) – zurückblicken können. Zusammen dürften sie in dieser Zeit einen Berg an Sitzungsunterlagen gelesen haben, der von der Marktstätte bis zum Mond reicht, sie dürften in den von ihnen besuchten Ausschuss- und Gemeinderatssitzungen rund 10.000 Brötchen gegessen und 1158 Liter Kaffee sowie ein ganzes Sportbecken voll Wasser verbraucht haben. Kein Wunder, dass die Wähler sie lieben.

Das waren noch Zeiten

Als Ewald Weisschedel vor 30 Jahren an die Macht kam, stand zum Beispiel der antifaschistische Schutzwall quer durch Deutschland noch ebenso wie der teils faschistische Judenzaun im Tägermoos. Trotzdem blickte Weisschedel gleichermaßen tiefsinnig wie humorvoll auf dreißig beanspruchende Jahre zurück, die er – wie alle Jubilare – angesichts der großen Arbeitsbelastung im Rat nur dank der Rücksichtnahme seiner Nächsten habe durchstehen können.

Mehr als die Ehrung freute ihn nach eigenem Bekunden aber, dass, wie er aus sicherer Quelle erfahren habe, die AfD in Konstanz keine eigene Liste zur nächsten Gemeinderatswahl zustande bringen werde. Sein Fazit aber ließ geradezu jugendlichem Überschwang erkennen: „In Konstanz gibt es keinen Nährboden, auf dem eine solche Fraktion wachsen könnte.“ Hoffen wir, dass er sich damit nicht irrt.

Und jetzt Jürgen: Kkkk-liii-maaa-schutz

Anne Mühlhäußer hingegen berichtete, dass sie es vor 20 Jahren als Frau und Grüne im Rat nicht leicht gehabt habe. „Die Männer hatten das Übergewicht“ erinnerte sie sich und entlarvte so auch Adipositas als ein Genderproblem. Doch dann, so Anne Mühlhäußer, nach nur wenigen Jahren intensivster Ratsarbeit, habe selbst Jürgen Faden (FW, kein Genderproblem) zum ersten Mal das Wort „Klimaschutz“ freiwillig halbwegs unfallfrei ausgesprochen, und da habe sie bemerkt, dass politische Arbeit tatsächlich etwas bewirken könne.

Weisschedel und Mühlhäußer betonten auch, dass eine Verjüngung des Rates dringend not tut, und riefen in geradezu olympischem Geist die Jugend dazu auf zu kandidieren, auch wenn ein politisches Amt nur schwer mit einem geregelten Familienleben unter einen Hut zu bringen sei. Sie wollen wohl auf jeden Fall verhindern, dass der Konstanzer Gemeinderat zu einem Senioren-Freigehege wird – und halten vermutlich aus diesem kühlen Grunde auch schon seit mehreren Jahrzehnten ihren Sitz für die irgendwann nachrückende Jugend warm.

Wer aber, und daran sei ausdrücklich erinnert, schon mit Anfang 20 in den Gemeinderat einzieht, kann es – mit etwas Glück und der Gunst der Wählerschaft – locker zu einer 60-jährigen Mitgliedschaft im Rat bringen. Und dann gibt es zur üblichen Kiste Konstanzer Schoppens auch noch die altersbedingt nötige Packung Talcid dazu – falls der Klimawandel bis dahin überhaupt noch Weinbau, Talcid-Ernte und Ratssitzungen in Konstanz zulässt.

Rumms, da war der Jesus weg

Die Tourist-Information im Konstanzer Bahnhof hatte in letzter Zeit an Abenden und Wochenenden oft außerplanmäßig geschlossen, beklagte in der BürgerInnenfragestunde die engagierte Elisabeth Schöndienst, dort habe einfach nur ein Zettel gehangen – was es denn damit auf sich habe? Eric Thiel, smarter Geschäftsführer der Marketing und Tourismus Konstanz GmbH nannte als Grund dafür schlichtweg Personalmangel: Es fehle nicht nur an Fachkräften, sondern an Arbeitskräften überhaupt. Elisabeth Schöndienst ließ es dabei aber nicht bewenden, sondern schrieb ihm ins Stammbuch, in Zeiten der Digitalisierung hätte Thiel nicht nur einen Zettel aufhängen, sondern wenigstens dafür Sorge tragen müssen, dass die abweichenden Öffnungszeiten auch im Internet stehen, denn es sei ärgerlich, wenn man extra mit einem teuren Busfahrkärtle in die Stadt fahre, um zur Tourist-Information zu gehen, nur um dort dann vor einem verschlossenen Schalter zu stehen.

Außerdem war Elisabeth Schöndienst peinlich vom Abriss der Kapelle auf dem Vincentius-Gelände berührt, bei der auch das Kreuz und einige andere Gegenstände sakraler Bedeutung vom Bagger wie profaner Müll weggeschaufelt wurden – „hier wurde ein Gesamtkunstwerk zerstört und vielen Menschen ein Stück Heimat genommen!“ rief sie in den Saal. Oberbürgermeister Uli Burchardt antwortete ihr, auch er sei unglücklich wegen des dort Geschehenen, aber die Stadt habe das Gelände samt Kapelle verkauft und darum keinen Einfluss auf deren Abriss und einen respektvollen Umgang mit Kulturgütern gehabt. Der Kapitalist kennt weder Heimat noch Glauben, hieß das auf gut Oberbürgermeisterisch, aber das ist sein gutes Recht.

Kuscheln mit dem Investor

Einige BürgerInnen wie Angelika Bernecker und Patrick Pfeifer waren gekommen, erneut ihrem Unmut in Sachen Büdingen Luft zu machen. Neben Vorwürfen an die Verwaltung wollten sie vor allem wissen, wieso die Stadt jetzt mit Steuergeldern gegen das Gerichtsurteil vorgeht, mit dem die AnwohnerInnen einen Baustopp des Hotels erreicht haben. Es stehe der Stadtverwaltung doch wesentlich besser zu Gesicht, sich auf die Seite der BürgerInnen zu stellen, statt einem Hotel-Investor unter die Arme zu greifen.

Karl Langensteiner-Schönborn, seines Zeichen Baubürgermeister, begründete den städtischen Einsatz gegen das Gerichtsurteil so: Man habe erreicht, dass die hässliche Technik statt auf dem Hausdach ins Untergeschoss verlegt wurde und dafür oben im Hotel eine Zimmerebene entstehe. Damit habe die Verwaltung den Investor bewogen, einen Tausch von Volumina vorzunehmen, um das Gebäude weniger hässlich aussehen zu lassen. Das aber habe das Gericht als Verstoß gegen geltendes Gericht bewertet und daher einen Baustopp erlassen.

Aus seiner Sicht wie der des Gestaltungsbeirates sei dieser Tausch aber ein großer Zugewinn, deshalb wolle man jetzt für zukünftige Planungen wissen, ob dieses Verfahren baurechtlich nicht doch zulässig sein. Es gehe der Stadt also nicht darum, einem bestimmten Investor beizustehen, sondern darum, vor Gericht eine prinzipielle Frage des Baurechts zu klären, die auch für künftige Baugenehmigungsverfahren von großer Bedeutung sei. Das alles sei eine rein juristische und keine politische Frage.

Bürgerin Ursula Jenkner antwortete ihm darauf, es hätte der Stadt besser zu Gesicht gestanden, die durch den vom Gericht verhängten Baustopp erzwungene Pause dazu zu nutzen, mit der Bürgerschaft über deren Anliegen zu sprechen.

Holger Reile (LLK) schlug direkt nach Abschluss der Bürgerfragestunde vor, jetzt sogleich, weil thematisch passend, die schriftliche Anfrage der Linken Liste zu behandeln, wie denn die Stadtverwaltung die juristische Lage rund um Büdingen einschätze, weil da niemand mehr durchblicke. Damit kam er bei Uli Burchardt, von dem ihn eine herzliche gegenseitige Abneigung eher trennt als mit ihm verbindet, natürlich schlecht an. Zu juristischen Dingen wolle die Stadt während laufender Verfahren am liebsten schweigen, und Anfragen würden ohnehin als letzter Tagesordnungspunkt behandelt und grundsätzlich nicht vorgezogen. Schade, denn die BürgerInnen in Sachen Büdingen hat es sicher schon um 18.30 Uhr und nicht erst Stunden später interessiert, wie die Stadt die Lage einschätzt.

Wenn man daran denkt, wie selbstverständlich Tagesordnungspunkte gelegentlich um Stunden verlegt werden, weil ein Investor reden und dann gleich wieder abreisen will, hat das ein bitteres Nachgeschmäckle, hier könne wie im Wartezimmer mit zweierlei Maß gemessen werden: Der Reichste kommt zuerst dran.

Wasser marsch im Tägermoos

Die Stadt bittet um folgende Mitteilung: In der ersten Aprilwoche wird das Wasser in den Gärten im Tägermoos wieder angestellt. Deshalb bittet die Stadt sämtliche dort ansässigen Gartenkosaken, die Wasserhähne in ihren Gärten bis Ende März zu schließen, damit das Wasser nicht ungenutzt aus den Leitungen fließt und die umliegenden schweizerischen Felder in Moraste verwandelt.

O. Pugliese