Jugendtreff-Gebäude soll abgerissen werden – aber wohin kann die Teestube in der „Vielfaltstadt“?
Seit 13 Jahren beherbergt das alte Haus Nr. 12 in Singens Hauptstraße den selbstverwalteten Jugendtreff Teestube. Dass sein Ende kommen würde, war klar, weil auch dieses Gebäude dem geplanten „Scheffelareal“ weichen soll. Inzwischen liegt die schriftliche Kündigung seitens der Stadt vor. Ein Ersatzgebäude wurde vorgeschlagen, sei aber – aus Sicht der Betroffenen – suboptimal. Und deshalb machten sie mit einer Demo durch die Innenstadt die Öffentlichkeit auf ihre unsichere Situation aufmerksam.
Freiräume erhalten – Teestube verteidigen
Der Demozug erregte durchaus Aufmerksamkeit und Neugier. Zum einen, weil Demos in Singen doch eher selten sind, und am samstäglichen Supershoppingday (den die Marketingmenschen gern herbeireden wollen) schon gar nicht üblich. Zum anderen, weil das Outfit der mehr als 60 TeilnehmerInnen nicht unbedingt dem gewohnten Erscheinungsbild von EinkaufsenthusiastInnen der „Vielfaltstadt“ am Hohentwiel entsprach. Vom bisherigen Domizil der Teestube in der Hauptstraße ging es mit Sprechchören und lauter Punkmusik (allerdings noch immer nicht laut genug, um den Verkehrslärm gänzlich zu übertönen) in die Bahnhofsstraße über den neuen Bahnhofsvorplatz. Dort direkt vorbei am neuen Shoppingpalast „Cano“ (dessen Strahlkraft auf KonsumentInnen aus Nah und Fern wohl doch nicht ganz so magisch sein soll wie versprochen) und weiter durch die Fußgängerzone u.a. zum Herz-Jesu- und Heinrich-Weber-Platz und via Freiheitsstraße zum Rathaus. Der Zug wurde von einigen Polizeikräften geleitet, die sich – angesichts des auch von etlichen PassantInnen als auffallend diszipliniert wahrgenommenen Protestmarsches – ganz auf die Verkehrssicherung beschränken konnten. So wurde spekuliert: Da geht es nicht um Corona! Auch nicht ums Klima! Das betrifft wohl nur Singen! Ach ja, da geht doch um die Teestube! Auffallend viele Handyfotos wurden von den so Überraschten geschossen.
Zu hoffen ist, dass auch die Anliegen der Demonstrierenden verstanden wurden: nämlich Protest gegen den in fast allen Städten, auch in Singen, um sich greifenden Prozess der Gentrifizierung und damit verbunden dem Schwinden von Freiräumen – die frei von Konsumzwang und unverhohlener radikaler Profitorientierung finanzkräftiger Investoren sind, die auch Menschen mit wenig Geld Aufenthaltsmöglichkeit mit gewissem Entfaltungs- und Gestaltungs-Freiraum bieten. Auf dem Rathausplatz, wo die Demo mit Redebeiträgen zur Situation der Teestube endete, waren deren UnterstützerInnen fast unter sich, mit nur wenigen interessierten ZuhörerInnen, unter ihnen auch Oberbürgermeister Bernd Häusler.
Seit 37 Jahren in Singen
Die Teestube e.V. ist ein selbstverwalteter kultureller Treffpunkt und eine offene Anlaufstelle für Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 16 und 27 Jahren. Seine Hauptaufgabe liegt in der offenen Jugendarbeit. „Es ist der einzige alternative linke Freiraum in der Umgebung. Wir verstehen uns als antifaschistisch, antisexistisch, antikapitalistisch, antihomophob und unpatriotisch“, so charakterisiert das Vorstandsteam das Selbstverständnis des Vereins.
Es gibt die Teestube seit 37 Jahren – mit so manchen Hoch und Tiefs (Kritik von außen, Drogenproblemen in der Anfangszeit, Ärger mit der Anwohnerschaft wegen Lärmbelästigung u.ä.). Doch in der langen Zeit hat sich vieles getan, wurde entschärft und weiterentwickelt. Seit 13 Jahren hat die Teestube, deren Trägerin ein Förderverein ist, nun ihre Räume in der Hauptstraße 12, angemietet von der Stadt. Seit 2014 wird der Jugendtreff von der Stadtverwaltung – auch finanziell – unterstützt. Und ebenfalls seit 2014 steht dem Teestuben-Vorstandsteam eine Sozialarbeiterin zur Seite (Einstellungsgespräche für die Neubesetzung dieser Stelle laufen derzeit).
Vielfalt im alten Haus in der Hauptstraße
In dem alten, bunt besprühten einstigen Drei-Familienhaus steckt mehr, als man von außen vermutet: Ein Thekenbereich, ein Vortrags- und Veranstaltungsraum (mit Schallschutzfenstern für Konzerte), ein Büro mit PC-Arbeitsplatz für Vorstand und pädagogische Fachkraft, Badezimmer, eine Küche, zwei Werkstätten und Kellerräume gehören dazu. Zudem ein Umsonstladen, eine Scheune, in der eine selbstgebaute, mobile Skaterrampe installiert ist, sowie ein ca. 200 qm großer Innenhof mit Tischtennisplatte, Gemüsebeet, Feuerstelle und Parkplätzen. Außerdem eine 5er-Wohngemeinschaft. Alles in allem umfasst das Gebäude mit Außenbereich rund 900 qm. Die WG-Räume werden kostengünstig an junge Menschen in einer Notlage vermietet, um deren Abgleiten in die Obdachlosigkeit zu verhindern. Die beiden Werkstätten können ebenfalls zu sehr günstigen Konditionen von HandwerkerInnnen für den Start in ihre berufliche Selbstständigkeit genutzt werden. Im Umsonstladen gibt es wirklich alles für alle umsonst, jedeR (nicht nur „Bedürftige“ gegen Vorlage eines Sozialausweises) darf geben und nehmen, was sie/ er möchte und braucht. Klar, dass sich solch ein Projekt auch als „versuchte Kritik an den bestehenden kapitalistischen Verhältnissen“ versteht. Und teuer gibt es in der Teestube ohnehin nicht: Alles läuft ehrenamtlich und basisdemokratisch. JedeR darf mitmachen, sich selbst einbringen, Ideen entwickeln. Eingekauft, gekocht, geputzt etc. wird gemeinsam. Die Eintrittspreise für Veranstaltungen sind niedrig, Getränke gibt es für eine Mindestspende. Irgendwie eine andere Welt, ein Gegenentwurf zu unserer so gut wie alles beherrschenden rein profitorientierten Gesellschaft.
Das Ende eine Ära – und was kommt danach?
Aber all dies sehen die jungen Leute nun bedroht. Im September erhielt der Trägerverein die schriftliche Kündigung seitens der Stadt (nicht ganz unerwartet, denn seit 2016 war klar, dass das Domizil keine längerfristige Zukunft haben wird). Der Mietvertrag wird Ende März 2022 definitiv enden, danach solle es nur noch eine monatliche Duldung geben, bis ein neuer Standort bezugsfähig sei. Der Grund dafür: Seit rund sieben Jahren ist die Sanierung und Neubebauung mit Wohn- und Geschäftshäusern zwischen Hegau-, Haupt-, Bahnhofs- und Scheffelstraße in Planung: „Scheffelareal“, so der Name des künftigen Quartiers. Als eines der ersten Gebäude wurde 2018 das „Hochhaus Conti“ abgerissen. Inzwischen ist auch eine nebenan gelegene Gärtnerei verschwunden, weitere keineswegs alte Wohngebäude, die aber nicht mehr modernsten Vorstellungen entsprechen, müssen ebenfalls weichen und auch das Domizil der Teestube. Gespräche mit der Stadtverwaltung über einen neuen Standort werden daher ebenfalls seit etwa fünf Jahren geführt. Aber einen adäquaten Ersatz zu finden, der all das bietet, was es bis jetzt gibt … Der Idealfall wäre wieder ein altes Haus … Aber unbedingt wieder zentral solle der neue Standort sein, vom Bahnhof aus gut zu erreichen, da viele Gäste für Veranstaltungen mit dem Zug kommen. Und möglichst so gelegen, dass AnwohnerInnen nicht gestört werden …
Ein neuer Standort an der Bahnhofstraße?
Zwei wichtige Voraussetzungen – zentral und dennoch etwas abgeschirmt – erfüllt immerhin die im Frühjahr von der Stadt vorgeschlagene Fläche an der Bahnhofstraße, hinter dem Obdachlosenheim und dem gerade im Bau befindenden Parkhaus. Allerdings wäre es ein neu zu errichtendes Funktionsgebäude in Containerbauweise – und die Krux daran für das Teestubenteam: Statt bisher 900 qm wären es gerade mal 400 qm. Da müsse auf zu vieles, was es bislang gibt und was gebraucht wird, verzichtet werden. Unverzichtbar seien aber das WG-Angebot als Teil seiner Jugendsozialarbeit, ebenso brauche es eine Pkw-Zufahrtsmöglichkeit, um die logistischen Anforderungen für Konzerte und andere Veranstaltungen zu sichern. Und noch fehle es an einem Außenbereich, der selbst gestaltet werden könne, und der Möglichkeit, die Skaterrampe überdacht wieder aufzustellen. Diese erfreut sich übrigens durchaus einiger Beliebtheit in der regionalen Skaterszene, über 300 UnterstützerInnen haben für ihren Erhalt eine Petition unterschrieben. Was tun, wenn sich dies alles nicht umsetzen lassen sollte? Die Unsicherheit ist groß und daher erfolgte mit der Demonstration der Gang in die Öffentlichkeit.
Unverbindliche, da nur mündliche Zusagen seitens der Stadt?
Alle Bedenken zum vorgeschlagenen Standort hätte der Verein der Stadtverwaltung schriftlich mitgeteilt, aber darauf nie eine Antwort erhalten. Auch auf den Wunsch, eine neue Hausordnung und einen Mietvertrag für die Teestube zu erarbeiten, habe es keine Reaktion gegeben. Obwohl aus Sicht der Teestube die Kooperation mit der Stadtverwaltung inzwischen gut klappe, sei dies – so wurde in einem der abschließenden Redebeiträge vor dem Rathaus erklärt – eine Nichteinhaltung des 2014 gemeinsam geschlossenen Kooperationsvertrags, der auch beinhalte, dass alle Kommunikation zwischen Stadtverwaltung und Teestube schriftlich festzuhalten sei. Schriftlich läge zwar die Kündigung vor, die Zusage über „die monatliche Duldung, solange bis eine Möglichkeit für einen Umzug gefunden wurde“, dagegen habe es nur mündlich gegeben. Auch werde eine Verkleinerung von 900 auf 400 qm nicht als das mündlich zugesagte „vergleichbare Gelände“ empfunden. „Wir bitten und ja wir fordern von der Stadtverwaltung und von Herrn Häusler als deren Leitung, dass die in geschlossenen Räumen gesagten und versprochenen Worte über die Duldung der Teestube an ihrem aktuellen Standort bis zur Findung eines neuen Geländes in einer schriftlichen und öffentlichen Absichtserklärung bekannt gegeben werden“, so die Schlussworte.
Wem gehört die „Vielfaltstadt“?
Anders ausgedrückt: Menschen mit einem anderen Lebensentwurf wollen sich nicht einfach irgendwohin oder gar ins Nirgendwo abschieben lassen. Und einer Vielfaltstadt wie Singen würde dies auch schlecht anstehen. „Vielfaltstadt“ what’s that? Kein Witz, sondern formuliert im ISEK 2030 = „Integriertes Stadtentwicklungskonzept Singen 2030“, an dem sich Stadtverwaltung und Gemeinderat bei ihrer Arbeit zu orientieren versprachen: ein „weltoffenes, kultur- und naturverbundenes, zukunftsorientiertes Singen“. Wenn diese „Vielfalt“ mehr als ein unverbindlicher Marketing-Slogan bleiben soll, gekrönt von einer weltstädtischen Shopping-Mall, sollte doch auch ein damit verglichen kleiner Jugendtreff wie die Teestube mit ihrem kulturellem, aber vor allem ihrem sozialen Konzept weiterhin ihren Platz haben. Eine beiderseitig akzeptable Lösung gilt es jetzt zu finden…
Text: Uta Preimesser
Fotos: Dieter Heise