Jungerhalde West: Bürgervereinigung siegt
Der Gemeinderat hat’s beschlossen, und die Verwaltung gab sich – nach anfänglich zähem Widerstand – einsichtig: Für das Bauprojekt Jungerhalde West wird eine „echte“ Bürgerbeteiligung dritter Stufe durchgeführt, wie sie die Bürgervereinigung Allmannsdorf Staad, unterstützt von 434 UnterzeichnerInnen, verlangt hatte. Das war ein wichtiger Test dafür, wie ernst die StadträtInnen die einstmals nach langem Hin und Her beschlossenen Leitlinien für Bürgerbeteiligung zu nehmen gedenken: Test bestanden.
Anscheinend ist der Konstanzer Gemeinderat – anders als die Verwaltung – durchaus geneigt, die von ihm selbst beschlossenen Leitlinien Bürgerbeteiligung einzuhalten, auch wenn diese Beteiligung der Verwaltung eher lästig ist wie im Fall der Bebauung von Jungerhalde West (Näheres lesen Sie hier). Normal-BürgerInnen sind eben – anders als InvestorInnen – die Maulwurfshaufen im sonst so gepflegten Prunkrasen des obrigkeitlichen Verwaltungsdenkens, und das kriegen sie öfter mal zu spüren.
Die Bürgervereinigung Allmannsdorf Staad (BAS), die in ihrem Briefkopf auch als „Bürgervereinigung Allmannsdorf, Staad, Egg e.V.“ firmiert, hatte die erforderliche Zahl von Unterschriften für eine erweiterte Bürgerbeteiligung der höchsten Stufe 3, einer Mitsprache also, vorgelegt.
Die Verwaltung ihrerseits schlug daraufhin vor, eine vorgezogene Bürgerbeteiligung der geringeren Stufe 2 in Form einer Konsultation durchzuführen und zwei BürgerInnen in den Planungsprozess mit einzubeziehen. Wegen der Seuche seien Veranstaltungen mit womöglich mehreren hundert TeilnehmerInnen in Turnhallen o.ä. nicht möglich, aber aufgrund ihrer Größe seien solche Events auch kaum im Internet durchführbar. Außerdem lasse der enge Zeitplan des Bauprojekts Jungerhalde keine andere Lösung zu.
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Konsultation versus Mitsprache
Menschen nicht nur in Allmannsdorf und Umgebung sahen darin einen in corona-sprachliche Watte verpackten Versuch, die den BürgerInnen zustehenden Mitspracherechte zu hintertreiben. Dem Gemeinderat stellte sich also die Frage: Mit dem Bebauungsverfahren weitermachen wie vom Gemeinderat beschlossen und notfalls auf die Stimme des Volkes pfeifen, oder eine möglichst breite BürgerInnenbeteiligung durchführen mit dem Risiko, dass eventuell der Zeitplan des Bauvorhabens ins Wanken gerät, wie von der Verwaltung eingangs behauptet?
Aber was ist eigentlich der Unterschied zwischen Stufe zwei und drei der Bürgerbeteiligung? Martin Schröpel, der rührige Beauftragte für Bürgerbeteiligung und Bürgerschaftliches Engagement bei der Stadt Konstanz, betonte immer wieder, dass die Übergänge zwischen diesen Stufen fließend seien:
– Bei einer Beteiligung zweiter Stufe „Konsultation“ werden nach seinen Worten eine Planung vorgestellt und die Meinungen der Bürgerinnen eingeholt, das war’s, die Verwaltung geht nach Hause, gibt keine Rückmeldungen und tut, was ihr richtig erscheint.
– Bei einer Beteiligung dritter Stufe hingegen stellen die PlanerInnen ein Projekt vor, hören die Ideen und Einwendung der BürgerInnen an, gehen dann noch einmal in sich und legen gegebenenfalls eine geänderte Planung vor, die wiederum diskutiert wird; in diesem Prozess treten die BürgerInnen mit den PlanerInnen in Workshops, bei runden Tischen etc. „fast auf Augenhöhe“ in Kontakt. Das ist Mitwirkung im engeren Sinn, dabei kommen die BürgerInnen in nahen Kontakt auch mit den eigentlichen PlanerInnen und nicht nur mit der Stadtverwaltung.
Manna von der Holzbauinitiative
Außerdem, so machte Baubürgermeister Karl Langensteiner-Schönborn deutlich, gab es auch noch einen ganz frischen Grund für die Angst vor Verzögerungen: Die Stadt hat mit diesem Projekt die erste Hürde der Holzbauinitiative des Landes Baden-Württemberg genommen und steht jetzt unter dem Druck, ihre Pläne rechtzeitig zur zweiten Stufe der Initiative zu konkretisieren. Das könnte weitere Fördermittel bedeuten, reinstes Verwaltungs-Manna also. Kein schlechtes Argument, denn schließlich erwarten wir KonstanzerInnen, dass sich unsere Stadtverwaltung möglichst viele Zuschüsse sichert, auch wenn wir die als Steuerzahler letztlich selbst bezahlen müssen.
Die Debatte berührte zahlreiche Aspekte des gesamten Vorgangs. Die Bürgervereinigung will auf dem Wege der Mitbestimmung am liebsten die gesamte Bebauung verhindern oder zumindest radikal verkleinern. Dazu bemerkte Johann Hartwich (FDP), dass in der gesamten Stadt zwar jede/r für Wohnungsbau sei – aber eben nicht in seiner Nachbarschaft. Auch Jürgen Ruff (SPD) stellte klar, dass es jetzt nur noch darum gehe, die Bürgerschaft an der konkreten Ausgestaltung des neuen Areals zu beteiligen, die Bebauung selbst sei aber beschlossene Sache und werde nicht mehr infragegestellt. Daniel Groß (CDU) wies zudem darauf hin, dass die Bürgervereinigung mit ihren 350 Mitgliedern nicht für alle AllmannsdorferInnen spreche, denn auch in diesem Teil der Stadt gebe es BefürworterInnen einer Bebauung der Jungerhalde; selbst innerhalb der Bürgervereinigung teilten nicht alle die von den Vorständen geäußerte Ablehnung der Bebauung. Er forderte, dies bei der Beteiligung zu berücksichtigen und nicht nur die Bürgervereinigung zu Wort kommen zu lassen, sondern ein möglichst breit gefächertes Meinungsbild einzuholen.
Neue Formate
Über die Art der Beteiligung allerdings gab es einiges an Irritationen, weshalb eigentlich sah die Verwaltung in ihrer Beschlussvorlage nur Konsultationen, nicht volle Mitsprache vor? Marion Klose, Leiterin des Amtes für Stadtplanung und Umwelt, erklärte diese Frage plötzlich für nebensächlich: Die Verwaltung habe sich in den letzten Wochen unter Pandemiebedingungen derart intensiv mit neuen Formaten wie Podcasts, Filmen und Umfragen beschäftigt, dass aus dem Blick geraten sei, „ob wir das jetzt Konsultation oder Mitsprache nennen. Das hat offensichtlich zu Irritationen geführt.“ Eine wachsweiche Ausrede, denn die Verwaltung hatte sich in ihrer Beschlussvorlage ausdrücklich nur zu einer Konsultation bereit erklärt und eine Mitsprache ebenso ausdrücklich abgelehnt, die Wortwahl war ihr da scheint’s noch sehr wichtig. Immerhin habe man laut Klose insbesondere mit der Beteiligung am Grenzbachareal viele Erfahrungen gesammelt, aus denen sich ein digitales, hybrides oder wie auch immer geartetes Mitsprachemodell stricken ließe, das der Stufe 3 genüge.
Diese (angebliche) Ungenauigkeit der Vorlage kritisierte Peter Müller-Neff (FGL), ein erklärter Gegner der Bebauung, als Pfusch der Verwaltung. Er sah nicht ein, dass jetzt alles – Einwände der BürgerInnen hin oder her – noch im zweiten Quartal „übers Knie gebrochen“ werden solle. Er forderte, sich Zeit zu lassen und, wenn es die Inzidenz erlaube, im dritten Quartal zu einer Beteiligungsveranstaltung in eine Turnhalle einzuladen oder eine Hybridveranstaltung anzusetzen. Er forderte für die nächste Gemeinderatssitzung eine neue Beschlussvorlage mit einem klaren Zeitplan und einer angemessenen Bürgerbeteiligung – letztlich also eine Vertagung. Johann Hartwich kritisierte ihn dafür: „Wenn ich Peter Müller-Neff höre, so höre ich, dass die Grünen einerseits zwar bezahlbaren Wohnraum haben wollen, aber andererseits diese Fläche nicht bebauen wollen. Aber wenn ich mit dem Wohnungsbau weiterkommen will, muss ich irgendwann auch mal das tun, was wir hier beschlossen haben“, nämlich bauen.
Einsatz für Bürgerrechte
Die Linke trat in der Diskussion klar für die Bürgerrechte ein. „Ich stehe zwar hinter dem Projekt Jungerhalde West und finde auch nicht alle Vorwürfe der Bürgervereinigung berechtigt“, gab Holger Reile (LLK) zu Protokoll, „bin aber der Meinung, dass hier eine echte Bürgerbeteiligung durchgeführt werden muss.“ Seine Fraktionskollegin Anke Schwede hieb in dieselbe Kerbe: „Ich werde nur zustimmen, wenn im Beschluss klar steht, dass die Stufe drei, also die Mitwirkung, tatsächlich umgesetzt wird.“ Sie lehnte ein rein digitales Format ab, weil dadurch Menschen ohne entsprechende Computeranlagen ausgeschlossen würden. Dieser Punkt wurde übrigens durchaus kontrovers diskutiert, denn Jürgen Ruff lobte an digitalen Formaten ausdrücklich eine stärkere Beteiligung auch von mobilitätseingeschränkten Menschen sowie von Familien, die bezahlbaren Wohnraum suchen.
Am Ende der Debatte, in der die scheinbar geläuterte Verwaltung zunehmend so tat, als sei das alles ein großes sprachliches Missverständnis gewesen, versicherte Marion Klose: „Es wird mehrere Veranstaltungen geben, und wir werden ein Format vorbereiten, das sich auch hybrid durchführen lässt, weil wir jetzt noch nicht wissen, wie sich die Pandemie entwickeln wird. Wir werden zwei oder drei Veranstaltungen analog zur Beteiligung in Sachen Grenzbach-Areal durchführen.“
Mit anderen Worten: Es wird, wie von der Bürgervereinigung beantragt, eine erweiterte Bürgerbeteiligung geben, und die Verwaltung, die noch vor kurzem behauptet hatte, das sei mehr oder weniger unmöglich, behauptet auf einmal, das bereite keine Probleme. Ergebnis: 0 Nein-Stimmen, 1 Enthaltung, alle anderen stimmten mit Ja.
Gut gebrüllt, LöwInnen. Aber vergesst nie: Die Läuterung der Obrigkeit könnte geheuchelt sein.
O. Pugliese (Text und Bild)