„Kämpfen statt durchsanftmeiern!“

Mit einer recht aufwendigen Sonderausstellung samt Buch und Film zelebriert das Rosgartenmuseum im Kulturzentrum am Münster das 175ste Jubiläum der 1848er-Revolution. Fazit vorweg: Eine unbedingt sehenswerte Ausstellung; ein dazu hilfreiches und auch als „Geschenkgrüße aus Konstanz“ taugliches Buch; ein Film, den man auch auslassen kann.

Ausstellung und Buch spannen den Bogen von dieser frühen Demokratiebewegung bis in unsere Tage, da „die freiheitlich verfasste, parlamentarische Demokratie droht […] zum Auslaufmodell zu werden“, so Ausstellungsleiter Tobias Engelsing. Wer frei leben wolle, der müsse sich für die Freiheit auch einsetzen, nämlich, mit Friedrich Heckers Worten, sich „durch die Welt kämpfen und gelegentlich gehauen werden“, anstatt „als sanft lebendes Fleisch sich lächelnd durchzusanftmeiern.“

Mit diesem Zitat geben uns Ausstellung und begleitendes Buch gleich eine Kostprobe der Sprachgewalt des „badischen Che Guevara“, so ein seit einer vergleichenden Kultanalyse des Kulturwissenschaftlers Joachim Baur gepflegte Topos.

Friedrich Hecker, als lebensechte Gestalt von der Hand des Flurlinger Präparators Marcel Nyffenegger geformt, ist ein zentraler Punkt der Ausstellung. Wir erfahren von seinem in Konstanz begonnenen „Marsch auf Karlsruhe“, der auf der Scheideck bei Kandern gar kläglich im Feuer der gut bewaffneten und im Töten trainierten royalistischen Truppen endete. Dann die Flucht über die Schweiz in die USA, wo der Freiheitskämpfer im Sezessionskrieg ein Regiment Deutschstämmiger gegen die Sklaven haltenden Südstaaten anführte. Gleich am ersten Tag der Ausstellung besuchten auch die vom Museum und der Singener Buchhändlerfamilie Greuter eingeladenen US-Nachfahren Heckers die Hommage an ihren Ahnherrn.

Erst parlamentarisch, dann umstürzlerisch

Nun sind die badischen Revolutionäre um Friedrich Hecker und Gustav Struve ungeachtet ihrer hehren Ziele nicht ohne weiteres als lupenreine Vorkämpfer einer parlamentarischen Demokratie zu vermitteln, verzweifelten sie doch am Zögern und der Monarchentreue des von den Liberalen dominierten Frankfurter Vorparlaments, verließen den parlamentarischen Weg und suchten stattdessen die deutsche Republik durch einen gewaltsamen Umsturz auf den Weg zu bringen.

Bill Hecker und sein Ur-ur-ur-Großvater Friedrich

Die Ausstellung knüpft also einen zweiten Strang zum Grundgesetz, das am Ende des Parcours, sozusagen sein Ergebnis, als Heftchen zur Mitnahme ausliegt. Dazu versetzt sie uns über den Bodensee und Baden hinaus in die Frankfurter Paulskirche, wo im Mai 1848 das erste gesamtdeutsche Parlament zusammentrat. Ein schwarz-rot-goldenes Oval steht für den Versammlungsort: im Hintergrund die großformatige Lithografie eines Zeitzeugen mit den wichtigsten und populärsten Abgeordneten (allesamt Männer); mittendrin Vitrinen und Stangen mit allerlei Artefakten, welche die in der Paulskirche erarbeiteten Grundrechte symbolisieren.

Das entsprechende Gesetz wurde zwar nach dem Scheitern der Revolution von den Monarchen schnell für ungültig erklärt, doch die Grundrechte wie Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit oder Unverletzlichkeit der Wohnung fanden später Eingang in die Weimarer Verfassung und schließlich in unser Grundgesetz. Wer mehr wissen will, findet auf einem Touchscreen Erläuterungen zu jedem Grundrecht.

Zufluchtsort Schweiz

Relikte der Revolutionszeit, darunter bislang unveröffentlichte Exponate aus dem Besitz der Hecker-Nachfahren, kontrastieren schimmernde Preziosen des badischen Hofs. Auch die Schweiz, damals schon liberale Republik, wird als Zufluchtsort freiheitsliebender Demokraten gewürdigt. Zwei Dutzend erklärende Saaltexte*, dazu wohl vierzig als zweidimensionale Holzfiguren dargestellte Protagonisten (darunter der Zeit entsprechend nur wenige Frauen), Hörstationen mit Interviews, Bildschirme, Karikaturen, Kostüme, gemalte Porträts und frühe Fotografien, ein nachgestelltes Wirtshaus und das Arbeitszimmer des Großherzogs – puh, da geht schnell der Überblick verloren.

Ausstellungsbesucher:innen sind deshalb gut beraten, das Begleitbuch vorab zu kaufen und als Leitfaden zu nutzen. Reich illustriert mit Abbildungen der Exponate und Wiedergabe der ausgestellten Bilder ist es eher ein Ausstellungskatalog als ein herkömmliches Sachbuch. Leider fehlen Chronologie und Personenregister, auch eine Landkarte mit den Schauplätzen der Revolution, wie sie im Eingangsbereich der Ausstellung hängt, hätte dem Buch gut getan.

Ergänzend zu Buch und Ausstellung läuft im Gewölbekeller des Kulturzentrums der knapp halbstündige Dokumentarfilm „Es gilt in Baden loszuschlagen!“ Unter der Regie von Museumsleiter Tobias Engelsing und Teresa Renn, die schon den Begleitfilm zur NS-Ausstellung des Rosgartenmuseums gedreht hat, führt uns die Schauspielerin und Moderatorin Annett Fleischer durch Konstanz zu den lokalen Schauplätzen der Revolution. Auch Emma Herwegh und Friedrich Hecker treten kurz auf. Einen professionellen Off-Sprecher haben sich die Filmemacher gespart, diesen Part übernimmt Tobias Engelsing gleich mit.

Warum kein Fest?

Gekostet hat die Trilogie aus Ausstellung, Buch und Film allein an Sachmitteln 280.000 Euro. Wie geht das, wenn der städtische Haushalt für dieses Jahr dem Rosgartenmuseum für Ausstellungen und Druckkosten nur gut 150.000 Euro und für einen Film rein gar nichts zugesteht? Einmal mehr zeigte sich Museumsleiter Tobias Engelsing als begnadeter Netzwerker, der für sein Projekt Gelder von Stiftungen und privaten Gönnern auch aus der Schweiz einzuwerben vermochte.

Verschenkt hat den Anlass indes die Konstanzer Stadtspitze, indem sie das Jubiläum allein dem Museum überließ. Tatsächlich zweifeln immer mehr Menschen nicht nur an der Lösungskompetenz des Staates, sondern auch daran, dass sich „die da oben“, ob nun in Berlin oder in Konstanz, überhaupt für die Belange des einfachen Volks interessieren. Mit einem Bürgerfest oder wenigstens einem Tag der offenen Tür im Rathaus hätte für demokratisches Engagement geworben werden können. Denn wer weiß, ob es „die freiheitlich verfasste, parlamentarische Demokratie“ beim nächsten runden Jubiläum anno 2048 noch geben wird.

*Im Internet, versteckt und nicht weiter verlinkt, findet sich unter www.rosgartenmuseum.de/1848-saaltexte/ eine englischsprachige Version der Saaltexte.

Text und Fotos: Ralph-Raymond Braun

Ausstellung (Eintritt 7, ermäßigt 5 Euro) und Film (Eintritt frei) im Kulturzentrum am Konstanzer Münster sind noch bis 7. Januar 2024 Di–Fr 10–18, Sa, So und Feiertag 10–17 Uhr geöffnet. Das Begleitbuch „Jetzt machen wir Republik!“ kostet 14 Euro.