Kandidat Radojevic: Lockere Sprüche und herbe Kritik

Das Sextett der Bundestagskandidaten im Wahlkreis Konstanz ist jetzt komplett: Neben den Abgeordneten Homburger (FDP) und Jung (CDU) bewerben sich Nese Erikli (Bündnis 90/Die Grünen), Tobias Volz (SPD) sowie Andreas Bergholz (Piratenpartei). Und seit gestern steht mit Marco Radojevic auch der Kandidat der Partei „Die Linke“ fest. seemoz sprach mit dem Studenten aus Konstanz, der sich als redegewandter Sozialexperte mit locker-flockigen Sprüchen empfiehlt – offensichtlich ein Wahlkämpfer mit Tiefgang

Die Manipulationen der Bundesregierung an ihrem eigenen Armutsbericht sind derzeit in aller Munde. Wäre jetzt schon Wahlkampf – wie würdest Du reagieren, Marco?

In der 7. Klasse habe ich eine fünf in Latein geschrieben. Ich habe damals meine Note verheimlicht, weil ich mich dafür geschämt habe. Das erinnert mich an die Regierung Merkel, die sich teils aus Scham, teils aus politischem Kalkül kritischer Passagen aus dem Reichtums- und Armutsbericht  entledigt hat. Ich habe damals die Rechnung mit meiner Zeugnisnote bekommen – jetzt ist es an den BürgerInnen und Bürgern, Frau Merkel die Rechnung für ihr Verhalten zu servieren.

Wie wichtig ist die Wahl im September 2013 für die Zukunft Europas?

Ich bin kein Fan des Wortes von der Schicksalswahl, aber die Bundestagswahl 2013 verdient ausnahmsweise diese Bezeichnung. Die Bürgerinnen und Bürger stimmen nicht nur über die Zukunft Deutschlands, sondern auch über die Zukunft ganz Europas ab. Die Bürger haben die Wahl zwischen der gemeinsamen Europapolitik von CDU, FDP, SPD und Grüne – schließlich haben diese Parteien alle wesentlichen Beschlüsse zur Zukunft Europas gemeinsam gefällt – und der Politik von DIE LINKE, die eine Kehrtwende in Sachen Europapolitik machen will.

Wer die Bilder aus Griechenland sieht oder die Erlebnisberichte hört, der weiß, dass die Eurorettungspolitik von CDU, FDP, SPD und Grünen gescheitert ist. Diese Parteien sind dafür verantwortlich, dass in Griechenland Schwangeren ohne Geld eine Entbindung im Krankenhaus verwehrt wird. Diese Parteien sind dafür verantwortlich, dass das griechische Bruttoinlandsprodukt  seit 2009 um über 21% gesunken ist und sowohl die Löhne als auch die Beschäftigung massiv zurückgegangen sind. Und diese Parteien sind dafür verantwortlich – und das gibt mir als Linker und Antifaschist besonders zu denken – dass die Faschisten in Griechenland wieder massiv Zulauf gewinnen und ganz unverhohlen Wahlrecht nur für Menschen griechischen Blutes fordern und  Migrantinnen und Migranten durch die Straßen jagen.

Du kritisierst also die Sparpolitik – nicht nur in Griechenland?

Die Sparpakete führen zu einem Verlust an Kaufkraft, der Verlust an Kaufkraft führt zu einem Wirtschaftseinbruch, der Wirtschaftseinbruch führt zu höheren Staatsschulden. Die Situation wird von Sparpaket zu Sparpaket, von Kürzungsprogramm zu Kürzungsprogramm dramatischer.

Der Linken wird stets vorgeworfen, sie kritisiere nur, ohne Gegenvorschläge zu machen. Was sind Deine Vorschläge, was ist Dein Rezept?

Eine Millionärsabgabe in ganz Europa. Eine Offenlegung aller Transaktionen zwischen den reichen griechischen Familien und den europäischen Vertretern des Bankenbanditentums, damit deren Geld endlich angemessen besteuert werden kann. Eine effizientere Steuerfahndung in Griechenland. Wir brauchen ein wirkliches Investitionsprogramm in die griechische Wirtschaft, sonst wird der griechische Staat am Sankt Nimmerleinstag noch nicht zahlungsfähig sein.  Jeder einzelne Euro, der an den griechischen Staat geflossen ist,  um Forderungen von Hedgefonds, Banken und anderen Finanzhaien zu erfüllen,  wird sonst verloren sein.

Marco Radojevic, 1990 in Göppingen geboren, dort auch Abitur gemacht und Zivildienst geleistet, studiert derzeit „Politik- und Verwaltungswissenschaften“ (3. Fachsemester) an der Uni Konstanz. Er trat 2010 in die Partei „Die Linke“ ein und gründete in Göppingen einen Kreisverband der Linksjugend[solid]. Er war Landessprecher der linksjugend[solid] in Baden-Württemberg und ist Mitglied des Studierendenparlaments an der Universität Konstanz. Nebenbei – Anpruch auf BaföG hat er nicht – finanziert er seinen Lebensunterhalt durch einen HiWi-Job an der Universität

Der griechischen Volkswirtschaft fehlt die Luft zum Atmen. Dies müssen wir endlich ändern. Aber wenn ich die Politik von Merkel ansehe, komme ich zum Schluss, dass der größte Sauerstoffmangel im Gehirn von Merkel und Steinbrück herrscht. Diese würde zumindest auch das Schlaftabletten-Gesäusel von Frau Merkel erklären.

Das hört sich schon richtig nach Wahlkampf an. Doch der Wahlkampf wird in Deutschland stattfinden. Was können wir hierzulande aus dieser Krise lernen, was müssen wir besser machen?

Auch wir brauchen einen Kurswechsel. Der Handelsbilanzüberschuss von Deutschland, der seit 2002 jedes Jahr über 100 Mrd. Euro beträgt, bringt die Volkswirtschaften der anderen europäischen Länder, deren Haupthandelspartner Deutschland ist, aus dem Gleichgewicht. Dieser Exportüberschuss wird auf dem Rücken der Arbeitnehmer erwirtschaftet. Wir haben in Deutschland 1,3 Millionen Menschen, die trotz Arbeit Hartz IV beantragen müssen. 22% der Erwerbstätigen arbeiten im Niedriglohnsektor. Die Reallöhne in Deutschland sind seit dem Jahre 2000 um 5,4% gesunken. Kurz: Wir konkurrieren, auf Kosten der meisten Menschen in Deutschland, Europa zu Tode. Die Grundsteine hierfür wurden von der rot-grünen Regierung gelegt und seitdem von jeder Regierungskoalition fortgesetzt.

So weit die Analyse, aber wo bleiben – noch einmal – die Gegenvorschläge?

Die Linke streitet für ein Umdenken in der Sozial- und Wirtschaftspolitik. Wir wollen für eine Wirtschaft kämpfen, die an den Menschen ausgerichtet ist und von diesen demokratischen kontrolliert wird. Wir brauchen endlich einen Mindestlohn statt Niedrigstlohn. Wir brauchen eine Sozialpolitik mit Herz und Hirn statt mit Hartz. Wir brauchen endlich Unternehmensbeteiligungen der Arbeiternehmer und ArbeitnehmerInnen. Deutschland ist Spitzenreiter im Lohndumping und Sozialabbau. Die Regierung Merkel will diese Politik nun über den Fiskalpakt – mal wieder mit Unterstützung von SPD und Grünen – in ganz Europa durchsetzen.

Das sagt Nese Erikli, Bundestagskandidatin der Grünen im Wahlkreis Konstanz, so oder ähnlich auch. Selbst SPD-Kandidat Volz könnte das unterschreiben…

Oh, nein. Weil wir diese Politik nicht mittragen wollen und ein gerechtes Europa der Menschen, anstatt ein neoliberales Europa der Konzerne und Finanzhaie wollen, hat sich Nese Erikli in einem Interview mit der Grünen Jugend Baden-Württemberg über uns echauffiert. Sie sagte, unsere Forderungen seien „unrealistisch“ , wir wären „europafeindlich“ und nicht „regierungsfähig“.  Ich sage: Unsere Forderungen sind nicht unrealistisch, sie sind das Gebot der Stunde! Ich sage:  Man kann unsere Forderungen nur dann als europafeindlich verstehen, wenn man ein Europa der Banken, Konzerne und Bürokraten anstrebt. Und wenn es zur Regierungsfähigkeit gehört, bei der Mittelschicht, den Armen und Ärmsten zu sparen und die Millionäre und Finanzmärkte nicht in die Pflicht zu nehmen, dann will ich, dann wollen wir, gar nicht regierungsfähig sein.

Frau Erikli und die Grünen sollten sich daher lieber auf ihre grüne Gründungszeit besinnen und Spinatpartys ausrichten und wieder ein paar Socken, Wollmützen und Schals stricken. Damit würden die Grünen  weit weniger Schaden anrichten und es wäre den Menschen in diesem Winter mehr geholfen als mit einer Europapolitik, die sich nur unter der Lupe von der Frau Merkels  unterscheiden lässt.

Die SPD entdeckt ja gerade das Wahlkampfthema „Soziales“ wieder für sich. Da ein bisschen Rente, hier ein bisschen Mindestlohn, dort ein wenig Hartz IV. Reicht das?

Wer der SPD eine wirkliche Wende in der Sozialpolitik zutraut, der würde Sigmar Gabriel auch auf einen leckeren Kuchen aufpassen lassen. Die Oppositionspolitik der SPD – wenn man das so nennen darf – spricht da Bände. Dort verhielt sich die SPD eher wie ein alter Hund, der noch ab und an mal bellt, den aber niemand mehr wirklich ernst nimmt und der eigentlich auch ganz glücklich ist, wenn er von Frauchen Merkel ab und zu mal ein Leckerli bekommt.

Die Sozialpolitik ist sicher ein Schwerpunktthema der Linken. Aber wie sieht es zum Beispiel mit der Bildungspolitik aus?

Deutschland ist in Europa Schlusslicht, was Bildungsgerechtigkeit und frühkindliche Bildung angeht. Das Kooperationsverbot von Bund und Ländern muss endlich aufgehoben werden, damit von Konstanz bis Kiel für alle Kinder gleichwertige Top-Bildungseinrichtungen geschaffen werden können. Wir müssen das dreigliedrige Schulsystem endlich in die Mottenkiste packen. Dieses Relikt aus dem  19. Jahrhundert ist dafür verantwortlich, dass sich der Lebensweg für die meisten Kinder schon mit der Grundschulzeit endet und dass Kinder aus sozial schwachen Familien schon früh abgehängt werden. Die wenigsten Arbeiterkinder sehen ein Gymnasium oder eine Universität von innen.  Keine Gesellschaft kann sich leisten, so viel Potential durch verstaubte Strukturen zu verlieren.

Unseren größten Handlungsbedarf sehe ich aber in der frühkindlichen Bildung. Die frühkindliche Bildung kann wie keine andere Bildungseinrichtung Bildungschancen von Kindern erhöhen. Wir in der Linken müssen daher flächendeckend Kindertagesstätten für alle Kinder fordern. Kindertagesstätten müssen weiterhin kostenlos sein, um Kinder aus allen Schichten den Zugang gewährleisten zu können. Wir brauchen zudem eine allgemeine Aufwertung des Erzieherberufes. ErzieherInnen müssen besser bezahlt und ausgebildet werden. Wir dürfen kein Kind mehr auf der Strecke lassen, nicht der Wirtschaft willen, nicht eines bestimmten Gesellschaftsbildes oder Ideologie willen. Jedes Kind hat eine Top-Bildung von der Kita bis zur Universität verdient.

Du machst ja schon reichlich Wahlkampf, was Deine Sprüche angeht.  Wie aber wird Dein Wahlkampf in den nächsten Monaten aussehen?

All dies werden wir nur mit einer starken Linken im nächsten Bundestag schaffen. Eine andere Regierung ist möglich, doch: Eine andere Politik ist nur mit „Der Linken“ möglich, der Partei, die dafür eintritt, einen Richtungswechsel einzuschlagen und nicht die Partei, die an ein paar Stellschrauben dreht. Ich werde im Wahlkampf den Steinbrücks und den Merkels deutlich sagen: Wir wollen einen Politikwechsel und keinen bloßen Farbwechsel.

Autor: hpk

Weitere Links:

„Er kann Wahlkampf“

„Ich will an die grüne Tradition in Konstanz anknüpfen“