KandidatInnen – menschelnd
Nein, ein Wahlkampf-Auftakt war das nicht. Denn es ging weder um Wahl noch um Kampf und um Politik schon gar nicht. Die Talkshow zur Gemeinderatswahl geriet zu einer Mixtur aus Talentschuppen und Kochsendung – manchmal unterhaltend, meist wenig informativ. Denn wer will schon wissen, dass Ewald Weisschedel als Schüler zweimal sitzen geblieben war und Winfried Kropp nach Bali reist, um kochen zu lernen?
Beim ersten Teil der „Räterunde“, die Entertainer Tobias Bücklein im nicht ganz gefüllten „terracotta“ zelebrierte und mit wechselnden Gästen täglich bis Freitag fortsetzen will, wurden Wörter wie „Wohnungsnot“ oder „Verkehrschaos“ kein einziges Mal problematisiert. Vielmehr ging es um das Pfadfinder-Leben der CDU-Kandidatin Sabine Feist oder um die Lieblingsspeise von Leon Ridtahler (FGL). Wären da nicht die Musikeinlagen des Hausmusikkreises Bücklein (Vater, Mutter, Sohn und Tochter zeigten bemerkenswerte Musikalität, wobei Tochter Elise nicht nur als Sängerin hervor stach) gewesen, man hätte von einer belanglosen Plauderrunde schreiben müssen, die Persönliches, manchmal Drolliges zutage förderte:
Die bislang in der Öffentlichkeit gänzlich unbekannte Architektin Sabine Feist (CDU, Platz 2), nach Bücklein die „bestplazierte CDU-Kandidatin seit 1414“, trug immerhin ein selbst getextetes Lied vor, in dem sie fast Politisches zur Wohnraum-Frage und zum Generationen-Verhältnis anstimmte. Die aktive Katholikin und dreifache Mutter wirkte auf der Bühne noch unsicher, aber einnehmend. Das Versprechen, ihren Sachverstand als Architektin in den Stadtrat einzubringen, lässt zumindest hoffen.
Seiner aus dem Gemeinderat bekannten Rolle als „Quer- und Freidenker“ wurde der Journalist Holger Reile (Spitzenkandidat der LLK, Linke Liste Konstanz) einmal mehr gerecht, als er von seiner politischen Sozialisation berichtete, von seinem „Rauswurf aus der roten Schülerfront“ und von seiner Rolle bei der Gründung der Freien Grünen Liste, mit der er heute häufig hart ins Gericht geht. „Quer“ auch seine Kulturbeiträge: Ein Gedicht von Franz Josef Degenhardt und ein Wiener Chanson von Sigi Maron, das Bücklein zum Besten gab.
Die Unerfahrenheit spürte man Leon Ridthaler (FGL, Platz 8) an – mit 20 Jahren nicht nur jüngster Bewerber seiner Partei, sondern jüngster Ratskandidat überhaupt (s. Foto). Der Azubi „will an der Politik und im Gemeinderat noch wachsen“ und überraschte Conferencier Bücklein mit einer Eierspeise. Reicht das für einen Sitz im Gemeinderat?
Kulinarisch kam auch Winfried Kropp (SPD, Platz 13) daher. Aus Bali hatte er das Rezept für eine Paste mitgebracht, es daheim nachgekocht und hielt das Endprodukt nun Tobias Bücklein unter die Nase, der sich unversehens in eine „Kochshow beim Fernsehen“ versetzt fühlte. Ob allerdings die Motivation „endlich in der ersten Reihe etwas mitzuentscheiden“ des Parteisoldaten Kropp (er arbeitet als Pressesprecher für die SPD) goutiert wird, entscheiden die Wähler erst im Mai.
Ein Heimspiel hatte Ewald Weisschedel – als einziger Gast gebürtiger Konstanzer und als Stimmenkönig in der Stadt bestens vernetzt. Der Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler bekannte, nicht nur als Schüler „stinkfaul“ gewesen zu sein, strunzte mit seinen prominenten Klassenkameraden und vergaß nicht, seinen Bonus als bekannter Arzt und Seglerpräsident ins Feld zu führen. Fast hatte man den Eindruck, er sei an einem Sitz im Stadtrat gar nicht sonderlich interessiert – am 25. Mai werden die Wählerinnen und Wähler ihre Antwort geben.
Wer politische Aussagen zur Richtschnur seiner Wahlentscheidung machen will, wird von Bücklein nicht ausreichend bedient, der muss auf die Programmdiskussionen der nächsten Wochen warten. Wer jedoch das Menschelnde und manch Privates der KandidatInnen kennen lernen mag, verbringt in diesem Format der „Räterunde“ einen vergnüglichen, nicht ganz billigen Abend.
Täglich noch bis Freitag immer um 19.30 im „terracotta“ (ehemals Quartierszentrum) am Klinikum.
Autor: hpk
Siehe auch:
Zu „Wählerinnen und Wähler “ sowie „KandidatInnen“
Bei Begriffen wie „Mütter“, „Töchter“, „Schwester“, „Frauenzimmer“ usw. käme niemand auf die Idee, allein aus der Endung „er“ auf Männlichkeit zu schließen. Das aber ändert sich schlagartig, wenn opportunistische Politiker in plumper Anbiederung an den Zeitgeist plötzlich holprig und umständlich von den „Wählerinnen und Wählern“ faseln und dabei übersehen, daß die deverbative Ableitung auf „er“ lediglich grammatisch männlich ist, semantisch aber selbstverständlich beide natürlichen Geschlechter umfaßt, mögen ein paar unreife Emanzen, welche übrigens die idiotische und sprachverhunzende Rechtschreibversaubeutelung meist klaglos übernehmen, noch so zetern. An diesem sogenannten generischen Maskulinum für beide Geschlechter ändert sich auch nichts, wenn latinisierte Deverbative statt auf „er“ auf „or“ enden wie bei „Professor“. Bei Dienstbezeichnungen verbietet das Sprachlexikon „Wahrig“ unabhängig vom Geschlecht des Amtsträgers die geschlechtsspezifische Form mit dem Wortbildungsmorphem „in“ als Suffix sogar ausdrücklich. Völlig aberwitzig wird es, wenn aus dem Englischen übernommene und von Fremdwortbanausen fälschlich als Anglizismen — unter einem Anglizismus versteht man keine englische Vokabel, sondern eine englische Spracheigentümlichkeit, genauer eine für das britische Englisch charakteristische Erscheinung, welche auf eine nichtenglische Sprache übertragen wurde (z. B. jmdn. feuern = jmdn. hinauswerfen; engl. to fire) — titulierte Personenbezeichnungen wie „Designer“, „Manager“, „User“ usw., die von Haus aus gar keine geschlechtsspezifische Form kennen, mit dem Germanismus eines Suffixes „in“ verunstaltet werden. Die weitverbreitete Unkenntnis hinsichtlich der Repräsentanten aus beiden Lagern umfassenden und somit geschlechtsneutralen Form ohne Suffix basiert wohl auf einer Verwechslung von grammatischem Geschlecht (Genus) und natürlichem Geschlecht (Sexus). Daß beide nur bedingt etwas miteinander zu tun haben, erkennt man besonders deutlich am oben bereits genannten „Frauenzimmer“ sowie an sonstigen sprachlichen Neutra wie „Weib“, „Mädchen“, „Fräulein“, „Schneewittchen“, „Dornröschen“, „Aschenputtel“ usw.; und wie gröblich wird jedes feine Sprachempfinden verletzt, wenn Halbgebildete mit derselben Penetranz, mit der sie peinliche Anglizismen wie „einmal mehr“ (stümperhafte Nachäffung des englischen „once more“) nachplappern oder bei jedem Unglück gleich von „Tragik“ schwafeln, immer wieder mit „sie“ darauf Bezug nehmen statt richtig mit „es“. Den Gipfel der Geschmacklosigkeit aber bildet zweifellos die Verballhornung durch das im universitären Bereich ausgebrütete, gänzlich verquere Binnen-I, wenn sich bemerkenswerterweise bis jetzt auch noch niemand dazu verstiegen hat, es etwa bei „AuszubildendInnen“ oder „LehrlingInnen“ anzuwenden, um den Unfug auf die Spitze zu treiben. Oder hat denn wirklich jemand geglaubt, daß zu einem Zuschauerraum nur männliche Personen Zutritt hätten, solange er nicht als „ZuschauerInnenraum“ ausgeschildert ist? Wohin die mittlerweile zur Manie ausgeuferte krampfhafte Vordrängelei an falscher Stelle allerdings tatsächlich bereits geführt hat, zeigt sich keineswegs nur in dem jetzigen Gebaren der Universitäten Leipzig und Potsdam, mit welchem sich die dortigen Professorenschaften lächerlich machen, mußte ich doch erfahren, daß eine hier pietätvoll verschwiegene Zeitschrift, die unbedingt auf der Höhe der Zeit sein wollte, „Mitgliederinnen“ aus der Taufe hob und damit sogar ein unschuldiges sprachliches Neutrum fern jeden männlichen Makels vergewaltigte! Auch von „Kinderinnen“ hat man in jüngerer Zeit schon gehört. Und ist die Sprachidiotie der universitären Innenisierung am Ende auch auf die vermeintlich politisch korrekten „Führerinscheininhaberinnen“ oder gar die „Führerinscheininhaberinnenfortbildungsleiterinvertreterinnen“ männlichen Geschlechts auszudehnen? Wie ist dem nur noch auf ein allgegenwärtiges sprachliches „-in“ fixierte und sogar jedes geschlechtsneutrale „man“ in ein völlig abartiges und sinnloses „frau“ verbiegende Feminismuswahn noch beizukommen? Antoine de Saint-Exupéry hat mal gesagt: »Um klar zu sehen, genügt ein Wechsel der Blickrichtung.«
Quellen:
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G. Wahrig, „Deutsches Wörterbuch“
J. Lohmann, „Genus und Sexus“
G. Wienold, „Genus und Semantik“