Kann Gröber Ehrenbürger in Konstanz bleiben?
Das fragen sich mittlerweile viele, die das Wirken des früheren Freiburger Erzbischofs Conrad Gröber (1872-1948) und seine Unterstützung für die braunen Machthaber kritisch sehen. Heftig diskutiert wird die Personalie in Freiburg, Meßkirch und nun auch in Konstanz. Denn auch hier ist eine Straße nach ihm benannt, zudem wird er als Ehrenbürger geführt. Kann man das noch guten Gewissens so belassen? Fragen, zu denen Tobias Engelsing, seit 2007 Leiter der städtischen Museen in Konstanz, klare Position bezieht.
Herr Engelsing, seitdem Wolfgang Proske in seinem neuen Buch „NS-Belastete in Südbaden – Täter, Helfer, Trittbrettfahrer“ auch Conrad Gröber ins Visier genommen hat, ist er vor allem in Meßkirch, Freiburg und auch Konstanz wieder in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses geraten. Wundert Sie das? Ein großer Teil der gegen Gröber erhobenen Vorwürfe ist so neu ja nicht.
Ich wundere mich nur über die Emotionalität der Debatte und über die bestürzende Gedankenlosigkeit einiger politischer Akteure: Wenn etwa der Meßkircher Bürgermeister in einem TV-Beitrag sagt, gerade solche umstrittenen Straßenbenennungen der NS-Zeit sollten erhalten bleiben, weil sie besonders zur Diskussion über die Geschichte anregen könnten, dann frage ich mich, weshalb die Alliierten 1945 alle Adolf-Hitler-Plätze beseitigt haben: Die wären doch, folgt man dieser Logik, hervorragende Orte für Debatten über Erinnerungskultur und Geschichtspolitik.
Andersherum wird ein Schuh daraus: Wie viele Straßen benennen wir denn nach couragierten Frauen und Männern, die sich der damaligen Missachtung ethischer Maßstäbe widersetzten, Menschen zur Flucht verhalfen, Flugschriften verteilten, gebrandmarkten Juden beistanden, Zwangsarbeitern heimlich Brot brachten? Diese Menschen könnten heute als Vorbilder dienen, doch die meisten von ihnen wurden schon früh diskriminiert oder aus der öffentlichen Erinnerung getilgt – nicht selten von Tätern und Mitläufern, die es nach 1945 glänzend verstanden, ihr weich gezeichnetes Geschichtsbild durchzusetzen.
In Meßkirch und Freiburg will man die Gröber-Straßen zwar nicht umbenennen, aber Zusatztafeln anbringen, die auf die NS-Verstrickungen Gröbers hinweisen. Ist das Ihrer Meinung nach ein angemessener Umgang mit der Personalie? Sollte man so auch mit der Gröber-Straße in Konstanz verfahren?
Wenn man vom Regelungszweck von Straßenbenennungen und Ehrenbürgerschaften ausgeht, nämlich verdiente Persönlichkeiten zu ehren und ihre Vorbildfunktion für die heutige Gesellschaft öffentlich herauszustreichen, dann müssen logischerweise auch Änderungen möglich sein, wenn sich das historische Urteil über solche fragwürdig gewordenen „Helden der Geschichte“ ändert. Die Freiburger Kommission setzte Gröbers Eintreten gegen die Morde an Behinderten neben seinen Opportunismus gegenüber Hitler und neben seinen Antisemitismus und empfahl deshalb, die Straßenbenennung bestehen zu lassen, aber ein erläuterndes Schild anzubringen.
Der Versuch abzuwägen ist nachvollziehbar, denn im Leben jedes Menschen gibt es, oft nebeneinander, moralisches Versagen und vorbildhaftes Verhalten. Aber dass Gröber noch unmittelbar nach dem Ende des Nazi-Regimes an seinem Wahn von der jüdischen Weltverschwörung festgehalten hat und sich beharrlich weigerte, die wegen ihres couragierten Eintretens für Verfolgte im KZ gelandeten Priester zu würdigen, überschattet seine vorhandenen Verdienste schon erheblich. Persönlich komme ich zum Schluss, dass Gröbers Straßenschild ins Museum gehört.
Teilweise hält man noch an der Legende fest, Gröber habe sich nach anfänglicher Begeisterung für den Nationalsozialismus von den neuen Machthabern distanziert. War das glaubhaft? Von Gröber stammt ja auch dieser Satz: „Soviel ist sicher, dass ich durch die geheime Staatspolizei und ihre Helfershelfer seelisch mehr gelitten habe als viele von denen, die in Dachau misshandelt wurden oder starben“. Ist das nicht eine schwer erträgliche Einschätzung, die das Leiden vieler anderer fast schon zynisch relativiert?
Gröber war eine intellektuelle, hoch sensible, auch eitle Natur. Seine narzisstischen Befindlichkeitsklagen nach 1945 passen ins Psychogramm dieses Kirchenfürsten. So vieles an ihm war zwiespältig: Conrad Gröber brachte die badischen Katholiken 1933/34 in pathetischen Tönen dazu, die gewaltsame Beseitigung der Demokratie durch Hitler gut zu heißen und am „Aufbauwerk des Führers“ mitzuwirken. Wenn man so will, hat der Bischof den neuen Reichskanzler Hitler bei zunächst widerständigen Katholiken salonfähig gemacht.
Später, als ihm klar wurde, dass Hitler die Kirchen verachtete, verteidigte er tatsächlich mutig und öffentlich christliche Werte und die Interessen der katholischen Kirche gegen das NS-Regime. Seine Predigten, etwa in der Wallfahrtskirche Birnau, wurden als hoffnungsstiftende Zeichen der Widersetzlichkeit gegen die gottlosen Nazis empfunden – das haben mir damalige Gottesdienstbesucher schon vor vielen Jahren mit leuchtenden Augen erzählt. Am Ende aber betete er für den Sieg deutscher Waffen gegen die gottlose Sowjetunion. Er unterstützte die Fluchthilfe von Gertrud Luckner, blieb aber, wie schon erwähnt, über 1945 hinaus ein ausgemachter Antisemit. Das Gesamtbild Gröbers ist durch die Forschung seither facettenreicher geworden, allerdings auch in den dunklen Farbtönen.
Die Linke Liste wird im Konstanzer Gemeinderat den Antrag stellen, Gröber die Ehrenbürgerwürde abzuerkennen. Sogar aus liberal-konservativen Fraktionen gibt es derzeit dafür Zuspruch. Wie schätzen Sie das ein? Wir erinnern uns: Vor einigen Jahren wurde dem früheren Oberbürgermeister Bruno Helmle die Ehrenbürgerwürde entzogen, weil er sich als Finanzbeamter während der Nazi-Zeit u.a. an jüdischen Eigentum bereichert hat. Gelten im Fall Gröber eigene Regeln?
Für Gröber wie für alle Ehrenbürger und die „Inhaber“ von Straßennamen in deutschen Städten und Gemeinden gelten die gleichen normativen Bestimmungen, in denen es im Wesentlichen immer um drei Kriterien geht: Verdienste für das Gemeinwesen, Mehrung des Ansehens der Stadt und die fortdauernde Vorbildfunktion. In der liberalen Demokratie des Jahres 2017 werden diese unbestimmten Rechtsbegriffe nach strengeren ethischen Maßstäben konkretisiert als noch Anfang der 1950er Jahre, als der 1948 verstorbene Gröber durch einen Handstreich seines alten Bekannten, Oberbürgermeister Franz Knapp, zu einem Konstanzer Straßenschild kam.
Straßenschilder sind nun einmal emaillierter Zeitgeist – und der ändert sich bekanntlich immer wieder. Wenn also neue Erkenntnisse der historischen Forschung zu einer gravierenden Neubewertung einer Persönlichkeit führen, liegt es nahe, kommunalpolitisch darauf zu reagieren. Denn die fortdauernde Benennung einer Straße oder die Aufrechterhaltung einer Ehrenbürgerwürde sollen ja für heutige Generationen eine Wirkung haben: Seht her, unsere Stadt ehrt auch heute noch Werk und Leben einer bemerkenswerten Persönlichkeit. Wer sich „unwürdig“ verhält oder verhalten hat, kann die Ehrenbürgerwürde satzungsgemäß auch wieder verlieren. Die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Verbrechen gibt uns für Personen dieser Zeit vor, mit strengen Maßstäben zu messen.
Debatten über Straßennamen und Ehrenbürger sind also sinnvoll, sie können nebenbei auch dazu beitragen, dass wir uns angesichts des ausgreifenden Nationalismus und der zunehmenden Faszination für das Autoritäre, der Werte und Freiheitsrechte, die den demokratischen Rechtsstaat tragen, bewusster werden.
Das Interview mit Tobias Engelsing führte Holger Reile
Anmerkung der Redaktion: Aufgrund der aktuellen Diskussion um Conrad Gröber teilte kürzlich der Caritasverband im Landkreis Sigmaringen als Träger des Altenpflegeheims Conrad-Gröber-Haus mit, dass der geplante Pflegeheim-Neubau in Meßkirch nicht mehr nach dem früheren Erzbischof benannt werden soll.