Karstadt in Singen soll geschlossen werden – wer trägt die Verantwortung?

Insgesamt 62 Filialen will der Warenhaus­konzern Galeria-Kaufhof-Karstadt schließen – darunter auch die Karstadt-Filiale in Singen. Das wurde der Belegschaft vergangenen Freitag in einer Betriebsversammlung mitgeteilt. Wer ist schuld an dem Desaster, das in Singen über hundert Arbeitsplätze fordert? Dazu ein Beitrag der früheren Betriebsratsvorsitzenden von Karstadt Konstanz, Ulrike Wuhrer.

Galeria Karstadt Kaufhof befindet sich seit Anfang April im Schutzschirmverfahren, einer Vorstufe zur Insolvenz. Die vom Amtsgericht eingesetzten Sachwalter müssen einen Sanierungsplan erstellen, um eine Insolvenz der gesamten Firma abzuwenden, die das Aus für das gesamte Unternehmen mit bald 150-jähriger Tradition bedeuten würde – und damit auch für alle 28.000 Beschäftigte. Mit dem nun abgeschlossenen Sanierungsplan verlieren 6000 Beschäftigte ihren Arbeitsplatz, über hundert davon in Singen.

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Alleinstehende Frauen, Familienväter, alleinerziehende Mütter, gelernte Verkäuferinnen und Verkäufer, viele über fünfzig Jahre alt: Sie alle haben die vergangenen Krisen der Firma durchlitten, die Insolvenz überstanden, Restrukturierungsmassnahmen und Personalabbau überlebt, jeden Strategiewechsel mitgemacht und immer weiter bei Karstadt gearbeitet. Weil sie trotz aller Probleme an ihrem Arbeitsplatz hängen. Einem Arbeitsplatz mit planbaren Arbeitszeiten, mit einem Betriebsrat, der sich einsetzt, mit einem gültigen Tarifvertrag, mit Regelungen zu Urlaub und Überstunden. Also einem Arbeitsplatz mit Arbeitsbedingungen, die im Einzelhandel mittlerweile selten sind und gesucht werden müssen.

Wer trägt denn aber eigentlich die Verantwortung dafür, dass die über hundert Frauen und Männer in Singen nun in die Arbeitslosigkeit marschieren müssen?

Karin Greuter, die Betriebsratsvorsitzende von Karstadt Singen, beschreibt es so: „Verantwortlich ist das Management, weil die Sortimente ständig verändert wurden, Warengruppen wurden rausgenommen, weil sie alleine betrachtet nicht mehr genügend Geld unterm Strich abgeworfen haben. Kaum war die Ware weg, wunderte man sich, warum die Frequenz im Laden abgenommen hat.“ Weniger Frequenz bedeute weniger Umsatz, bedeute Kostensparen, bedeute Personalabbau, so Greuter. Und weniger Verkaufspersonal wirkt sich auf die Kundinnen und Kunden und den Service aus. Bedienen und Beraten ist in den letzten Jahren zu kurz gekommen. Aber genau das ist in der heutigen Zeit wichtig: „Wenn ich als Kundin nicht beraten werde, kann ich auch online einkaufen“, so Greuter.

Konkurrenz belebt das Geschäft?

Aber ist das alles? Nein, meinen die KollegInnen vom Betriebsrat der Singener Karstadt-Filiale. Die Grossbaustelle gegenüber und der Umbau am Busbahnhof, damit einhergehende Verkehrsbehinderungen und dann auch noch die Coronakrise haben der Filiale massiv geschadet. Das alles zusammen habe das finanzielle Ergebnis nach unten gedrückt.

Rund 60 Konstanzer Karstadt-Beschäftigte bekundeten am Dienstag ihre Solidarität mit den KollegInnen in Singen.

Es gibt also auch noch andere Verantwortliche für die Schließung der Singener Filiale. Üblicherweise erstellen Firmen dieser Grössenordnung für das Gesamtunternehmen und somit für jede Filiale eine langfristige Prognose. Die Frage ist, ob in Singen die Stadtentwicklung und der Bau des überdimensionierten Einkauftempels Cano bei der Entscheidung, Karstadt zu schliessen, eine Rolle spielt. Direkt gegenüber der Karstadt-Filiale werden ab kommendem Oktober in 85 Läden Waren angeboten. Warne, die man zum Teil auch bei Karstadt findet. Der Singener Betriebsrat hat schon damals, bevor im Gemeinderat die Entscheidung hinsichtlich des Einkaufscenters getroffen wurde, davor gewarnt, dass die Auswirkungen auf den örtlichen Einzelhandel in Singen negativ sein werden. Die meisten Stadträte, die Verwaltungsspitze und der Oberbürgermeister sahen das anders: Konkurrenz belebe das Geschäft, argumentierten sie.

Die Sachwalter und die Galeria-Unternehmensleitung haben jetzt aber der Filiale Singen offensichtlich keine Chancen eingeräumt. Interessant dabei: Das ECE Center Cano wird von der Otto Group gebaut, die als ECE Projektmanagement GmbH & Co. KG Einkaufscenter entwickelt, vermietet und betreibt. Bei Karstadt-Galeria müssen übrigens nun auch Filialen geschlossen werden, weil ECE an einigen Standorten, die dem Immobilienunternehmen gehören, nicht zu Mietsenkungen bereit war. Noch im Mai 2018 hatte die Stadt Singen den Vertragsabschluss mit eben jener ECE gefeiert. Ob die Freude langfristig anhält, bleibt fraglich. Und ob der ansässige Einzelhandel die Konkurrenz und die massive Verkaufsflächenerweiterung überleben wird, das zeigt sich erst noch. Leicht wird es nicht werden für die HändlerInnen in der Singener Innenstadt.

Die Verantwortung der KundInnen

Aber auch die KonsumentInnen sind nicht unschuldig. Wer bei Amazon, Zalando und Konsorten einkauft, trägt auch Verantwortung. Und muss sich dann aber auch nicht wundern, wenn er in der Innenstadt nirgends mehr Karstadtsortimente wie Stoffe, Kurzwaren, Bettwäsche oder Matratzen kaufen kann. Eine ECE-Shopping Mall bietet solche alltäglichen Gebrauchsgegenstände in der Regel nämlich nicht an. Da geht es nur ums schnelle Geld, und das verdient man im Einzelhandel am leichtesten immer noch mit Bekleidung.

Die Kolleginnen und Kollegen in Singen sind zurecht wütend und enttäuscht. Aber sie lassen sich nicht unterkriegen. Kampflos aufgeben kommt für sie nicht in Frage, so der Betriebsrat. Aufrecht und mit geradem Rücken werden sie alles tun und jede Chance ausnutzen, um die Schliessung doch noch zu verhindern. Sie sind zu Recht selbstbewusst und, wie hiess es so schön in den letzten Monaten: Sie sind auch systemrelevant. Und das gibt ihnen das Recht, Hilfe und Unterstützung einzufordern. Und zwar vom Land, vom Bund und natürlich von der Wirtschaftsförderung der Stadt Singen und zwar ganz konkret durch finanzielle Zuschüsse. Wenn, wie von Gemeinderat und Stadtverwaltung behauptet, Konkurrenz das Geschäft belebt, dann darf das nicht auf Kosten bestehender, guter Arbeitsplätze gehen.

Ulrike Wuhrer (Foto Singen: seemoz; Foto Konstanz: pw)

Fünf vor Zwölf

Der Karstadt Betriebsrat wird nichts unversucht lassen und um den Fortbestand der Filiale kämpfen. So sind Gespräche mit der Stadtverwaltung und Gemeinderatsfraktionen wie die der SPD geplant; auch die KundInnen sollen mit einbezogen werden.

An diesem Dienstag beteiligten sich in Konstanz rund sechzig Karstadt-Beschäftigte an einer Solidaritätsaktion für die Singener KollegInnen, in seiner Rede bekräftigte der Konstanzer Betriebsratsvorsitzende Stefan Mancassola, dass der Kampf weiter gehe.

Am kommenden Freitag, 26. Juni, wird es eine Kundgebung der Singener Karstadt-Beschäftigten geben, zu der alle aufgerufen sind. Beginn: 11.55 Uhr (fünf vor zwölf) vor Karstadt Singen.