Kein falsches Mitleid wegen Büdingen

Es kam, wie es kommen musste, das Thema Marienschlucht und Seeuferweg dominierte die gestrige Gemeinderatssitzung, denn – und das war einigen Gemeinderätinnen und -räten deutlich anzumerken – an diesem Spaziergang hängt viel Herzblut. Irgendwie gehört er einfach zu den natürlichen Rechten der Menschen in Bodman-Ludwigshafen, Allensbach und Konstanz, die ihn sich nicht nehmen lassen wollen. Außerdem würde die Stadt gern mit Hilfe von Airbnb illegalen Ferienwohnungen auf die Spur kommen.

Matthias Weckbach, seines Zeichens Dauerbürgermeister von Bodman-Ludwigshafen, warb vor dem Konstanzer Gemeinderat eindringlich um Zustimmung zu einem gemeinsamen Vorgehen der drei Gemeinden, die für die Marienschlucht und den dort hin- (und natürlich auch wieder weg-) führenden Seeuferweg verantwortlich sind. Es ging dabei gestern nicht darum, tatsächlich mit den Baumaßnahmen zu beginnen, sondern um den vorgeordneten Schritt, erst einmal zu planen und untersuchen zu lassen, was dort überhaupt möglich und geboten ist. Ein Schritt, der die Stadt Konstanz mit maximal 100.000 Euro belasten soll.

Planung als erster Schritt

Erst wenn diese Planungen abgeschlossen sind und der Kostenrahmen präzisiert ist, soll zu einem späteren Zeitpunkt die Entscheidung fallen, ob und wenn ja wie Marienschlucht, Mondfelsen und Seeuferweg gesichert und der Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht werden.

Außerdem wird dann natürlich auch das Hauen und Stechen darum beginnen, wer was zu zahlen bereit ist. Einen Vorgeschmack gaben gestern schon einige Gemeinderätinnen und -räte, die auf die Fördertöpfe des Landes verwiesen, aus denen man bei einer eventuellen Wiedereröffnung mit Inbrunst den Honigseim der Fördermittel zu schöpfen gedenke.

Matthias Weckbach hatte eine anschauliche Präsentation zusammengestellt, in der er konstatierte, dass seit der Sperrung nach einem Erdrutsch mit Todesfolge am 6. Mai 2015 zahlreiche Trampelpfade entstanden sind, auf denen die Menschen an den Sperrungen vorbei in das Gebiet eindringen, um sich dort zu ergehen und es hingebungsvoll zuzumüllen.

Die bisher schon durchgeführten Voruntersuchungen jedenfalls haben auf der althergebrachten Route einige Risikostellen identifiziert, neben der Schlucht und dem See vor allem den Mondfelsen. Eins ist auch klar: Will man wiedereröffnen, muss ein Stück des bisher nicht „beförsterten“ Schonwaldes bewirtschaftet werden, das heißt, dort müssen aus Sicherheitsgründen große oder umsturzgefährdete Bäume bewirtschaftet, sprich gefällt werden. Eine Beförsterung soll etwa 80.000 Euro kosten, aber 30.000 Euro aus Holzverkäufen bringen und auf Dauer zu einer Verjüngung und Stabilisierung des Waldes führen.

Die gesamte Präsentation wie auch die anschließende Debatte verliefen etwas asymmetrisch, da zwar einerseits betont wurde, man müsse jetzt erst mal planen, um überhaupt etwas sagen zu können, andererseits aber schon sehr konkrete Maßnahmen und Kostenschätzungen präsentiert wurden.

Rechtliche Lage undurchsichtig

Das Grundproblem in dem gesamten Bereich ist demnach, dass flachere Hänge aufgrund hydrologischer und geologischer Gegebenheiten abzurutschen drohen und dass die Erosion mit ihrem scharfen Gebiss auch den stärksten Felsen auf Dauer zerbröseln lässt, so dass allen SpaziergängerInnen jederzeit Gefahren drohen. Weckbach wagte sich nicht festzulegen, wie diese Gefahren juristisch zu bewerten sein könnten und wie weit die Verkehrssicherungspflichten der Kommunen gehen könnten. Diese Sicherungspflicht allein unter einem juristischen Aspekt zu betrachten, war ihm allerdings zu eng, und angesichts des Todesfalles von 2015 sieht er sich in einer moralischen Pflicht, das Gelände sicher begehbar zu machen.

Größere Teile der FGL jedenfalls sind aus ökologischen Gründen gegen eine Wiedereröffnung dieser ehedem populären Wanderwege. Dr. Dorothee Jacobs-Krahnen begründete das damit, dass Menschen, die diese Wege früher nicht gegangen sind, sie auch in Zukunft nicht vermissen werden. Daher könne man diese Wanderfreunde auf Alternativrouten zu anderen Natursehenswürdigkeiten führen. Im Bereich der Marienschlucht jedenfalls hole sich jetzt die Natur Raum zurück, den man ihr einst genommen habe, und das müsse man einfach akzeptieren.

Roger Tscheulin (CDU) hingegen gab sich geschichtsbewusst und erinnerte daran, dass diese Wege wohl schon seit Jahrtausenden benutzt würden und seit jeher so attraktiv seien, dass da keine Sperren hülfen. Außerdem müsse man irgendetwas planen, weil der jetzige Zustand nicht so bleiben könne. Er regte zudem an, sich auch Gedanken über ein Informationssystem (etwa per App) zu machen, das den Erholungssuchenden Wissen über dieses herrliche Stück Natur einschließlich des angrenzenden Sees samt Teufelstisch vermittelt.

Der Fels in der Brandung

Auch Anselm Venedey (FWK) ist für die in den Augen vieler eh unvermeidliche Wiedereröffnung, regte aber an, sich über einzelne Maßnahmen noch mal Gedanken zu machen. Schließlich stehe der Mondfelsen dort seit Jahrtausenden, da sei es nicht unbedingt einsichtig, dass man Millionen für dessen Stabilisierung ausgeben müsse. Hier möge die Verwaltung doch bitte prüfen, was denn wirklich notwendig sei. Venedey hatte sich zudem eigens über haftungsrechtliche Fragen des Naturerlebens schlau gemacht und konnte die Verwaltung auf zwei informative Texte verweisen: 1. zur Verkehrssicherungspflicht und 2. zu waldtypischen und walduntypischen Gefahren. Nach einem kurzen Selbstversuch empfehle ich allen juristischen und psychiatrischen Laien, aus diesen Schriften einfach auf mein Wort hin die Lehre zu ziehen, dass man sich auf hoher See und vor Gericht in Gottes Hand befindet – und sich die Lektüre für jene trostlosen Tage aufzusparen, an denen sie sich ohnehin aus innerer Zerknirschung Bußübungen in einer Dunkelzelle auferlegen.

Disneyland on the Beach?

Einen anderen Aspekt brachte Anke Schwede (LLK) in die Debatte ein, als sie fragte, für wen denn die Marienschlucht wiedereröffnet werden solle: Sie lehnte etwa einen Baumwipfelpfad ebenso ab wie ein Kiosk und warnte vor einem massentouristischen Angebot. Sie erinnerte auch an jene seltenen Tiere und Pflanzen, die sich hier in ihre ökologische Nische drücken und geißelte die bisherigen Pläne als zu vage. Bürgermeister Weckbach versicherte ihr, es sei keinesfalls an ein Klein-Disneyland am Bodensee gedacht und bat darum, das Geld für die Planung freizugeben, damit die Überlegungen endlich konkretisiert werden können.

Am Ende gab es erwartungsgemäß eine große Mehrheit dafür, jetzt mit der Planung zu beginnen mit dem Fernziel, das Gebiet wieder freizugeben.

Airbnb & Co.

Ein Gericht hat auf Antrag der Stadt München den Branchenriesen Airbnb dazu verdonnert, Auskunft über die Vermieter von Ferienwohnungen in der bayerischen Hauptstadt zu geben, auf dass die Stadt München jene, die gegen das Zweckentfremdungsverbot verstoßen, aufspüren und unnachsichtig bestrafen kann.

Die Konstanzer FGL und LLK haben sich jetzt mit zwei nach Angaben des Oberbürgermeisters nahezu gleichlautenden Anfragen an die Verwaltung gewandt: Ob denn Konstanz ähnlich zu handeln gedenke. Der Oberbürgermeister berichtete, die Verwaltung arbeite daran auf seine Veranlassung bereits seit Dezember und sei selbstverständlich festen Willens, die Missetäter mit allen (legalen) Mitteln zur Strecke zu bringen. Dazu halte man Kontakt zur Stadt München und sei auch bereit, hier Pionierarbeit für Baden-Württemberg zu leisten. Ach ja: Auch booking.com und fewo-direkt.de sollte man nicht vergessen, auch mit Anfragen an diese Adressen lassen sich profitgierige Missetäter bis ins Mark erschrecken und auf den Weg der vermieterischen Tugend zurückführen!

Bürgerfragestunde ausgefallen

Die Bürgerfragestunde hingegen fiel ausnahmsweise aus. Erstaunlicherweise hatten sich nicht einmal einige Büdinger eingefunden, um sich mit geheucheltem Mitleid zu erkundigen, wie die Verwaltung denn den Backenstreich verkraftet hat, der ihr vom Gericht in der letzten Woche in Sachen Luxushotelneubau verpasst wurde. Da auch eine für ihre Redebeiträge bekannte Respektsperson vorzeitig den Raum verlassen hatte, beantragte der Vorsitzende des Stadtseniorenrates als einer von zwei noch verbliebenen Zuhörern, auf die Bürgerfragestunde zu verzichten, und der Gemeinderat gab dem sichtlich erheitert statt.

So wurde es denn ein kurzer Abend im Ratssaal, und manches tragische Seufzen war zu hören bei denen, die jetzt nach Hause mussten zu ihren Familien, einen auf Harmonie zu machen, statt wie sonst bis in die tiefe Nacht hinein den (eigentlich heiß und innig geliebten) politischen Gegner zermürben zu dürfen.

O. Pugliese