Kina! Kina!

seemoz-eisbärMit diesem Ausruf ermunterte Kurt-Georg Kiesinger (NSDAP-Mitglied und Ehrenbürger der Universität Konstanz) 1969 die deutsche Wirtschaft, den Handel mit China auszuweiten. Das war zu einer Zeit, als China noch Fahrrad fuhr und es noch undenkbar war, deutsche Kriegsschiffe oder massenhaft Autos nach China zu liefern. Inzwischen lecken sich Auto- und Rüstungsindustrie die Finger nach Aufträgen aus China. Hatte Kiesinger also Recht?

Die Welt hat sich seitdem gewandelt: Die verkaufsträchtigsten Güter sind – abgesehen vom Öl – nicht mehr Autos und Maschinen, sondern die Telekommunikation. Auf diesem Gebiet sind die USA absolut führend. Bei den Betriebssystemen für  Smartphones, Tabletts und Co. scheint der Vorsprung zumindest mittelfristig fast nicht aufholbar.

NSA-Spruch der Woche:

Thomas Oppermann (SPD) telefoniert mit Jörg Ziercke (BKA):

Oppermann: Jörg, hier ist der Thomas. Ich han jehört, dat du in deiner Datei da die Daten von dem Edathy hast. …  Und wenn du die Edathy-Daten hast, darf ich dann die Edathy-Daten haben? ….  Eh dat der Edathy dahinterkommt? Damit ich den Edathy dannn mit die Daten drankriege?

Ziercke: Eh dat ich da wat von dem Edathy sach, sach ich lieber jar nix.

Und da wußte Oppermann Bescheid, dass gegen Edathy ermittelt wird.
(Jürgen Becker, Kölner Kabarettist, „Mitternachtsspitzen“)

Unkontrollierbare Datenwanderungen

Eine Folge dieses riesigen Vorsprungs sind praktisch unkontrollierbare Datenwanderungen. Wenn ich eine Arztrechnung für eine Syphilisbehandlung bezahle oder einer arabischen Hilfsorganisation eine Spende überweise, interessiert das meine Bank nicht sonderlich: Banken sind bekanntlich nicht gerade für hohe ethische oder moralische Standards bekannt. Also habe ich bisher der Bank meine Überweisungsdaten eher anvertraut als den (deutschen) Geheimdiensten. Aber wenn ich als Vorsitzender des Bundestags-Untersuchungsausschusses zur NSA-Affäre den Geheimdiensten zu sehr auf die Pelle rücke, dann wühlen die Schlapphüte schon mal in ihren Daten. Überweisungen an Araber? Terrorismusverdacht zieht nicht mehr so. Aber war da nicht eine Überweisung für Kinderpornographie? Beweisen muss man das ja nicht: der Vorwurf genügt und Edathy ist politisch tot. Datenbesitz ist Machtbesitz.

Die USA-Schlapphüte sammeln rechtswidrig Daten zur wirtschaftlichen, militärischen und politischen Machtausübung. Google, Microsoft und Facebook sammeln Daten vor allem, um fleißig kaufende Konsumenten aus uns zu machen. Denen verraten wir unsere Gewohnheiten und Vorlieben mehr oder weniger freiwillig: durch Cookies auf unseren Rechnern, Kundenkarten, Facebook-Likes, durch simple Überall-Passwörter und unsere Smartphone-Apps. Ich kenne jedenfalls niemanden, der Cookies immer aussperrt, für alles verschiedene und sichere Passwörter verwendet, und schon gar nicht jemanden, der seinen Smartphone-Apps Zugriffe nur auf das erlaubt, was unumgänglich ist.

Meine Wohnung und meine Rechner sind unverletzlich

Wer denkt: „Ich habe nichts zu verbergen“, weiß einfach zu wenig darüber,  was man mit Rechenpower aus Datensammlungen herausholen kann. Diese Unkenntnis kann man den meisten nicht zum Vorwurf machen, gefährlich ist sie dennoch. Auch wer nichts zu verbergen hat, möchte nicht, dass ein Schlapphut ihm auf dem Klo zusieht. Nein, wo das Recht auf Privatsphäre nicht mehr gilt, da ist die Demokratie mehr als gefährdet.

Hätten Chinesen oder Russen uns in einem solchen Ausmaß ausgeschnüffelt, wäre die politische Aufregung gewaltig gewesen. Die EU und die USA hätten aufgeschrieen und mit Militär gedroht. So aber sind es nur „unsere Verbündeten“, mit denen wir in einer „unverbrüchlichen Wertegemeinschaft“ sind. Mit der chinesischen oder russischen Politik teilen wir sicherlich weniger Werte, gemeinsam ist uns aber das Interesse, gegenüber der Computerübermacht der USA aufzuholen und uns unabhängiger zu machen. Da die USA darauf bestehen, uns bis aufs Klo zu verfolgen, sollten wir uns im eigenen Interesse und zu unserem Schutz mit anderen zusammentun.

China und Russland wollen technologisch aufholen und wir wollen eine gesichertere Privatsphäre. Da ließe sich doch ein Handel anbahnen: die Entwicklung alternativer Betriebsysteme und schnüffelfreier Rechner mit gesichertem Datenverkehr. Technologie im Austausch gegen mehr Bürgerrechte für alle Computernutzer. Wem das zu utopisch vorkommt, möge bedenken: die bloße Anbahnung eines solchen Kooperationsprojekts Europa-China könnte die USA dazu bringen, die europäischen Sicherheitsbedenken ernster zu nehmen. Deshalb: Kina! Kina!

[modal id=“19250″ style=button color=default size=default][/modal]

Autor: teleMaik