Mehr Flüchtlinge: Kleinbürger mucken auf
Von Angstmacherei wurde gefaselt und von Alternativen, die von der Verwaltung wissentlich nicht geprüft würden, Unterschriftenlisten wurden übergeben – Volkes Unvernunft kochte gestern im Landratsamt. Landrat Hämmerle hatte zur Informations-Veranstaltung über die Probleme zur Unterbringung von Flüchtlingen geladen – und 120 BürgerInnen vornehmlich aus Singen waren wutentbrannt angereist. Ihr Ziel: Eine neue Flüchtlingsunterkunft in ihrem Quartier soll verhindert werden.
„Integration ja – aber so nicht“ und „Sozialverträgliche Aufnahme geht nicht mit der Brechstange“ hatten die Protestierer aus Singen-Süd auf ihre Transparente gemalt. Wie schon vor einer Woche bei einer ähnlichen Info-Veranstaltung in Konstanz (seemoz berichtete) bemühten die aufgebrachten Kleinbürger das St.-Florian-Prinzip: „Wir haben nichts gegen Flüchtlingsheime, aber…natürlich nicht bei uns.“
Dramatisch steigende Flüchtlingszahlen
Dabei hatten Fachleute der Landesregierung und des Landkreises, Sozialarbeiter und Lehrer sowie ehrenamtliche HelferInnen zuvor vom dramatischen Anstieg der dem Landkreis zugewiesenen Flüchtlingszahlen und den Problemen, die unterzubringen, berichtet: 9000 Flüchtlinge sind derzeit in Erstaufnahmestellen in Karlsruhe, Ellwangen und Meßstetten kaserniert und warten auf die Verteilung auf die Landkreise – dem Landkreis Konstanz stehen bis Ende des Jahres 900 zusätzliche Zuweisungen ins Haus.
Und für die gibt es zurzeit keine ausreichenden Unterkünfte; 1245 Flüchtlinge finden gegenwärtig Unterkunft in Sammelunterkünften (s. Schaubilder), ein Fehlbedarf von hunderten Plätzen ist zu befürchten. Wobei es nicht nur an Plätzen in Flüchtlingsunterkünften fehlt (dort werden unter der Regie des Landratsamtes die Asylbewerber in den ersten zwei Jahren kaserniert), sondern zunehmend auch bei der Anschluss-Unterbringung in Wohnungen, für die Städte und Gemeinden zuständig sind.
Widerstand in den Gemeinderäten…
Wie sich in der Kreistagssitzung zuvor zeigte, gibt es zunehmend Widerstand in den Gemeinderäten der betroffenen Gemeinden. Nicht nur Zahide Sarikas, SPD-Kreisrätin, auch Landrat Hämmerle fürchten deshalb, dass sich das bislang friedfertige Klima der „Willkommen-Kultur“ ändern könnte. So hat der Engener Gemeinderat mit einem Verfahrenstrick die Ansiedlung einer Gemeinschaftsunterkunft in der Innenstadt jüngst verhindert. Zähneknirschend stimmte die Landkreis-Verwaltung, die eine langwierige juristische Auseinandersetzung vermeiden wollte, der Alternative zu: Jetzt soll eine Unterkunft am Stadtrand, am Bahnhof Engen-Neuhausen, errichtet werden. Der Preis ist eine Verzögerung verfügbarer Plätze um ein Jahr. Der Kreistag stimmte dieser Regelung nur mit Bauchschmerzen zu, das Plazet des Gemeinderats Engen wird für den kommenden Dienstag erwartet.
…und bei den Anrainern
Anders die Situation in Singen-Süd und Konstanz-Wollmatingen. In Konstanz hat sich eine Interessen-Gemeinschaft gegründet, die gestern mit einer Stellungnahme in die Öffentlichkeit ging und für eine Verlegung der im Zergle geplanten Anschlussunterbringung wirbt (seemoz wird auf die Initiative morgen eingehen). In Singen-Süd formiert sich der Widerstand derzeit noch unorganisiert, dafür umso heftiger.
Da macht einzig das Engagement des Allensbacher Hausbesitzers Michael ein wenig Mut. Der trat während der Veranstaltung im Landratsamt ans Mikrophon und verkündete, dass er nach dem Tod seiner Mutter sein Elternhaus einer Flüchtlingsfamilie zur Verfügung stellen wolle. Ein andauernder Applaus dankte ihm.
hpk
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