Der Klimablog (113): „Vier Jahre Arbeitsverweigerung“
Vorgestern demonstrierten mit Friydays for Future über 200 Konstanzer:innen durch die Innenstadt – und bemalten anschließend den Asphalt des Stephansplatzes. Damit erinnerten sie an den Klimanotstand, den die Stadt vor vier Jahren ausgerufen hatte. Doch was ist seither geschehen? Die Tatenlosigkeit der Stadt grenze an Arbeitsverweigerung, sagte auf der Schlusskundgebung Marcel Maier, einer der Redner:innen – und erläuterte, warum.
Am 2. Mai 2019 ruft Konstanz den Klimanotstand aus.
– Im Juni 2019 erreicht eine schwere Hitzewelle in Indien und Pakistan Temperaturen von bis zu 50,8 Grad Celcius. Mindestens 184 Menschen sterben, vielerorts gibt es kaum mehr Trinkwasser.
– Im Sommer 2020 sind über 90 Prozent der US-Bundesstaten Utah, Colorado, Nevada und New Mexico von einer Dürre betroffen; massive Ernteausfälle sind die Folge.
– Vom Juni bis September 2020 trifft ein Hochwasser in China 64 Millionen Menschen; über 54.000 Häuser stürzen ein, mindestens 219 Menschen verlieren ihr Leben.
– Im September 2021 erlebt Spanien einen der heftigsten Waldbrände in seiner Geschichte; die Flammen sind zum Teil 30 Meter hoch, die Feuerwehr spricht von einem unbesiegbaren Superfeuer.
– Am 14. Juli 2021 wird das Ahrtal überflutet; 40.000 Menschen verlieren ihr Zuhause, mindestens 189 Menschen sterben.
– Im September 2021 erklärt Kenia die anhaltende Dürre zur nationalen Katastrophe; Mancherorts verlieren Landwirte über 60 Prozent ihrer Nutztiere, weil es weder ausreichend Wasser noch Gras für sie gibt.
– Im Juni 2022 treffen schwere Hochwasser Pakistan, Indien und Bangladesch; rund 60 Millionen Menschen verlieren ihr Obdach, es werden über 7000 Tote gezählt.
Und im Oktober 2022 beginnt Konstanz mit dem Bau eines neuen Parkhauses am Brückenkopf Nord.
Liebe Stadt Konstanz, meint ihr das ernst? Der Klimawandel führt heute schon zu kaum erträglichen Schäden. Und was macht ihr? Richtig, erstmal ein neues Parkhaus neben dem Bodenseeforum bauen!
Wie wollen wir denn so bis 2035 klimaneutral werden? 20 Prozent der Konstanzer Emissionen kommen aus dem Verkehrssektor, das sind vier Mal so viele Emissionen wie aus der Industrie. Und eure Lösung ist ein neues Parkhaus?
Die Stadt argumentiert, dass die Parkplätze nach außen verlagert werden müssen, damit wir eine autofreie Innenstadt haben. Also, ich bin ja kein Physiker, aber nach meiner Auffassung sind Autos genauso klimaschädlich, wenn sie am Bodenseeforum parken. Eine autofreie Innenstadt macht den Verkehr also noch lange nicht klimaneutral.
Doch wird das Parkhaus überhaupt gebraucht? Die Stadtverwaltung beantwortet die Frage selbst mit „nein“. In ihrer Beschlussvorlage schreibt sie, dass das bereits bestehende Parkhaus am Bodenseeforum selbst an Spitzentagen nur ausreichend ausgelastet sei. Das kann doch nicht euer Ernst sein: Eine artenreiche Magerwiese platt machen, mindestens 6,5 Millionen Euro ausgeben und obendrein noch weitere Flächen versiegeln für ein Parkhaus, das gar nicht gebraucht wird?
Ein paar Bügel und ein bisschen Farbe
Ich erinnere mich noch an die Haushaltsdebatten letzten Herbst. Man müsse den Sportvereinen das Geld kürzen, weil die Kassen leer seien. Aber 6,5 Millionen für ein neues Parkhaus hat man offenbar übrig. Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber mir fehlen da die Worte.
Na gut, aber wie sieht es denn sonst so mit der Verkehrswende aus? Ein paar neue Fahrradbügel, die ersten E-Busse und ein bisschen blaue Farbe, damit die Fahrradfahrer:innen mehr Platz haben. Und sonst?
Viel getan hat sich seit 2019 nicht. Wenn ich samstags am Lago vorbei fahre, komme ich selbst mit dem Rad kaum vorwärts, weil mir schon wieder einer der Tausenden SUVs den Weg versperrt. Diese autofreien Innenstädte habe ich mir ja irgendwie anders vorgestellt. Aber vielleicht täuscht mich ja der Eindruck? Leider nein!
Die Anzahl der Pkw nimmt in Konstanz weiterhin zu. Kein Wunder eigentlich, denn die Stadt subventioniert das Autofahren weiterhin großzügig. Den Anwohner:innenparkausweis gibt es schon für 12,50 Euro im Monat. 12,50 Euro, das reicht gerade einmal, um an zwei Tagen für den Wocheneinkauf mit dem Bus in die Stadt zu fahren. Das ist nicht nur klimaschädlich, sondern auch sozial ungerecht. Offenbar vergisst die Stadt, dass sich viele Menschen gar kein Auto leisten können.
Es geht auch anders
Die Klimaschutzstrategie der Stadt hat hier eigentlich eine geniale Lösung. Ursprünglich war nämlich einmal geplant, dass der ÖPNV für alle Konstanzer:innen ab diesem Jahr kostenlos ist. Finanziert werden sollte das mit einer solidarischen Mobilitätsumlage. Und was wurde daraus? Die Stadt wolle erst noch auf den Gesetzgeber warten und sich dann Gedanken machen, wie sie die Umlage gestalten möchte. Anstatt den kostenlosen ÖPNV dieses Jahr einzuführen, hat man also noch nicht einmal mit der Planung begonnen. In meinen Augen ist das Arbeitsverweigerung.
Konstanz stellt sich ja gerne als Vorreiterin in Sachen Mobilitätswende dar. Vielleicht sollte sich die Stadt mal anschauen, wie echte Vorreiter die Mobilitätswende angehen. In Wien gibt es das 365-Euro-Ticket nämlich schon seit zehn Jahren. Wird ein neuer Stadtteil gebaut, kommen zuerst die Öffis und dann die Bewohner:innen. So ist man von Anfang an nicht auf das Auto angewiesen. Und parken? Das ist im ganzen Stadtgebiet kostenpflichtig! Mit Erfolg: Der motorisierte Individualverkehr ist in den letzten zehn Jahren um 20 Prozent zurückgegangen.
Und was sagt unser Oberbürgermeister dazu, warum in Konstanz nichts geschieht? Er könne ja verstehen, dass uns das alles zu langsam gehe, aber das brauche nunmal seine Zeit. Als in den letzten vier Jahren in China 54.000 Häuser von der Flut erfasst wurden, die Dürre in Kenia den Menschen ihre Lebensgrundlage genommen hat, in Indien und Pakistan 7000 Menschen an den Folgen des Klimawandels starben – naja, da brauchte Konstanz einfach ein wenig Zeit.
„Einfahrt verboten“
Seit Jahren muss ich mir dieses Argument anhören. 1990, da hatten wir noch Zeit. Aber, lieber Gemeinderat, liebe Konstanzer Verwaltung: Ihr habt 30 Jahre einfach so weitergemacht. Und heute brennt der Planet. Wir haben keine Zeit mehr. Es ist nicht mehr 5 vor 12, es ist 12.
Aber deshalb, lieber Uli, weil das so nicht weitergehen kann, möchten wir deine Verwaltung natürlich unterstützen. Seit vier Jahren warten wir darauf, dass dieser Stephansplatz hier autofrei wird. Man könnte meinen, das sollte ja nicht allzu schwer sein. Scheinbar bist du und die gesamte Verwaltung jedoch seit vier Jahren nur noch damit beschäftigt, diesen Platz autofrei zu bekommen.
Anders kann ich es mir nicht erklären, weshalb die Verkehrswende nicht in Gang kommt, obwohl es der Stadt ja scheinbar so wichtig ist. Vier Jahre, das ist eigentlich schon viel zu lang. Seit vier Jahren könnten auf dieser Fläche Cafés stehen, Blumen blühen, Bäume Schatten spenden, ein Spielplatz entstehen, Veranstaltungen stattfinden und noch so vieles mehr. Dafür fehlt momentan jedoch wohl das Geld. Klar, das steckt ja schon im neuen Parkhaus.
Doch nicht einmal die Autos bekommt die Stadt verbannt. Als wir für die Demo den Stephansplatz reservieren wollten, hieß es, es sei der Bevölkerung doch nicht vermittelbar, dass der Stephansplatz den ganzen Nachmittag über gesperrt wird. Liebe Stadt Konstanz, manchmal braucht es einfach ein wenig Pragmatismus.
Wir haben der Stadt extra ein „Einfahrt verboten“-Schild mitgebracht. Das können die technischen Betriebe morgen früh aufhängen – und schon ist der Stephansplatz autofrei. Und dann kann die Stadt hoffentlich endlich mit der Klimaschutzstrategie durchstarten. Denn ein autofreier Stephansplatz macht noch lange nicht die Verkehrswende. Er ist nur ein kleiner Baustein von vielen Maßnahmen. Und da gibt es inzwischen schließlich viel nachzuholen. Vier Jahre Stillstand machen sich nicht nur im Verkehrssektor bemerkbar. Deshalb liebe Stadt, wenn es wieder einmal klemmt, helfen wir euch auch bei der Wärmewende und Solaroffensive. Die Situation ist nämlich viel zu ernst, als dass ihr euch noch „die nötige Zeit“ nehmen könnt.
Redetext: Marcel Maier
Fotos (vom Klimanotstandsaktionstag am 2. Mai 2023): Pit Wuhrer