Klimastadt Konstanz – was soll das?
Alles ist grau. Kantige Häuser überragen in der Stadt jeden Baum. Es qualmt, Feinstaub weht durch die Luft und der Auto-Lärm hat das Vogelgezwitscher längst abgelöst. Überall geteert, betoniert und versiegelt. Quadratisch praktisch gut? „Nein“, findet Felix Müller und hat eine Initiative ins Leben gerufen, die „Klimastadt Konstanz“.
Der 39-jährige Architekt (s. Foto) lebt und arbeitet in Konstanz. Er wohnt mit einem syrischen Flüchtling in einer Wohngemeinschaft zusammen und freut sich, neben der Dankbarkeit, die ihm entgegengebracht wird, seitdem über duftend riechendes, orientalisches Essen, das nun regelmäßig auf den Tisch kommt. Ein gelebtes Beispiel von Integration. Felix Müller ist einer dieser Menschen, die mit einer gehörigen Portion Idealismus ausgestattet sind und keine Mühen scheuen, ihre Vorstellung von einer besseren Welt zu leben und kundzutun. Die Klimastadt Konstanz ist ein solches Projekt, das eine Gesellschaft frei von fossilen Rohstoffen zum Ziel hat und Alternativen vorstellen möchte.
Es ist außerdem ein Beitrag zur „2000 Watt Gesellschaft“, einem Bündnis von 10 Städten der Bodensee-Region mit dem Ziel, den Energieverbrauch sowie die CO2-Emissionen bis 2050 soweit zu senken, dass der Durchschnitts-Verbrauch eines jeden Bürgers 2000 Watt nicht überschreitet.
Weg von zentralisierten Systemen
Denn unsere derzeitigen zentralisierten Systeme haben einen immensen Bedarf an Flächen und Ressourcen. „Das Problem ist nicht die Fläche des Grundstücks, beispielsweise einer vierköpfigen Familie auf 600m², sondern problematisch ist die Fläche, die als Rattenschwanz dranhängt. Zum Beispiel eine Tomate aus Spanien. Damit diese auf unserem Teller ankommt, braucht es Anbaufläche in Spanien, verschiedene Logistikzentren, um den Transport zu organisieren, Kühlhäuser, und dann ist natürlich noch der Supermarkt vor der Haustür mit geteertem Parkplatz “, erklärt er. Die Erschließung mache alles teuer, die Liste ist lang. Leitungen, Kabel, Straßen und Pipelines, die gelegt werden müssen. Unsere Gesellschaft produziert so viele Materialien, die sich gar nicht, oder nur schwer und über lange Zeiträume in natürliche Kreisläufe wieder eingliedern lassen. „Denken wir etwa an die 30 Millionen Tonnen Plastik, die jährlich produziert werden und in unseren Weltmeeren landen. Aber auch Beton ist ein richtiger Klimakiller“, erklärt der Klimaschützer. „Es ist für sieben Prozent des weltweit ausgestoßenen CO2 verantwortlich.“
Nachhaltiges Bauen
„Das System ist einfach nicht nachhaltig, es wird zu viel verschwendet und gleichzeitig bleibt so vieles ungenutzt. Viele Nährstoffe werden weggeschmissen oder fortgeschafft.“, so seine Bestandsaufnahme des derzeitigen Wirtschaftskreislaufes. Im Baugewerbe werden nicht nur ökologisch nicht nachhaltige Baustoffe verwendet, sondern werden beispielsweise bei der Planung von Gebäuden Flächen durch monofunktionale Nutzung regelrecht verschwendet. Englischer Garten statt essbare Landschaft.
Das nachhaltige Bauen, welches derzeit erforscht und gelehrt werde, funktioniere nur innerhalb des Kapitalismus, erklärt der studierte Architekt. „Es schafft Geld zu Firmen und ist wahnsinnig technisch.“ Die Liebe seiner Branche zum Beton kann er nicht nachvollziehen. Es gebe immerhin genug umweltfreundliche Alternativen. Auf der ganzen Welt finden sich zahlreiche Projekte und Gruppen, die nachhaltige Wohnkonzepte erforschen und entwerfen. Sogenannte Earthships zum Beispiel sind Gebäude einer bestimmten Bauweise, die nur durch passive, solare Wärme geheizt und durch natürliche Luftzirkulation gekühlt werden. Außerdem werden vor allem natürliche und recycelte Baustoffe verwendet. „Die Idee dahinter ist: Kreisläufe sinnvoll miteinander verbinden, dabei weniger Technik benötigen, die obendrein auch billiger ist.“
Autarkie sei nicht das Ziel, doch könne man die globale Logistik doch etwas entlasten, wenn man zumindest ein paar Tomaten nicht aus Spanien beziehe, sondern im Garten anbaue, findet der Hobbygärtner. So sind solche Ideen auch ein Schritt in Richtung schuldenfreier Gesellschaft.
Es braucht mehr Spielflächen
Der Konstanzer findet, dass man sich auch trauen und seine Meinung oder Vision zur Diskussion stellen muss. „Sich selbst und andere schlau machen, gemeinsam ernsthaft politisch werden, an Lösungen arbeiten.“, ist sein Motto dabei. Dabei ist es ihm zunächst einmal wichtig, die Leute zum Nachdenken zu bringen. Das hat er mit der Klimastadt Konstanz getan. Diese hat nun eine Petition ins Leben gerufen, die die Nutzung des Flughafengeländes als Standort für alternative Stadtentwicklung vorschlägt (s. Foto).
Morgen, Mittwoch, 8. Juli, gibt’s an der Universität Konstanz eine Infoveranstaltung zur Solarsiedlung auf dem Konstanzer Flugplatzareal. Los geht’s um 18.45 im Hörsaal A702.
RCG
Weitere Infos und den Link zur Petition gibt’s auf www.klimastadt-konstanz.de
Man kann auf dieser, seit über 100 Jahren als Landeplatz fungierenden Fläche, so sie denn zur Befriedigung diffuser Interessen aus Politik und Beendigung des Speichelflusses vermeintlicher Profiteure umgewidmet wird, nachhaltig maximal Reis anpflanzen oder Fische züchten.
Dass ausgerechnet ein Architekt daherkommt und behauptet, hier nachhaltig bauen zu können, entbehrt leider nicht einer gewissen Komik. Falls dem fantasievollen Planer die Leistungsphase 1 (Grundlagenermittlung) der HOAI (Honorarordnung für Architekten und Ingenieure) bekannt sein sollte, so hat er diese doch recht großzügig ausgeblendet.
Das Gelände ist äußerst eingeschränkt nutzbar/bebaubar. Und wenn überhaupt, nur mit allergrößtem gründungstechnischen Aufwand. Wo da dann der ökologische Nutzen/Sinn bleibt, ist mir ein Rätsel. Es scheint mir, der Gedanke des „experimentellen Bauens“, sehr schön interpretierbar übrigens (z.B., wenn’s schief geht) ist doch eher das Leitmotiv.
Abgesehen davon, dass ich die Idee der „2000 Watt-Gesellschaft“ sehr sinnvoll und unterstützenswert finde, muss ich aus meiner Sicht leider feststellen, dass dieser Beitrag für’n Eimer ist.
Hallo Herr Müller,
Bis jetzt ermöglicht nur der westliche Lebensstil hohe Lebenserwartung und gute gesundheitliche Versorgung Dank aufwendiger Forschung in Gedankenfreiheit. Man kommt leider in ethische Probleme, will man dies der Menschheit vorenthalten.
Natürlich haben auch früher schon Menschen in Murmansk, Narvik und Kiruna gelebt und während der Polarnacht Unmengen Walspeck und Holz verfeuert. Die müssten jetzt wegziehen. Vielleicht auf den Flugplatz von Konstanz?
@Lutz Gerster
Ob sich die Forscher verrechnet haben weiß ich nicht. Möchte aber mal zur Diskussion stellen, daß sich ja vielleicht auch die Menschheit verrechnet hat wenn sie glaubt sie könnte 7,3 Mrd und mehr Menschen auf allen Kontinenten und in nahezu allen Klimazonen mit einem „westlichen“ Lebensstil nachhaltig und dauerhaft ein sicheres Habitat bieten.
Was Russland, Schweden aber auch uns angeht sollte man nicht glauben, daß wir mit diesen 2000W auskommen müssen. Es geht hier nur um die 2000Watt Dauerleistung die wir mittels Technik in Form von z.B. elektrischer Energie, Bewegungsenergie, als Chemie, Dünger und was weiß ich nutzen (davon allerdings die Primärenergie).
Ausgenommen sind meines Wissens passive solare Erträge. Also z.B. das Sonnenlicht, daß unsere Pflanzen zum wachsen bringt. Oder Deine Südfenster im Winter tagsüber moppelig warm macht.
Das funktioniert zumindest überall dort wo auch im Winter mal die Sonne scheint (zu dicht an Polen sollte man allerdings nicht sein). Und da wo es minus 30° im Winter gibt sind die Himmel oft relativ wolkenfrei.
Es haben ja auch schon früher Menschen in kalten und kühlen Klimazonen gelebt, nur eben nicht so viele und nicht mit dem Anspruch ein eigenes Auto zu besitzen und täglich zu nutzen, zu fliegen, eine Heizung aufdrehen zu können, im Winter frisch gepressten Orangensaft zu trinken oder Erdbeeren vom anderen Ende der Welt zu essen.
@Lutz Gerstner: Mein Fehler, ich hatte den Text der 2000W-Initiatoren (http://www.2000-watt-gesellschaft.org/html/) missverstanden. Sie haben Recht, in Deutschland ist der Energieverbrauch relativ konstant geblieben.
2000 Watt/Person waren der durchschnittliche _Welt_energiebedarf im Jahr 1990. Heute sind es wohl 2300, eine nur mäßige Steigerung.
Wahr ist, dass wir in Europa zwei Drittel einsparen müssten, wenn Industrialisierung und Lebensstandard in der Dritten Welt sich weiter an unsere angleichen und der Gesamtenenergieverbrauch der Menschheit trotzdem konstant bleiben soll. Die Bürger der USA sogar 5/6.
@Peter Köhler
Der Primärenergieverbrauch ist seit Beginn der 90er Jahre aber rückläufig (lt. Bundesumweltamt). Wie kann er er dann 1990 bei 48 kWh/Tag pro Kopf liegen? Und ist heute mehr als 3 mal höher?
Es geht um die verbrauchte Primärenergie, also Erdöl, Kohle, Atomkraft etc, einschließlich Heizung, Verkehr und Industrie, nicht nur um den Haushaltsstrom. Im Moment stehen wir in Deutschland bei 6700 W pro Einwohner, das sind pro Tag 160 kWh oder 16 l Benzin. 2000 W wäre etwa wieder der Verbrauch im Jahr 1990.
@FelixMüller
Meinen Sie mit „2000 Watt Dauerleistung“ 2 kWh pro Stunde und das 24 Stunden?
Da wird Schweden und Russland wohl nicht mehr bewohnbar sein. Da sind minus 30 Grad im Winter. Oder die Schweden und Russen ziehen im Winter nach Nordafrika und kommen im Frühjahr zurück. Braucht aber auch Energie.
Ob sich die Schweizer Forscher da nicht verrechnet haben?
Lieber Lutz Gerster,
das Konzept der 2000Watt Gesellschaft (das an der ETH Zürich entwickelt und später von der Stadt Konstanz übernommen wurde) sieht vor, daß Dein gesamter Lebensstil im Schnitt (!) nicht mehr als 2000Watt Dauerleistung entsprechen sollte. Wenn Du also Dein 2000Watt Gerät durchlaufen lassen würdest müsstest Du das wohl unter freiem Himmel tun und Dich dabei als Jäger und Sammler betätigen, da Dein 2000Watt Budget ja mit dem einen Gerät aufgebraucht wäre. Und dann bliebe immer noch die Frage wo die 2000Watt herkommen. Denn in unserem heutigen Strommix ist die dazu nötige Primärenergie deutlich mehr als das.
Also wer hat’s nochmal erfunden? Den müsstest Du dazu vielleicht mal befragen 😉
Von müssen, wie Du schreibst, ist derzeit noch nicht öffentlich die Rede. Soll es mit der von Merkel & Co. gerade nochmal beschlossenen 2° Grenze noch irgendwie klappen, dürfte sich das aber in den nächsten Jahren ändern.
Aber eins ist klar: in Zukunft müssen wir mit einem Bruchteil der heutigen Energie und des heutigen Umweltverbrauchs auskommen und da sind die 2000Watt sicher ein Schritt in die richtige Richtung. Nur mit der Vermittlung des Konzeptes an die Bürgerschaft hapert es noch etwas. Ich kenne jedenfalls fast niemand der das Konzept auch nur kennt, geschweige denn es mir erklären könnte. Ein Schelm wer mangelndes Interesse unserer Stadtoberen dahinter vermutet.
Wenn ich nicht mehr als 2000 Watt verbrauchen darf, muss ich dann alle 2000 Watt-Geräte aus dem Haushalt entfernen?
Warum Konstanz als moderne Stadt keinen Flugplatz haben soll, erschliesst sich mir nicht. Wenn Felix Müller die „Totalüberbauung“ dieses offenen Gebiets neben einer vierspurigen Strasse propagiert, schafft er ziemlich das Gegenteil einer „Klimazone“. Dies umso mehr, als vorne bei der „gewaltig wachsenden Kindlebildkreuzung“ zusätzlich bereits eine Gewerbezone geplant ist. Eine Zukunft(s)schule neben einer stets grösser werdenden Kläranlage wäre allerdings mal was Neues. Und für „Ökologische Minifarmen“ ist genügend Platz am Rande von Bodanrückgemeinden. Nun bin ich ja „Visionen“ nicht abgeneigt, auch wenn „Schmidt-Schnauze“ meint, man soll mit dieser Bemerkung zum Psychiater. Und Architekten haben es besonders in sich, „Dinge“ als „Visionen“ dazustellen, die sie von überall her gesammelt haben. Kann man machen. Nur: Die Erhaltung des Fluggeländes gleichlaufend mit einem bescheidenen Ausbau empfinde ich nicht als „Vision“, sondern als eine logische Möglichkeit, Tradition in einer zeitgemässen Form für die Stadt weiter zu entwickeln. Es braucht dazu einen kreativen Ansatz. Nicht immer ist das Aufheben einer Tradition weise.