Klinikum: Beschäftigte und Patienten werden bluten

Konstanz gibt grünes Licht für die Kreislösung: Die Konstanz, Singen und Stockach gehörenden, wirtschaftlich maroden Krankenhäuser sollen einen kommunalen Verbund eingehen. Mit breiter Mehrheit stimmte der Gemeinderat als erster der geplanten Partner den Eckpunkten für den Konsortialvertrag zu. Danach sollen die Krankenhäuser in einer GmbH aufgehen, an der der Landkreis Konstanz 51% hält, während Singen und Konstanz jeweils 23% bekommen und für Stockach 3% vorgesehen sind.
 
In Zukunft bestimmen also nicht mehr die Gemeinderäte, sondern weitgehend der Landkreis über die Krankenhäuser. Der Konstanzer Gemeinderat stimmte trotz einiger Bedenken mit breiter Mehrheit zu, sieht er darin doch die einzige Möglichkeit, dem Verkauf des Konstanzer Krankenhauses an einen privaten Betreiber zu entgehen.
 
Dass es mit den kommunalen Krankenhäusern der Region, die zur Singener Hegau-Bodensee-Hochrhein-Kliniken GmbH, zur Spitalstiftung Konstanz und zur Krankenhaus Stockach GmbH gehören, nicht so weitergeht, ist weitgehend unstrittig. Die Spitalstiftung etwa, die seit rund 800 Jahren das Konstanzer Krankenhaus getragen hat, ist mit ihrem Latein am Ende, und auch das Singener Krankenhaus war schwer notleidend.
 
Als Ursachen haben Gutachter etwa das parallele Vorhalten kostspieliger Fachabteilungen an den verschiedenen Standorten und eine Konkurrenz um die Patienten ausgemacht. Gemeinderat Jürgen Puchta (SPD) gab in seiner detaillierten Analyse auch der Geschäftsführung des Konstanzer Krankenhauses ein gerüttet Maß an Mitschuld, weil sie in den letzten Jahren die Umstellung vom alten Abrechnungssystem auf die neuen Fallpauschalen nicht bewältigt habe.

Privatisierung ist keine Lösung

Wie auch immer: Nach jahrelangen Diskussionen wird jetzt unter hohem Zeitdruck versucht, die Krankenhäuser der Region dauerhaft unter einem Dach zusammenzufassen, um sie so – im Interesse der Patientinnen und Patienten – in öffentlicher Hand halten zu können. Außer Heinrich Everke von der FDP, einem unermüdlichen Streiter für die vier urliberalen Ps: Parkhäuser, Parkhäuser, Parkhäuser und Privatisierung, brach jedenfalls niemand öffentlich eine Lanze für den Verkauf an einen profitorientierten Krankenhauskonzern. Nach ziemlich einhelliger Meinung des Gemeinderats würde ein solcher Verkauf schnell zu einer Reduzierung der medizinischen Versorgung auf für den Betreiber profitable Bereiche sowie zu für normale Patienten nicht mehr bezahlbaren Privatstationen führen.
 
Am Donnerstag wurden nun in Konstanz die Eckpunkte des Vertrages für die kreisweite Lösung gebilligt. Das heißt, dass vieles noch offen ist, vom Namen der Gesellschaft über juristische Details, etwa wie die Gebäude und Betriebe in die neue GmbH eingebracht werden sollen, während Grund und Boden, auf denen die Einrichtungen stehen, bei den bisherigen Eigentümern verbleiben. Auch die bisher aufgelaufenen Schulden bleiben beim bisherigen Träger und gehen nicht an die neue Gesellschaft über.
 
Die neue GmbH hat zwei Hauptaufgaben: Sie soll die Gesundheitsversorgung im Kreis sicherstellen und – vor allem – sie soll zumindest keine Verluste machen und den an der GmbH beteiligten Partnern einen Grundzins von jährlich 2% auszahlen, mit dem diese ihre Krankenhaus-Schulden bedienen können.

Beschäftigte und Patienten werden bluten
 
Dass allein durch einen puren Zusammenschluss dreier wirtschaftlich angeschlagener Unternehmen kein Goldesel entsteht, ist klar; ein solcher Verbund macht nur Sinn, wenn kräftig gespart wird. Gemeinderätin Vera Hemm (Linke Liste) forderte denn vorsorglich auch, die Interessen der Mitarbeiter sowie der Patienten im Konsortialvertrag vertraglich besser zu berücksichtigen und vor allem detailliert festzuschreiben, woraus die medizinische Grundversorgung bestehen soll, zu der die künftige GmbH verpflichtet ist. Denn eines wird aus dem Vertragsentwurf klar: Die Einsparungen gehen ebenso zu Lasten der Mitarbeiter wie der Patienten.
 
Die Mitarbeiter erhalten zwar eine Garantie, dass es in den nächsten fünf Jahren keine betriebsbedingten Kündigungen geben wird, müssen aber zum Job- und Ortswechsel innerhalb der GmbH bereit sein. Das kann durchaus bedeuten, dass eine Stockacherin künftig in Konstanz arbeiten muss, wenn Stockach denn der Holding beitritt (momentan wird gemunkelt, Stockach suche nach einer gemeinsamen Lösung mit Sigmaringen). Und ein Konstanzer Klinikumsangestellter wird nicht gerade begeistert sein, wenn er in Zukunft zur Arbeit nach Singen pendeln muss.
 
Die Patienten müssen wohl mit erheblicheren Einschnitten rechnen, heißt es im Vertragsentwurf doch ausdrücklich: „Garantien für den Erhalt von Standorten sowie eines bestimmten Leistungsspektrums wird es […] nicht geben.“ Soll heißen, einzelne Stationen oder gar ganze Standorte werden dicht gemacht, erweisen sie sich auf Dauer als unwirtschaftlich. Will eine Kommune eine solche Station trotzdem halten, gilt das Beststellerprinzip. Wer also eine Leistung am Ort haben will, die die GmbH nicht anbietet, muss die GmbH dafür bezahlen, dass diese Leistung erbracht bzw. die spezielle Einrichtung erhalten bleibt. Ein Vetorecht in dieser Frage haben die einzelnen Partner nicht. Ein solches Vetorecht wäre nach Angaben des Konstanzer OBs Horst Frank ein Verstoß gegen das Kartellrecht. Es wäre sicher auch das baldige Ende der Kreislösung, weil jeder Partner unverzüglich sein Veto gegen jede Veränderung an seinem Ort einlegen würde.
 
Wo welche Angebote gestrichen werden, steht bisher in den Sternen, dass es aber zu solchen Angebotsstreichungen kommen wird, ist klar, weil sich sonst die nötigen Einsparungen nicht realisieren lassen. Also werden Patienten künftig für bestimmte Behandlungen nicht mehr ihr örtliches Krankenhaus aufsuchen können, sondern an ein anderes Krankenhaus der Umgebung verwiesen.
 
Die neue Krankenhausstruktur gibt den Städten, die es nicht geschafft haben, ihre Krankenhäuser wirtschaftlich zu sanieren, wenig Mitspracherechte. Dies hat juristische Gründe, entzieht aber die GmbH auch lokalpolitischem Druck und gibt ihr mehr Freiheiten, nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten relativ selbstständig entscheiden zu können: „Die Geschäftsführung ist zukünftig für die Fortentwicklung des medizinischen Konzepts verantwortlich“, heißt es im Vertragsentwurf. Die beiden voraussichtlichen neuen Geschäftsführer sind allerdings dieselben wie bisher, der Singener Peter Fischer und der alles andere als unumstrittene Konstanzer Rainer Ott.

Endgültige Entscheidung im Herbst

Gleichzeitig betonen die Partner ihren festen Willen, die GmbH zur Wirtschaftlichkeit zu zwingen, wenn sie im Vertrag festschreiben, dass es für keinen der Beteiligten eine Nachschusspflicht gibt. Sollte sich das neue Modell also als Verlustbringer erweisen, gibt man sich zumindest heute gewillt, die neue Krankenhausgesellschaft notfalls am ausgestreckten Arm verhungern zu lassen. Dass man dann kaum eine Alternative zur Privatisierung mehr haben wird, sagt die Verwaltung derzeit nicht allzu laut. Die Kreislösung wird schließlich nicht nur von der Einsicht in bittere gesundheitspolitische Realitäten bestimmt, sondern auch vom Prinzip Hoffnung.
Bis die neue Krankenhausstruktur irgendwann im Herbst endgültig verabschiedet werden kann, ist es noch ein langer Weg. Erstens müssen die anderen Partner (der Landkreis Konstanz, die Krankenhaus Stockach GmbH und die Hegau-Bodensee-Hochrhein-Kliniken GmbH) den Eckpunkten noch zustimmen. Danach folgt eine Due-Diligence-Prüfung, eine sorgfältige betriebswirtschaftliche Prüfung aller in die neue Krankenhausgesellschaft einzubringenden Werte und Betriebe also. Damit sollen der Wert und eventuelle Risiken der bisherigen Einzelbetriebe exakt ermittelt werden. Dass es hierüber zwischen den Partnern noch zu einem ebenso zähen Feilschen kommen dürfte wie darum, wie die medizinische Grundversorgung durch die kreisweite GmbH denn nun aussehen soll und vor allem, welche Einrichtungen erhalten bleiben, ist abzusehen.

Ein Fest für Lokalpatrioten

Kaum ist für die Krankenhäuser im Landkreis die neue Lösung in Sicht, bringen sich begeisterte Kirchturmspolitiker und Lokalpatrioten in Stellung, die ihr ach so schönes und angeblich auch so rentables Krankenhaus auf keinen Fall hergeben wollen und fürchten, von den Partnern über den Tisch gezogen zu werden. So hat Veronika Netzhammer, Fraktionsvorsitzende der CDU im Singener Gemeinderat, erklärt, es sei nicht zumutbar, dass mit Singener Gewinnen Verluste in Konstanz ausgeglichen würden und dass das Singener Personal sich abrackere, während sich Konstanz eine vergleichsweise komfortable Personaldecke leiste.
 
Der Konstanzer OB Horst Frank kommentierte dies süffisant, es sei ein Wunder zu sehen, wie das gerade noch todkranke Singener Krankenhaus nun plötzlich vor lauter Kraft nicht mehr laufen könne. Was der als Zuhörer anwesende Landrat Frank Hämmerle über solche lokalen Verschwörungstheorien denkt, sagte er zwar nicht, man konnte nach seinem Mienenspiel aber mutmaßen, dass seine Gedanken in Comics gemeinhin durch Denkblasen mit vielen Totenschädeln und ähnlichem Zierrat wiedergegeben werden. Mal schauen, wer sich nach Veronika Netzhammer unter Berufung auf den Eid als Gemeinderat als nächste/r aus der Deckung wagt, um wacker vor der kampflosen Übergabe des örtlichen Tafelsilbers an die – je nach lokaler Perspektive – Konstanzer, Singener oder Stockacher Krankenhausräuber zu warnen.
 
Autor: O. Pugliese