König Artus und die Tafelritter

Das Aufregendste an der ersten Sitzung des Konstanzer Gemeinderates nach der Sommerpause war die neue Sitzordnung, die den Saal in Artus‘ Tafelrunde verwandelte. Nachdem man zu Beginn entschieden hatte, die wirtschaftliche Schieflage der Philharmonie zum späteren Zeitpunkt zu debattieren, gab es unter der souveränen Übungsleitung des neuen OBs Uli Burchardt keine wirklichen Aufreger

Die Zuhörer sind jetzt außen vor

Saßen die Konstanzer Gemeinderäte und Gemeinderätinnen bisher in einem zu den Zuschauersesseln hin offenen Hufeisen, so bringt die neue Sitzordnung in einem Quadrat oder künftig gar Kreis für die zuhörenden Bürgerinnen und Bürger erhebliche Nachteile: Etliche Räte und Rätinnen sitzen mit dem Rücken zum Publikum und zeigen ihm die kalte Schulter. Auch die althergebrachte Konfrontation zwischen links und rechts fällt bei dieser beinahe kreisförmigen Sitzordnung ein wenig langweiliger aus, sitzt doch die UFG jetzt Schulter an Schulter mit der Linken Liste.

Der neue OB hat die neue Aufstellung zwar gut gemeint, denn im Konstanzer Gemeinderat sitzen jetzt alle in der ersten Reihe und es gibt keine in der zweiten Reihe vor sich hindösenden Hinterbänkler mehr, aber der Gemeinderat schottet sich mit dieser Sitzordnung komplett gegen das Publikum ab.

Philharmonie kein Thema

Dass bei der Südwestdeutsche Philharmonie angeblich unbemerkt ein erhebliches Defizit von ca. 600.000 Euro aufgelaufen ist und Intendant Florian Riem die Öffentlichkeit seitdem konsequent meidet, ist bekannt. So versprach denn die Debatte über den Jahresabschluss 2012 der Philharmonie zu einem munteren Showdown zu werden, bei dem nicht nur etwas Licht ins Dunkel des philharmonischen Finanzchaos gebracht werden könnte, sondern sich auch trefflich über die Schuldfrage streiten ließe. Allein – die SPD beantragte, diesen Tagesordnungspunkt abzusetzen, bis man weitere Informationen über die Finanzlage habe – und so geschah es denn auch.

Holger Reile (LLK) hingegen regte vergeblich an, ein Thema aus dem nichtöffentlichen Teil der Sitzung in den öffentlichen zu verschieben. Es geht dabei, so viel ließ sich aus seinen Äußerungen schließen, um Rückforderungsansprüche der Stadt an ihren Anwalt im Prozess um den Rauswurf des Chefarztes Gert Müller-Esch. Die Stadt hatte den Prozess nicht nur mit Pauken und Trompeten verloren, sondern fühlt sich inzwischen auch vom eigenen Prozessvertreter, Harald Endemann von der Münchener Anwaltskanzlei Seufert, kräftig über den Tisch gezogen. Aus der Tatsache, dass der Gemeinderat darüber nichtöffentlich reden wollte, lässt sich schließen, dass die Stadt ernsthaft daran denkt, gegen Endemanns Anwaltsrechnung über ca. 173.000 Euro vor Gericht zu ziehen. Wieso dieses Thema, das bereits im Mai 2012 öffentlich im Gemeinderat diskutiert wurde, jetzt wieder nichtöffentlich behandelt wird, blieb unklar. Man kann sich aber des Verdachtes kaum erwehren, dass die Verwaltung, nachdem sie im Fall Müller-Esch großzügig bereits etwa 850.000 Euro an öffentlichen Mitteln in den Sand gesetzt hat, kein Interesse an allzu viel öffentlicher Aufmerksamkeit an dieser Angelegenheit mehr hat.

Pfahlbürger

Jetzt ist es amtlich: Die Stadt Konstanz wird Mitglied der Arbeitsgemeinschaft „Prähistorische Pfahlbauten um die Alpen – Baden-Württemberg“ und wird dafür einen Jahresbeitrag in Höhe von 1.100 Euro berappen. Eine Konsequenz aus einem Akt der UNESCO, die am 27. Juni 2011 auch einige auf Konstanzer Gebiet gelegene Pfahlbauten zum Weltkulturerbe erklärte. Die neue Arbeitsgemeinschaft soll vorerst 13 Mitglieder haben und daraus 5.900 Euro Mitgliedsbeiträge erlösen. Ihre Aufgabe ist die gemeinsame deutschlandweite Vermarktung dieser Pfahlbauten. Wie Alexander Stiegeler (FWG) richtig anmerkte, sind 5.900 Euro natürlich angesichts dieser Herkules-Aufgabe ein Nasenwasser, und so werden denn in Zukunft immer wieder zusätzliche Mittel an die Arbeitsgemeinschaft fließen müssen, was Gemeinderätin Dorothee Jacobs-Krahnen (FGL) zu der Anregung veranlasste, man möge überlegen, ob nicht eine der zahlreichen bereits bestehenden Marketing-Organisationen diese Aufgabe mit übernehmen könne. Schließlich obsiegte aber die Einsicht in die Notwendigkeit einer gesonderten Vermarktung der Pfahlbauten bei zwei Gegenstimmen und sieben Enthaltungen.

In der Chérisy wird gebaut

Etliche Chérisy-Bewohner haben vergeblich dagegen protestiert: Auf dem Kasernengelände will ein privater Investor Studentenwohnungen errichten. Natürlich fand dieses Projekt in den bürgerlichen Fraktionen breite Zustimmung. Roger Tscheulin (CDU) beklagte die Wohnungsnot, die gerade Studenten besonders hart treffe und hier mit privaten Investitionen gelindert werde, denn „wir sind verpflichtet, der Not der Studenten abzuhelfen“. Auch Peter Müller-Neff (FGL) erklärte sich mit dem Projekt prinzipiell einverstanden, stellte aber zwei Zusatzanträge: Er forderte 1. autofreies Wohnen und 2. die Auflage an den Investor, die Wohnungen 30 Jahre lang tatsächlich ausschließlich für studentisches Wohnen zu nutzen. Sein Fraktionskollege Günter Beyer-Köhler sekundierte, es sei bei diesem Projekt auch massiver Parkplatzbau geplant, und Parkplätze könnten die Studenten gar nicht bezahlen. Holger Reile (LLK) hingegen monierte, hier werde dem Investor zu viel Spielraum gelassen, in Wirklichkeit lege der es darauf an, dort hochpreisige Eigentumswohnungen zu errichten. Außerdem beklagte er, die Einwände der Chérisy-Bewohner seien von der Verwaltung ohne Begründung abgebügelt worden. „Das ist nicht nachhaltig und sozial!“, rief er seinen Miträtinnen und -räten zu.

Diese kritischen Stimmen kamen bei Baubürgermeister Kurt Werner gar nicht gut an: Bei derartigen Hürden wie einer 30-jährigen Verpflichtungen zu studentischer Nutzung werde der Unternehmer abspringen. Am Ende erhielt der Investor von der Ratsmehrheit für seinen Plan grünes Licht: Er kann die Wohnungen auf dem Chérisy-Gelände ohne zusätzliche Auflagen errichten, die Wohnungen müssen lediglich zehn Jahre lang ausschließlich an Studenten vermietet werden. Man muss kein Hellseher sein, um vorher zusagen, dass sie nach Ablauf dieser zehn Jahre mit üppigem Profit an eine zahlungskräftigere Klientel vermietet oder verkauft werden dürften. Eine nachhaltige Linderung studentischer Wohnungsnot jedenfalls sieht anders aus, und böse Zungen behaupten, bei diesem Projekt gehe es unter dem Deckmantel der Linderung von Wohnungsnot vor allem darum, mal so richtig Reibach zu machen. Die Warnung von Baubürgermeister Kurt Werner, der Investor werde bei strengeren Nutzungsauflagen abspringen, spricht jedenfalls eine deutliche Sprache.

Konstanz wächst

In Google Maps gibt es ihn noch nicht, und so manche Konstanzerin wird verblüfft schauen, wenn sie von einer Debatte um die Gestaltung des Brückenplatzes Süd hört, auf dem noch dazu die Bismarckquelle sprudelt. Kurzum: Es handelt sich um einen Platz auf dem frisch bebauten Gelände zwischen dem Bahnhof Petershausen und der Bruder-Klaus- bzw. Von-Emmich-Straße. Dort soll öffentlicher Raum mit Bäumen und Bänken zum Verweilen einladen, und die muntere Quelle soll Wassertische (wohl eine Art flacher Brunnenbecken) speisen. Vera Hemm (LLK) lehnte die 160.000 Euro für die Wassertische vehement ab, denn was die Stadt dringend brauche, seien keine Wassertische, sondern soziale und pädagogische Einrichtungen, für die das Geld an allen Ecken und Enden fehle.

Für einmal, und das geschieht nun wirklich selten, schloss sich Heinrich Fuchs (CDU) der Linken Vera Hemm an. Er schlug vor, diese Wasserspiele im Bedarfsfall später zu errichten. Andere Rätinnen und Räte wie Anne Mühlhäußer (FGL) und Jürgen Ruff (SPD) waren aber dezidiert für die geplante Gestaltung des Platzes und wiesen darauf hin, dass hier in Petershausen eine dichte Bebauung entstanden sei, in der es ansprechenden öffentlichen Raum zur Erholung und Begegnung geben müsse und verwiesen darauf, dass auch die Bürgergemeinschaft Petershausen die Planung unterstütze. Als schließlich Jürgen Wiedemann (UFG) dem Projekt nachsagte, es trage zur „sozialen Befriedung“ bei und Gabriele Weiner (FWG) Spielgeräte für Kinder gefordert und vor abendlichem Lärm gewarnt hatte, ging das Projekt samt Wassertischen bei elf Gegenstimmen und vier Enthaltungen glatt durch den Gemeinderat.

Nicht ganz so glatt lief es dann bei der Abstimmung über die Gefäßverwaltung mit Identifikationschips, die 655.000 Euro kosten soll. Gleichzeitig sollen das Gefäßvolumen für Biomüll von 10 Liter auf 15 Liter pro Person und Woche erhöht und eine 60-Liter-Tonne eingeführt werden. Das Ergebnis fiel denkbar knapp aus: 19 Stimmen dafür, 18 dagegen und vier Enthaltungen.

Mal wieder Von-Emmich-Straße

Wenn es schon um Abstimmungsergebnisse geht: diese Sitzung vom 27. September schaffte auch ein Abstimmungsergebnis, das selbst OB Uli Burchardt erst mal ausgiebig durchdenken muss, ehe er weiß, was damit gemeint sein könnte. Doch der Reihe nach:

Der Gemeinderat hat am 29.03.2012 die Umbenennung der Von-Emmich-Straße in Georges-Ferber-Straße beschlossen und daraufhin von erzürnten Anwohnern viel Kritik zu hören bekommen, denn die Anwohner sind nicht willens, die Kosten für neue Visitenkarten, Briefbögen, Ummeldungen usw. zu tragen. Werner Allweiss (FGL) begründete noch einmal sehr fundiert und ausführlich, warum von Emmich nicht mit einer Straße geehrt werden darf. Er hat sogar herausgefunden, dass der Gemeinderat 1961 auf Betreiben der Katholiken die Umbenennung der Von-Emmich-Straße in Bruder-Klaus-Straße beschlossen hat, damals aber auf Initiative eines einzelnen Gemeinderatsmitgliedes das heutige Stück der Von-Emmich-Straße aus unerfindlichen Gründen von der Umbenennung ausnahm. Man war sich also bereits 1961 darüber klar, dass General Albert Theodor Otto von Emmich (1848-1915) zum Namenspatron einer Straße nicht mehr taugte. 1934, als man die Straße nach von Emmich benannte, hatte man das noch ganz anders gesehen, denn von Emmich hatte 1914 beim völkerrechtswidrigen Überfall auf das neutrale Belgien und bei Menschenrechtsverletzungen in Lüttich eine führende Rolle gespielt, und das galt 1934 bekanntlich als durchaus vorbildlich. Gerade Emmich, und darauf verwies auch Anselm Venedey (FWG), entspricht nun so ganz und gar nicht dem Leitbild der jüngst beschlossenen Konstanzer Erklärung, in der sich die Stadt als weltoffen und liberal charakterisiert und auf Menschlichkeit und gegenseitige Achtung verpflichtet.

Es war klar, das im Gemeinderat in dieser Debatte die eine Seite aus moralischen Gründen für die Umbenennung der Straße auch gegen den Willen der Anwohner eintreten, während die andere mit dem Bürgerwillen argumentieren würde. So kam es denn auch, als Wolfgang Müller-Fehrenbach (CDU) gegen die Umbenennung einwandte, dann müsse man ja alle zehn Jahre über alle möglichen Straßen neu abstimmen und einen „neuen Stil der Bürgerbeteiligung“ forderte. Anselm Venedey hielt dagegen, dass „Politik auch unpopuläre Entscheidungen treffen muss, wenn sie richtig sind, so wie bei der Gewerbesteuer, wo man die Unternehmer ja auch nicht fragt“. Holger Reile (LLK) kritisierte auch die Anwohner, die sich erst zu spät zu Wort gemeldet hätten, obwohl die Umbenennung bereits lange in den Medien debattiert worden war. Er verwies auf weitere umzubenennende Straßen wie die Sigismund- und die Bismarckstraße und wies Umbenennungen nach Tier- oder Pflanzennamen als geschichtslos zurück.

Schließlich galt es, in Sachen von Emmich über mehrere Anträge abzustimmen: Der Gemeinderat lehnte die Aufhebung der Umbenennung ebenso knapp ab wie die Zurückweisung der Umbenennung in die Straßenumbenennungskommission. Wie sagte Uli Burchardtdoch so treffend über das Ergebnis? „Man weiss nicht, wohin diese Abstimmung führt.“ Ob der Antrag von Werner Allweiss, man möge Orientierungsrichtlinien für die Straßenumbenennung ausarbeiten, nun umgesetzt wird oder nicht, hat wohl kaum jemand verstanden. Die Verwaltung jedenfalls hatte vorgetragen, solche Richtlinien seien nur für Neu-, nicht aber für Umbenennungen zulässig, Umbenennungen müssten immer Einzelfallentscheidungen bleiben. Von Emmich jedenfalls wird die Konstanzer noch einige Zeit beschäftigen und erweist sich als äußerst zählebig.

Zweckentfremdungsverbot

Was tun, wenn dringend benötigter Wohnraum aus Profitgründen in Gewerbe- oder Praxisräume umgewandelt wird? 2006 hat die damalige Landesregierung von Baden-Württemberg das Zweckentfremdungsverbot von Wohnraum in Universitätsstädten außer Kraft gesetzt und ist damit den Immobilien-Spekulanten ein gutes Stück entgegengekommen. Nachdem jüngst beispielsweise in der Wiesenstraße Wohnungen in Gewerbeflächen umgewandelt wurden und in Stuttgart eine andere Landesregierung angetreten ist, brachte die SPD den Antrag ein, die Stadt Konstanz möge die Wiedereinführung des Zweckentfremdungsverbots für Wohnraum in auserwählten baden-württembergischen Universitätsstädten unterstützen. Jürgen Faden (FWG) merkte an, ein Zweckentfremdungsverbot schaffe keinen Wohnraum und Roger Tscheulin (CDU) forderte Freiheit für Investoren und eine Förderung des Wohnungsbau durch weniger Regulierung. Dem setzte Holger Reile (LLK) entgegen, „wer Wohnraum leerstehen oder verkommen lässt, gehört bestraft“.

Letztlich fand das Zweckentfremdungsverbot eine Mehrheit von 24 der 40 Rätinnen und Räte. Zugleich wurde einstimmig beschlossen, die Parkplatzablöse in Stadelhofen, also im Gebiet zwischen Bodanstraße und Schweizer Grenze, auf das Niveau der Innenstadt anzuheben, weil das Quartier mittlerweile ebenso attraktiv wie die Innenstadt sei.

Und sonst?

Das Projekt Mehrgenerationenhaus wird auf Initiative von Anne Mühlhäußer (FGL) vorangetrieben. Im Rat machte sich während er Debatte Verwirrung breit, weil nicht allen klar war, ob es jetzt um ein Pflegeheim oder um eine Vier-Generationen-WG handele. Ewald Weisschedel (FWG) forderte mit Recht, man brauche erst mal ein klares Konzept, was ein solches Haus (nach Singener und Ravensburger Vorbild) überhaupt leisten solle, und ließ anklingen, dass die Vorstellung von einer idyllischen Großfamilie, in der die Generationen sich gegenseitig freiwillig helfen, nach seiner Einschätzung blauäugig sei, da müsse etwas Handfesteres her.

Nach langer Debatte wurden Christiane Kreitmeier (FGL) und Ewald Weisschedel (FWG) in den Aufsichtsrat der neuen „Gesundheitsverbund Landkreis Konstanz gemeinnützige GmbH“ entsandt.

Alexander Fecker versichert OB seiner Loyalität

Ein echter Stein dürfte Uli Burchardt allerdings schon zu Beginn der Sitzung vom Herzen gefallen sein. CDU-Chefstratege Alexander Fecker versicherte dem neuen OB in einer mutigen persönlichen Erklärung, er habe im OB-Wahlkampf zwar auf Sabine Reisers Seite gefochten, wolle jetzt aber mit aller Kraft Uli Burchardt unterstützen, zumal wenn der sich bei den Stadtwerken dafür einsetze, in den nächsten Jahrzehnten so viel erneuerbare Energie zu produzieren, dass die Atomkraft überflüssig wird.

OB Burchardt wischte sich verstohlen einige Angstschweißperlen von der Stirn, er hatte wohl schon gefürchtet, hinter Feckers undurchdringlicher Fassade eines kreuzbraven Untertanen lauere vielleicht doch seit dem Wahlkampf ein leidenschaftlich bohrender Hass, mit dem ihm der alte CDU-Kämpe (Spitzname „Der Löwe vom Sonnenbühl“), der schon so manchen politischen Gegner zur Strecke gebracht hat, das Leben in den nächsten Jahren zur Hölle machen könnte. Doch so war der OB noch einmal gerettet und konnte ganz entspannt seine erste Gemeinderatssitzung genießen.

Autor: O. Pugliese