Konstanz: 14 weitere Stolpersteine

In Konstanz werden am 25. September weitere Stolpersteine verlegt, um an Menschen zu erinnern, die aus den verschiedensten Gründen von den Nazis verfolgt und ermordet wurden. In diesem Jahr wird dabei insgesamt 14 jüdischer, politischer und Euthanasie-Opfer gedacht. An jeder der zehn Verlegestellen erinnern Angehörige oder Paten mit einer kurzen Ansprache an die Ermordeten. Im Begleitprogramm werden thematische Rundgänge und eine Lesung angeboten.

Wahrscheinlich sind die „Stolpersteine“ derzeit aktueller denn je, weil fast schlagartig Theorien über geheime Verschwörungen bis weit in die angebliche „Mitte der Gesellschaft“ hinein salonfähig geworden sind und mit Stolz Galgen mit den Bildern von Wissenschaftlern und PolitikerInnen vorgezeigt werden.

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Die „Stolpersteine“ erinnern nicht nur an ganz konkrete Opfer, sondern auch daran, wie schnell gesellschaftliche Verunsicherung und Irrationalität gerade in Deutschland den Rechten scharenweise scheinbar zivilisierte Bürger in die offenen Arme sinken lassen. Sie rufen in Erinnerung, wie schnell so manche der netten Menschen von nebenan bereit sind, Angriffe auf religiöse, sexuelle und nationale Minderheiten, Linke und sonstige irgendwie missliebigen oder andersmeinenden Menschen lauthals zu fordern oder zumindest stillschweigend zu tolerieren.

An Ermordete erinnern

Ein Schicksal wie das von Louis Übrig, der 1907 in St. Gallen geboren wurde und wegen seines politischen Engagements (unter anderem im spanischen Bürgerkrieg) 1939 gefoltert und erschossen wurde, erscheint im jetzigen Deutschland, in dem Polizisten faschistische Drohpost verschicken und esoterisch verirrte Wutbürger samstags gern mal die Reichsflagge und ähnlich angeblich unpolitische Textilien vorzeigen gehen, nicht mehr so unwiederholbar wie noch vor wenigen Jahren. Dass die Verschwörungsgerüchte rund um Bill Gates antisemitische Stereotype aufgreifen, ist kein Zufall, denn wo der Verstand versagt, wachsen der teutonische Hass und wahrscheinlich bald auch der Blutdurst ins Unermessliche.

„Stolpersteine“ ist ein Kunstprojekt von Gunter Demnig aus Köln, das genau dessen gemahnt. Der Künstler erinnert an die Opfer der NS-Zeit, indem er vor deren letztem selbstgewählten Wohnort kleine Gedenktafeln aus Messing ins Trottoir einlässt. „Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist,“ zitiert Gunter Demnig den Talmud. Mit den Steinen vor den Häusern will er die Erinnerung an jene Menschen lebendig halten, die einst hier wohnten. Ein Stein. Ein Name. Ein Mensch. Und ein brutaler Mord.

75.000 Mahnmale

Das Projekt ist bis Dezember 2019 auf über 75.000 verlegte Steine und 25 Stolperschwellen in 2000 Kommunen Europas gewachsen. Seit Oktober 2017 liegt auch die erste Stolperschwelle außerhalb Europas in Buenos Aires, die in enger Zusammenarbeit mit der Konstanzer Initiative verwirklicht wurde.

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Die Initiative „Stolpersteine für Konstanz – Gegen Vergessen und Intoleranz“ arbeitet seit 2005 an der Aufarbeitung von Biografien der Verfolgten des Nationalsozialismus – Juden, politisch und religiös Verfolgte, Euthanasieopfer, Deserteure, Sinti/Roma und Homosexuelle erhalten so auch in Konstanz ihre Identität zurück. Getragen wird die Initiative von einem breiten gesellschaftlichen Bündnis. Bis Ende 2020 wurden in Konstanz und Kreuzlingen 235 Stolpersteine verlegt.

Das Begleitprogramm

Sonntag, 20. September, 10.30 Uhr
Rundgang zu den Stolpersteinen in der Konstanzer Altstadt mit Dr. Uwe Brügmann, Treffpunkt ist der Gedenk-Obelisk hinter der Dreifaltigkeitskirche. Bei dem Rundgang durch die Konstanzer Innenstadt werden ausgewählte Biografien von Opfern des nationalsozialistischen Terrors – Juden, Euthanasie-Opfer, Homosexuelle, politische Opfer und Zeugen Jehovas – ausführlich und exemplarisch vorgestellt. Die etwa 90-minütige Führung findet bei jedem Wetter statt. Bitte denken Sie an Ihre Mund-Nasen-Bedeckung.

Freitag, 25. September, 19:30 Uhr
Offizielle Übergabe der Stolpersteine an die Stadt Konstanz, Wolkensteinsaal im Kulturzentrum am Münster, Wessenbergstr. 41/43, Konstanz. Im Anschluss Lesung mit Dr. Ronen Steinke aus seinem aktuellen Buch „Terror gegen Juden. Wie antisemitische Gewalt erstarkt und der Staat versagt. Eine Anklage“. Der jüdische Autor, selbst Jurist, ist durch Deutschland gereist und erzählt von jüdischem Leben im Belagerungszustand. Er trifft Rabbinerinnen und Polizisten, konfrontiert Staatsschützer, Geheimdienstler und Minister mit dem Staatsversagen. Viel muss sich ändern in Deutschland. Was zu tun wäre, erklärt dieses Buch. Aufgrund der aktuellen Situation ist die Teilnehmenden-Zahl begrenzt. Deswegen bitten die Veranstalter um eine vorherige Anmeldung mit Namen und Telefonnummer per E-Mail. Der Wolkensteinsaal ist ausschließlich mit Mund-Nasen-Bedeckung zu betreten oder mit entsprechendem ärztlichem Attest, dass das Tragen von Mundschutz aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich ist.

Sonntag, 27. September, 10:30 Uhr
Rundgang zu den Stolpersteinen für Euthanasieopfer mit Roland Didra, Treffpunkt Münsterplatz/Brunnen. Bei dem etwa 90-minütigen Rundgang werden einige Verlegestellen in der Innenstadt aufgesucht und an die Schicksale der Kinder und Erwachsenen erinnert.

In den nächsten Monaten sind weitere Veranstaltungen geplant. Mehr dazu auf der Website und bei Facebook.

Die neuen Stolpersteine

Freitag, 25. September 2020

Uhrzeit Opfer Verlegeort
9.00 Uhr Louis Übrig Kanzleistraße 7
9.20 Uhr Mathilde Althoff Hüetlinstraße 31
9.40 Uhr Klara und Helene Dukas Kreuzlinger Straße 68
10.00 Uhr Rosa und Sally Salomon Bodanstraße 33
10.15 Uhr Laura und Gustav Hirsch Bodanstraße 17
10.30 Uhr Alice und Kurt Maier Bodanplatz 10
10.55 Uhr Josef Anselm Bücklestraße/Austraße (gegenüber Steinsoldat Chérisy)
13.00 Uhr Maria Obergfell Bärlappweg 7
13.30 Uhr Frieda Hofgärtner Friedrichstraße 30
13.55 Uhr Lothar Frank Altmannstraße 4

 

 MM/red

Bild: einer von über 230 Steinen, die in Konstanz bisher verlegt wurden (Foto: Stolpersteine für Konstanz – Gegen Vergessen und Intoleranz)