Konstanz als Zufluchtsort
Angesichts der explodierenden Flüchtlingszahlen war es nur konsequent, dass der Gemeinderat annähernd drei Stunden seiner Sitzung in der letzten Woche einer ausführlichen Aussprache zu diesem Thema widmete. Neben vielen gut gemeinten Vorschlägen und viel Lob für das überwältigende ehrenamtliche Engagement der BürgerInnen gab es aber auch erste noch recht zaghafte Vorschläge, wie sich die Stadt doch bitte aus der Verantwortung stehlen solle.
Niemand kann vorhersehen, welche Dimensionen die Flüchtlingskatastrophe noch annehmen wird, aber eins ist wohl klar: Weniger Flüchtlinge dürfte es auf absehbare Zeit nicht geben. Die Landesregierung hat deutlich gesteigerte Zuweisungen an die Landkreise und damit Kommunen angekündigt, und allein die Stadt Konstanz muss voraussichtlich rund 100 Flüchtlinge pro Monat neu aufnehmen, Tendenz vermutlich steigend. Diese Menschen müssen zuerst einmal für knapp zwei Jahre in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden, ehe sie und ihre nachzugsberechtigten Familienangehörigen dann in sogenannte Anschlussunterkünfte (wie sie in Egg und am Zergle im Gespräch sind), richtige Wohnungen also, umziehen können.
Oberbürgermeister Uli Burchardt sprach angesichts dieser Zahlen von einer Notsituation: Das Errichten der Gemeinschaftsunterkunft auf dem Transco-Gelände dauere etwa sechs Monate und schaffe gerade mal Platz für 100 Menschen, so viele also, wie monatlich erwartet werden. Außerdem fielen diese Gemeinschaftsunterkünfte in die Zuständigkeit des Landkreises, die Stadt schlage lediglich Flächen vor und prüfe diese, ob der Landkreis sie dann kaufe oder pachte, das sei dessen Angelegenheit. Notfalls, auch daran habe er schon gedacht, müsse man eben ein Stück Stadtwald für ein neues Wohngebiet abholzen, denn dieses Gelände gehöre der Stadt.
Humanitäres Minimum ist Maximum
Kurzfristig jedenfalls, so der OB, könne man nicht mehr als ein humanitäres Minimum bieten: Ein Dach über dem Kopf, Heizung und Essen. Aber in spätestens zwei Jahren werde die Stadt dann richtig gefordert sein, denn dann stehe die Anschlussunterbringung an, und man rechne damit, dass die meisten Flüchtlinge bleiben werden und ihre Familie nachholen. Diese Anschlussunterbringung sei dann Sache der Stadt, und dabei gehe es nicht nur um eine Wohnung, sondern auch um Schulen, Arbeitsplätze und andere Infrastruktur, und das alles möglichst über die gesamte Stadt verteilt, um von vornherein jegliche Ghettobildung mit den bekannten sozialen Folgekosten zu vermeiden.
Die Verwaltung arbeite bereits bis weit über ihre Belastungsgrenze hinaus an dieser „klassischen Managementaufgabe“. Nach seinen Angaben ist Konstanz führend in Sachen Integration, jedenfalls gäben Flüchtlinge der Stadt in Umfragen gute Noten. Angesichts des Platzmangels und der Wohnungsnot in Konstanz versicherte der OB, dass Flüchtlinge nicht wichtiger als alle anderen seien, die bezahlbaren Wohnraum brauchen, und für wirtschaftlich Schwächere müsse viel geschehen, denn „viel Geld findet immer Platz“, wie er für alle, die es vergessen haben, noch mal eine Quintessenz unserer Marktwirtschaft zusammenfasste.
Hafner vorziehen?
Roger Tscheulin (CDU) meinte angesichts der Flüchtlingsströme, man müsse eine europäische Lösung finden, er zeigte sich angesichts der fehlenden Flächen zurecht sehr skeptisch, dass eine gleichmäßige Verteilung der Flüchtlinge über das Stadtgebiet überhaupt möglich sei. Er forderte, das im Rahmen des Handlungsprogramms Wohnen in zehn Jahren geplante Neubaugebiet am Hafner für mehr als 2000 Menschen zeitlich vorzuziehen und eine Roadmap dafür bis Jahresende vorzulegen.
Konstanz‘ besondere Lage
Darauf aber wollte sich der OB aber nicht einlassen, „den Hafner schaffen wir nicht schneller“. Ihm schwebt offenkundig eher ein anderer Verteilungsschlüssel innerhalb des Landkreises vor: Während Konstanz in Sachen Gemeinschaftsunterkünfte für die Erstunterbringung viel leisten könne, seien Gemeinden wie Stockach stärker darin, für die (endgültige) Anschlussunterbringung zu sorgen. Konstanz also als Drehscheibe, und wenn eines Tages die Flüchtlingszahlen nachlassen, sollen angesichts der Konstanzer Wohnungsnot dann andere Gemeinden des Landkreises zusehen, wie sie die Leute dauerhaft unterbringen.
Noch deutlicher sagte Wolfgang Müller-Fehrenbach (CDU), in welche Richtung das bürgerliche Lager in Zukunft marschieren will, um sich die Flüchtlinge halbwegs vom Leibe zu halten: Es sei falsch von der Landesregierung, die Städte gleich zu behandeln. Konstanz habe vielmehr, und das müsse man auch in Stuttgart deutlich machen, anders als andere Städte kein Umland, sondern nur See, Wald und Grenze um sich herum, und trage außerdem als Universitäts- und Wissenschaftsstadt eine ganz besondere Verantwortung. Das müsse bei der Zuweisung von Flüchtlingen berücksichtigt werden, denn aus diesen Gründen könne Konstanz leider nicht so viele Flüchtlinge aufnehmen wie Städte vergleichbarer Größe. Vöglein, ick hör‘ Dir trapsen, hier will sich ein bis in die Wolle gefärbter Christ aus lauterer Nächstenliebe aus der Verantwortung stehlen.
Die Wurzel des Übels
Ewald Weisschedel (FWK) konstatierte, dass jetzt endlich, wie das Herbert Weber von der SPD seit Jahren fordere, in den sozialen Wohnungsbau investiert werden müsse. Damit rannte er natürlich bei Anke Schwede (LLK) offene Türen ein. „Ich denke, wir sind uns einig in der Frage, dass Flüchtlinge nicht gegen Einheimische ausgespielt werden dürfen. Landrat Frank Hämmerle rechnet künftig mit nahezu 1000 Wohnungen, die für Familiennachzüge pro Jahr im Landkreis geschaffen werden müssen. Menschen mit geringem Einkommen dürfen nicht den Eindruck bekommen, plötzlich seien Gelder da, die ihnen seit langem vorenthalten wurden und werden. Bekanntermaßen haben wir nicht erst jetzt ein Problem mit dem Wohnungsbau, viele Menschen, die in Konstanz leben, finden schon seit längerem keinen bezahlbaren Wohnraum mehr, Normalverdienende werden ins Hinterland verdrängt. Deshalb ist es unbedingt erforderlich, dass endlich wieder ein sozialer Wohnungsbau stattfindet, der diesen Namen verdient hat. Im Handlungsprogramm Wohnen wurde unserer Meinung nach eine fatale Weichenstellung vorgenommen, die wir schon mehrfach kritisiert haben: Und zwar die Segmentverteilung von 1/6 der neuen Wohnungen im unteren, 3/6 im mittleren und 2/6 im oberen sogenannten Qualitätssegment. Umgekehrt wird ein Schuh daraus, die Verteilung muss 3 – 2 – 1 heißen, denn der vielbeschworene Sickereffekt wird unserer Meinung nach nicht eintreten.“
Außerdem forderte Anke Schwede einen Leerstandsmelder der Stadt und mehr Publizität für die E-Mail-Adresse Wohnraumvorschlag@konstanz.de, bei der BürgerInnen der Stadt leerstehenden Wohnraum melden können. Die Kritik am Wohnungsbau wollte Uli Burchardt allerdings nicht auf sich sitzen lassen: Nach seinen Angaben ist Konstanz in Baden-Württemberg die No. 1 beim sozialen Wohnungsbau, auch wenn’s noch lange nicht reiche.
Leerstand bekämpfen
Herbert Weber (SPD) seinerseits, so ganz und gar nicht altersmilde, forderte, in Stuttgart Druck zu machen, um von der Landesregierung (an der ja auch seine SPD beteiligt ist) zusätzliche Mittel zu bekommen und sie zu einem Umdenken zu veranlassen. Angesichts der leerstehenden Häuser in der Stadt und der Kriegsgewinnler, die jetzt versuchen, für Schrottimmobilien von der öffentlichen Hand Höchstpreise zu erpressen, packte ihn hörbar echter Urgrimm. In der Tat, ganze Häuser stehen seit Jahren leer, weil damit spekuliert wird oder ihre BesitzerInnen die Mieteinnahmen nicht nötig haben, während andererseits z.B. Familien mit Kindern ebenso händeringend wie vergeblich nach einer halbwegs angemessenen und bezahlbaren Wohnung suchen.
Wozu hat die Stadt eine Zweckentfremdungssatzung, in der es heißt „Zweckentfremdung liegt insbesondere vor, wenn der Wohnraum […] länger als 6 Monate leer steht“? Natürlich ist der Wohnraummangel keine Naturkatastrophe, sondern Ergebnis einer auch in Konstanz bewusst gestalteten Politik, die über Jahrzehnte auf den freien Markt gesetzt hat, der es – wie mittlerweile jede/r deutlich sehen kann – eben nicht richtet.
O. Pugliese