Konstanz-T-Shirts – des Kaisers neue Kleider

Es ist eine coole Idee der Marketing und Tourismus Konstanz GmbH (MTK): Blaue T-Shirts mit dem Aufdruck „Wir für Konstanz. Eine Stadt ein Team. Herzenssache“. Sie schweißen uns in diesen schweren Zeiten zusammen und ermöglichen dem gebeutelten Einzelhandel ein Zubrot. Aber was sind das eigentlich für T-Shirts, die für die Stadt mit dem Klimanotstand und dem tollen sozialen Klima werben? Wenn Sie weiterhin zwanghaft an das Gute in der Welt glauben wollen, lesen Sie besser nicht weiter.

Sie alle haben es getan: OB Uli Burchardt, Vorsitzender des Aufsichtsrates der MTK, MTK-Geschäftsführer Eric Thiel, Konzilwirt Manfred Hölzl, Wirtschaftsförderer Friedhelm Schaal, der Geschäftsführer von Sport Gruner Peter Kolb und einige andere: Sie haben sich im Internet in diesem T-Shirt gezeigt und dazu einige aufmunternde Sentenzen vor laufender Kamera abgegeben. Toll, wie sehr sie sich alle für unser Miteinander einsetzen und wie gut den meisten das neue T-Shirt steht.[1]

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Das ist eine wahrhaft tolle Aktion der Marketing und Tourismus Konstanz GmbH, die nach eigenen Angaben für die „Koordination, strategische Entwicklung, Vermarktung und Förderung der Stadt Konstanz nach innen und außen in den Bereichen Tourismus und Stadtmarketing“ zuständig ist, und hierbei insbesondere für „die Entwicklung und Stärkung eines einheitlichen Erscheinungsbildes (Corporate Design und Corporate Identity)“.[2]

Heiße Marketingluft

Was wäre in diesen beschissenen Zeiten denn näherliegend, als die Konzil- und Klimastadt als Stadt der sozialen Wärme zu präsentieren, in der man einfach zusammenhält, was auch immer kommt? Das ist natürlich eine unwiderstehliche Versuchung für alle, die sich an heißer Marketingluft so sehr berauschen können, dass unversehens der Poet aus ihnen hervorbricht. „Geliebte Heimat, spannendes Neuland, geschätztes Urlaubsziel: Konstanz zieht Einheimische und Entdecker gleichermaßen in seinen Bann. Die typisch badische Gastlichkeit und Herzlichkeit macht es leicht, sich zwischen Rhein, See und Alpen geborgen und zu Hause zu fühlen. Solidarische Verbundenheit und ein gemeinschaftliches Zusammenleben sind charakteristisch für die Konschtanzer Lebensart – und in dieser außergewöhnlichen Zeit besonders gefragt! Mit der neuen Kampagne ‚Wir für Konstanz – eine Stadt, ein Team‘ bekommt dieses starke Miteinander nun ein Gesicht. Im Fokus stehen dabei die neuen ‚Wir für Konstanz‘ T-Shirts. Für einen kleinen Betrag (Erwachsene 6 €, Kinder 5 €) erhältlich, kann mit diesen jeder Tag für Tag seine Solidarität mit der größten Stadt der Vierländerregion zeigen – von Ur-Konschtanzern über ‚Neigschmeckte‘ und Studenten bis hin zu Stammgästen.“[1]

Klassenkampf vertagt, wenn einfach alle in denselben blauen Klamotten rumlaufen und sich dabei ganz doll lieben? Offensichtlich haben die Konstanzer Marketingfritzen Mao gründlich missverstanden.

Was aber sind das für T-Shirts, die da für ein Konstanz werben, dessen Verwaltung medienwirksam als erste in der Republik den Klimanotstand ausgerufen hat und dessen OB „hochwertigen“ Tourismus anlocken will? Es stimmt zuerst einmal skeptisch, dass die MTK in ihrer Werbung nicht darauf eingeht, wo und wie diese T-Shirts produziert wurden und welche Zertifizierungen sie haben, denn ein glaubwürdiges Öko- und Sozialzertifikat lässt sich heutzutage von einer Premium-Destination wie der Konzilstadt, die sich eine ökologische Vorreiterrolle nachsagt, durchaus verlangen. Im Konstanzer Gemeinderat werden sämtliche Vorschläge auf ihre Klimafolgen hin bewertet – da wird die MTK ja auch …?

Oder?

Eins vorweg: Das Beste an diesen Fetzen ist noch, dass vermutlich kein Kinderblut rausfließt, wenn man sie kräftig auswringt, ansonsten … stehen sie entweder für Gedankenlosigkeit oder für Verlogenheit.

Woher kommt das Zeug?

Wir haben einige Recherchen angestellt, die mit einer Nachfrage bei der MTK begannen, die erfreulich schnell und umfassend Auskunft gab – vielen Dank für diese Mühewaltung. Die T-Shirts wurden demnach über „die Sport Gruner GmbH beschafft und gemeinsam mit anderen Händlern gesponsert. Der T-Shirt-Hersteller ist ‚Fruit of the Loom‘.
– Die T-Shirts sind WRAP zertifiziert, d.h. Kinderarbeit ist ausgeschlossen.
– Die Kleidungsstücke sind nach dem unabhängigen Oeko-Tex Standard 100 zertifiziert, d.h. sie enthalten keinerlei Substanzen, die für Menschen oder die Umwelt schädlich sind.
– Die T-Shirts bestehen aus 100% Baumwolle und werden in Marokko gefertigt. Der Großteil der Rohbaumwolle stammt aus den USA.“
Außerdem wurde auf Informationen zum Thema Nachhaltigkeit und Produktionsstandards des Produzenten im Internet verwiesen.[3]

Alles in Butter also, das legen auch die Informationen von ‚Fruit of the Loom‘ nahe. Aber was wurde da eigentlich zertifiziert? Die Bundesregierung, jeglicher ökorevolutionären Bestrebungen gänzlich unverdächtig, hat eine Website namens „Siegelklarheit“ initiiert, auf der solche Zertifizierungen bewertet werden.[4] Dort gibt es Siegel, die als sehr gute Wahl oder als gute Wahl bewertet werden. Das sind insgesamt nicht allzu viele, und die beiden Siegel des Konstanz-T-Shirts zählen nicht dazu.

Weder öko noch fair

Ein Blick in die Informationen der Siegelgeber zeigt ziemlich schnell, worum es geht: „Ist ein textiler Artikel mit dem Standard 100 Label ausgezeichnet, können Sie sich darauf verlassen, dass alle Bestandteile dieses Artikels, d.h. auch alle Fäden, Knöpfe und sonstige Accessoires, auf Schadstoffe geprüft wurden und der Artikel somit humanökologisch unbedenklich ist.“[9]

Glauben wir Oeko-Tex einfach mal und fragen uns, was in diesem Text nicht erwähnt wird: Das Endprodukt ist zwar nicht giftig, aber wie die Rohstoffe dafür angebaut und die Textilien produziert wurden, interessiert dieses Label nicht. Das Label kann auch an einem T-Shirt hängen, bei dessen Entstehung durch künstliche Bewässerung pestizidverseuchtes Grundwasser auf die Felder gebracht wird, Bauern wegen des Pestizideinsatzes Lungenkrankheiten entwickeln, die Färberei ihre Abwässer in Flüssen entsorgt, statt sie aufzubereiten, und Näherinnen gefährlichen Substanzen ausgesetzt werden. Entscheidend ist einzig und allein, dass das Endprodukt bestimmte Grenzwerte nicht überschreitet.

Es können also ganze Regionen und ihre Bewohner mit Pestiziden, Herbiziden oder Düngemitteln vergiftet werden, die letzten Primärwälder können gerodet und der letzte Orang-Utan zur Fußmatte verarbeitet werden – all das interessiert dieses Siegel nicht. Hauptsache, Sie als Endverbraucher kriegen keine Pickel, wenn sie sich mit dem Label und dem anhängenden T-Shirt den Allerwertesten reinigen.

Wie sieht es mit dem anderen Zertifikat WRAP aus, das Kinderarbeit ausschließen soll? Worldwide Responsible Accredited Production (WRAP) sagt aus, dass sich das produzierende Unternehmen an die gesetzlichen Vorgaben seines eigenen Landes hält. Erstaunlich, dass so etwas eigens betont werden muss, denn es ist ja eigentlich eine Selbstverständlichkeit, dass sich sogar Unternehmen den Gesetzen beugen, die nur zu oft von ihren eigenen Lobbyisten formuliert wurden.

Siegelklarheit.de notiert: „WRAP stellt vor allem die Einhaltung der nationalen Gesetze sicher. Das Siegel lässt sich deswegen nicht mit Umwelt- und Sozialsiegeln vergleichen, die über die Gesetzgebung hinausgehen. WRAP ist außerdem eine Fabrikzertifizierung und nicht am Endprodukt sichtbar.“[6] WRAP zertifiziert also keine Produkte, sondern Produktionsstätten. Das heißt, dass nicht das T-Shirt selbst WRAP-zertifiziert ist, sondern höchstens die Näherei. Und dabei stellt sich die Frage, ob WRAP alle Produktionsschritte umfasst oder eben nur die Näherei. Wie geht es in der Färberei zu? Wie in der Spinnerei? Der Strickerei?

Dieses Zertifikat hat also nichts mit fairem Handel, menschenwürdigen Arbeitsbedingungen oder einer Bezahlung über dem oft lächerlichen Mindesthungerlohn zu tun. Aber immerhin, in Marokko ist Kinderarbeit laut Gesetz verboten, auch wenn es mit der Durchsetzung dieses Verbotes offenkundig noch hapert, und US-Baumwolle ist der Kinderarbeit eher unverdächtig.[8]

Das Produktionsland Marokko hat sich übrigens vor allem deshalb zu einem bei europäischen Textilproduzenten beliebten Standort entwickelt, weil dort niedrigere Löhne als in China bezahlt werden und weil es nahe bei Europa liegt, so dass sich neue Produkte in Tagen auf den europäischen Markt bringen lassen, da sie nicht erst wochenlang auf dem Schiff aus China herbeigeschafft werden müssen.[7] Billig und schnell, so lieben es die Auftraggeber in den reichen Ländern.

Fazit

Diese Konstanz-T-Shirts wurden also keinesfalls nachhaltig, sozial und ökologisch oder gar ressourcen- und klimaschonend produziert. Sie werben nicht für die klimabewusste Stadt Konstanz, sondern sind Produkte, die möglichst billig produziert wurden, koste es, wen oder was es wolle – Ökologie egal, soziale Bedingungen weitgehend egal, Klima erst recht scheißegal. Der Einkaufspreis für ein blaues T-Shirt dieser Marke ohne den Konstanz-Aufdruck dürfte bei etwa 1,63 Euro liegen. Angesichts der hehren Ziele, die Konstanz unter anderem mit dem Klimanotstand angeblich oder tatsächlich verfolgt, sind diese Dinger die reinste Antiwerbung.

Die MTK kann beim besten Marketingwillen kaum behaupten, das habe sie nicht gewusst, denn das lässt sich in einer Stunde im Internet recherchieren – und natürlich achtet ja gerade das feinfühlige Marketing für die Klimastadt Konstanz immer ganz genau auch auf den eigenen ökologischen Fußabdruck – oder?

Was lässt sich Ihnen also empfehlen, wenn Sie in gutem Glauben ein solches T-Shirt erworben haben? Tragen Sie’s zur MTK und verlangen Sie (vermutlich vergeblich) Ihr Geld zurück. Und was lässt sich Uli Burchardt und den anderen schmucken Models empfehlen, die sich in diesem Shirt ablichten ließen? Sie sollten es wohl besser ausziehen und sich statt dessen im härenen Büßerhemd zeigen.

O. Pugliese (Bild: Marketing und Tourismus Konstanz GmbH)

Anmerkungen
[1] https://www.konstanz-tourismus.de/wirfuerkonstanz.html
[2] https://www.service-bw.de/organisationseinheit/-/sbw-oe/Marketing+und+Tourismus+Konstanz+GmbH+Stadt+Konstanz-6020093-organisationseinheit-0#sb-id-toc-basisInfos
[3] https://www.fruitoftheloom.eu/nachhaltigkeit/?lang=de
[4] https://www.siegelklarheit.de/
[5] https://www.oeko-tex.com/de/unsere-standards/standard-100-by-oeko-tex
[6] https://www.siegelklarheit.de/14-worldwide-responsible-accredited-production-wrap
[7] https://www.lunajournal.biz/de/marokko-ist-ein-starker-und-wichtiger-standort-fuer-die-textilbranche/; https://textile-network.de/de/Fashion/Trends/Maroc-in-Mode-Maroc-Sourcing2; https://www.derwesten.de/wirtschaft/deutsche-textilfirmen-entdecken-made-in-marokko-id6720629.html; https://fashionunited.de/nachrichten/business/so-will-marokko-als-produktionsland-wachsen/2017110623322
[8] Die Kinderarbeit in Marokko scheint im Lauf der Jahre immerhin nachgelassen zu haben. Nach offiziösen Angaben arbeiteten dort jüngst noch ca. 250.000 Kinder. https://www.lesinfos.ma/article/785228-Travail-des-mineurs-au-Maroc-162000-enfants-exercent-un-emploi-dangereux.html; https://www.humanium.org/de/marokko-und-westsahara/; https://www.hrw.org/de/news/2012/11/15/marokko-missbrauch-von-minderjahrigen-hausangestellten
[9] https://www.oeko-tex.com/de/unsere-standards/standard-100-by-oeko-tex