Konstanz verabschiedet sich vom 1,5-Grad-Ziel

Draußen demonstrierten KlimaaktivistInnen, drinnen redeten LokalpolitikerInnen sich die Köpfe heiß. Die Frage, welche praktischen Konsequenzen der vor etwas mehr als einem Jahr ausgerufene Klimanotstand für die Stadtpolitik haben muss, spaltete am vergangenen Donnerstag den Konstanzer Gemeinderat. Mit der knappstmöglichen Mehrheit von 20 zu 21 setzte sich im Bodenseeforum am Ende das Lager der BremserInnen durch. Zünglein an der Waage: Oberbürgermeister Uli Burchardt.

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Anderthalb Tage hatten jugendliche FfF-AktivistInnen vor dem Bodenseeforum ausgeharrt, symbolischer Hinweis auf die 1,5-Grad-Grenze, deren Überschreiten nach Meinung der überwiegenden Mehrheit der KlimaexpertInnen unbedingt vermieden werden muss, um nicht unumkehrbare Klimaeffekte zu risikeren, die in eine zivilisationsbedrohende Heißzeit münden würden. Während der Sitzung blockierten dann KlimaschützerInnen von Extinction Rebellion gar kurzzeitig eine Fahrbahn der vor dem Bofo verlaufenden Reichenaustraße.

Die Aktionen sollten einem von Fridays for Future initiierten Antrag Rückenwind verschaffen, mehr als ein Jahr nach der Ausrufung des Klimanotstands beim Klimaschutz endlich auf die Tube zu drücken. Sie wurden bitter enttäuscht: Gegen den von einem Fraktionsdreigestirn aus FGL, JFK und LLK eingebrachten Antrag, Konstanz bis 2030 klimapositiv zu machen, stimmten die RätInnen von CDU, SPD, FW, FDP und das Stadtoberhaupt. Sie folgten dem alternativ von der Verwaltung eingebrachten Vorschlag, stattdessen vom Institut für Energie- und Klimaforschung (ifeu) in Heidelberg erst einmal untersuchen zu lassen, wie Konstanz bis 2035 klimaneutral werden kann. In einem Jahr soll sich der Gemeinderat dann noch einmal mit der Frage befassen, ob selbst dieses um fünf Jahre nach hinten verschobene Ziel erreichbar ist.

Vergeblich damit der eindringliche Appell, den zuvor eine Vertreterin von Fridays for Future an die StadträtInnen gerichtet hatte:

„Wir müssen hier und heute anfangen“

Sehr geehrte Gemeinderätinnen, sehr geehrte Gemeinderäte, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

mein Name ist Frida und ich bin 16 Jahre alt. Ich spreche heute hier als Vertreterin von Fridays for Future, als Vertreterin einer Generation, deren Zukunft in großer Gefahr ist.

Als junger Mensch bekommt man ständig gesagt, einem stünden alle Türen offen, man hätte unendlich viele Möglichkeiten und die ganze Zukunft liege vor einem. Ich habe dieses Jahr meinen Schulabschluss gemacht. Wenn ihre und die Generation meiner Eltern von dieser Zeit erzählen, reden Sie von einer Zeit der großen Träume, Ideen und Möglichkeiten. Von Leichtigkeit und durchtanzten Nächten. Auch ich hatte solche Träume für meine Zukunft. Ich wollte eine Familie gründen und Kinder bekommen. Doch wenn ich mir anschaue, was die Wissenschaft für die nächsten Jahrzehnte prognostiziert, ist der Traum einer Familie schon jetzt zerplatzt und dabei bin ich gerade erst 16. Es stimmt zwar immer noch, dass meine Zukunft noch vor mir liegt, aber sie ist nichts Verheißungsvolles mehr, sondern etwas das mir Angst macht.

Schaut man sich die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Klimakrise an, ist das eine sehr gut begründete Angst. Eine Zukunft in der Heißzeit, liegt vor uns, eine Zukunft in der es riesige Hungersnöte, Trinkwassermangel und Naturkatastrophen geben wird. Die Menschen werden sich bekriegen und es wird große Flüchtlingsströme geben. Was nach einem gruseligen Weltuntergangsfilm klingt, ist leider die allgemeine Prognose der Wissenschaft: selbst wenn die Nationen ihre in Paris vereinbarten Reduktionsziele einhalten, werden bis zum Jahr 2050 allein durch den steigenden Meeresspiegel rund 300 Millionen Menschen ihre Heimat verlieren und bis zum Jahr 2070 wird es über drei Milliarden Klimaflüchtlinge geben. Das sind mehr als 1000mal so viele Menschen, wie ab 2015 nach Europa kamen. Eine Heißzeit würde wahrscheinlich mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung töten.

Und es würde eine Erderhitzung um etwa 4 Grad bedeuten. Dann wäre ein Streifen tausend Kilometer nördlich und südlich des Äquators, also bis hinauf nach Spanien und Italien, vor Hitze unbewohnbar.

Doch ich kann sie beruhigen: Der auch von der Verwaltung gern zitierte, renommierte Klimawissenschaftler Stefan Rahmstorf meint nämlich, dass es wahrscheinlich gar nicht so weit kommen wird. Ich zitiere: „Viele Kollegen, die ich kenne, glauben, dass wir sowieso niemals auf 4 Grad Erwärmung kommen würden, weil uns vorher die Wirtschaft zusammenbricht und die Welt in Konflikten versinken würde. Dass es nicht dazu kommt das liegt jetzt in unserer Hand. Wir sind die letzte Generation, die das noch verhindern kann.“ Zitatende.

Und deshalb stehe ich heute hier, weil eben noch nicht alles zu spät ist! Weil wir und vor allem Sie hier und heute die Welt verändern können! Damit wir eine Zukunft haben, dürfen wir die 1,5 Grad Grenze nicht überschreiten. Denn sonst steigt das Risiko, dass das Klima durch verschiedene Rückkopplungen unumkehrbar in eine solche Heißzeit rutscht. Diese Heißzeit würde vom Menschen nicht mehr zu kontrollieren sein. Fallende Kipppunkte wie zum Beispiel das Tauen der Permafrostböden würden die Erde immer weiter aufheizen. Eine Heißzeit würde das Ende unserer Zivilisation bedeuten.

Und zu denken wir könnten es uns erlauben, die überlebenswichtige 1,5 Grad Grenze zu überschreiten und es würde schon nicht so schlimm werden, ist kein Optimismus sondern gefährliche Ignoranz. Und das ist nicht meine Meinung, sondern wissenschaftlicher Konsens.

Das bedeutet für Konstanz, dass wir bis spätestens 2030 klimapositiv werden müssen.

Wenn der Permafrost auftauen sollte, und das tut er bereits jetzt schon, muss die ganze Welt bis 2030 klimaneutral sein, um mit nur einer 2/3 Wahrscheinlichkeit die überlebenswichtige 1,5 Grad Grenze einhalten zu können. Das sagt der Sonderbericht des Weltklimarats von 2018.

Die Lage ist also dramatisch und die Zeit die uns noch zum Handeln bleibt, wird immer knapper! Das haben Sie vor einem Jahr anerkannt. Vor einem Jahr haben Sie einstimmig beschlossen, dass die Eindämmung der Klimakatastrophe höchste Priorität für die Stadt Konstanz ist und Sie haben anerkannt, dass die die aktuellen Klimaschutzbemühungen in Konstanz nicht ausreichen um die Erderwärmung unter 1,5 Grad zu begrenzen. Sie haben anerkannt, dass wir gerade meine und unsere Zukunft zerstören und haben anerkannt, dass jetzt schnell gehandelt werden muss. Sie haben sich dazu verpflichtet, dass Konstanz seinen Beitrag zur Einhaltung der 1,5 Grad Grenze leistet. Und um dies endlich umzusetzen und es nicht nur bei Symbolpolitik zu belassen, muss Konstanz, wie gerade erläutert, bis spätestens 2030 klimapositiv sein! Und das ist keine maximal Forderung, sondern eine wissenschaftliche Notwendigkeit!

Und es ist toll, dass erste Maßnahmen ergriffen wurden, doch leider und das wissen sie genauso gut wie ich, reichen diese absolut nicht aus, um Konstanz auf den Kurs zur Klimaneutralität zu lenken! Wir wissen alle, dass die Rahmenbedingungen dazu gerade noch nicht in allen Bereichen gegeben sind. Doch das ist keine Entschuldigung dafür, sich von unserer Zukunft zu verabschieden und den Verlust so vieler Menschenleben in Kauf zu nehmen. Der einzig moralisch vertretbare Beschluss kann doch sein, alles zu tun was WIR können und gleichzeitig alle Anstrengungen zu unternehmen damit sich die Rahmenbedingungen ändern! Auch wir hier in Konstanz trägen Verantwortung, ganz besonders als erste Klimanotstandsstadt. Wir wohnen in einer wunderschönen, reichen und aufgeklärten Stadt. Eine Stadt die vorangehen kann. Wir können der Kipppunkt sein, der die Stimmung in Deutschland verändert. Vor einem Jahr haben Sie es schon mal geschafft, dass die Welt auf Konstanz geschaut hat. Dass selbst die Europäische Kommission Konstanz als Vorbild für ihre Entscheidungen genommen hat.

Zusammen mit Tübingen, Heidelberg, Marburg, Münster und anderen Städten die sich dieses Ziel schon gesetzt haben, kann Konstanz, können wir, der Kipppunkt sein, der die Stimmung in Deutschland verändert. Wenn Kommunen anfangen auf die Wissenschaft zu hören und sich zusammen tun wird auch bald die Bundesebene nachziehen. Ihr könnt heute dieser fehlende Dominostein sein, der die Welt verändert.

Wir brauchen nicht ein Jahr auf eine weitere Studie zu warten. Studien sind toll und wichtig und die Zusammenarbeit mit Wissenschaftler*innen auch. Aber es darf kein Vorwand sein, die Zielsetzung „2030 klimapositiv“ um ein weiteres Jahr zu verschieben. Wir müssen hier und heute anfangen, denn wir haben nur noch 10 Jahre. Und die ersten Schritte dieses Ziel zu erreichen sind durch die anderen mutigen Vorreiter-Kommunen auch hinreichend bekannt. Besonders schwierig werden die letzten Schritte, kurz vor 2030 sein, nicht die ersten. Wir müssen der Bundesregierung signalisieren, dass die Kommunen bereit sind Verantwortung zu übernehmen und sich 1,5 Grad konforme Klimaziele setzen. Wenn wir Teil einer Welle von Vorreiter Kommunen sind können wir einen Unterschied machen und wie letztes Jahr beim Klimanotstand andere zum Handeln inspirieren! Weiter zu warten wäre unverantwortlich und dem Anspruch unserer Stadt nicht würdig! In meinem Zimmer hängt ein sehr schönes Zitat von Vaclav Havel: „Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn macht, egal wie es ausgeht“. Daher bitte ich Sie inständig, stimmen sie heute für ein klimapositives Konstanz 2030 und geben Sie uns jungen Menschen Hoffnung!

MM/red (Foto: Fridays for Future Konstanz, Stephan Schulz)