Konstanz: Wo der Blutzoll entrichtet wird
Die Mitteilungen des Statistischen Bundesamtes mögen manchen als knochentrockene Hirnfürze erscheinen – in Wahrheit aber werfen sie höchst raffinierte Schlaglichter in das finstere Dickicht der Wirklichkeit. Es gibt etwa einen Atlas der Verkehrsunfälle, der auch für Konstanz zeigt, wo es am häufigsten knallt, wie sich die Zahlen über die Jahre entwickelt haben – und welche Straßen vom Blut der Verletzten nur so triefen. Auch die Frage, wer Täter ist und wer Opfer, beantwortet die Statistik.
Nichts ist so spannend wie die Wirklichkeit, außer vielleicht James Ellroy. Da wir uns Ellroy als Autor aber leider nicht leisten können, müssen wir Sie gerade im Sommerloch mit den Erkenntnissen des Statistischen Bundesamtes bespaßen, das heute als Destatis firmiert. Aber der Spaß kommt schnell, denn manche dieser Statistiken sind richtig spannend und sagen so einiges über das Leben auch in Konstanz aus.
Wo es kracht
Zuerst einmal ist überraschend, wie viele Unfälle auf Konstanzer Gebiet es in den Unfallatlas geschafft haben, in dem Zahlen der Jahre 2016 bis 2019 auf einer Karte dargestellt werden. Zu beachten ist, dass im Atlas nur Unfälle mit Personenschaden zu finden sind, sofern sie von der Polizei erfasst wurden. Reine Sachschäden (diese machen ca. 90 Prozent der Unfälle aus) sowie Unfälle, zu denen die Polizei nicht gerufen wurde, fehlen dort.
Wirklich überraschend ist es natürlich nicht, dass die Unfallzahlen auf den befahreneren Straßen höher sind als in ruhigen Wohngebieten. Daher gibt es gehäuft Unfälle mit PKW-Beteiligung etwa in einzelnen Abschnitten der Mainaustraße, auf Teilstrecken nach Wollmatingen und auf der Europastraße. Aber auch in der Max-Stromeyer-Straße in Höhe des Südkuriers werden besonders viele Beulen und Blessuren verzeichnet.
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Die Gesamtzahl der erfassten Unfälle mit Fußgängerbeteiligung ist so gering, dass es keinen Sinn hat, nach Unfallschwerpunkten zu suchen. In Sachen RadfahrerInnen allerdings hält der Atlas einige dicke Überraschungen bereit: Ein Unfallschwerpunkt ist die Hafenstraße zwischen Lago-Brücke und Bahnbrücke, wo es im letzten Jahr fünf PedaleurInnen erwischte: Das Resultat waren vier Leicht- und ein Schwerverletzter. Ein weiterer Hotspot für Fahrradunfälle ist – wen wundert’s? – die Schottenstraße am Humboldt. Gerade am Humboldt und in Richtung Fahrradbrücke ist die Fahrradstraße zu eng und unübersichtlich – und der komische Pseudokreisel an der Radbrücke stellt eine fast unwiderstehliche Einladung zu einer Probefahrt ins Paradies dar. Dieser Kreisel ist zwar rund, aber die Beschilderung ist nicht die eines Kreisverkehrs, sondern zeigt nur die vorgeschriebene Fahrtrichtung an, weshalb niemand weiß, wie er sich dort verhalten soll. Ähnlich mit Radunfällen geschlagen ist in dieser Region laut Atlas eigentlich nur noch die Töbelestraße in Meersburg.
Überraschend ist, dass sich die Lage an der Konzilstraße zwischen Hofhalde und Brückengasse in den letzten Jahren entspannt zu haben scheint. Gab es 2016 dort noch rund sieben Unfälle mit Radbeteiligung, bei denen in zwei Fällen sogar Schwerverletzte zu beklagen waren, so gingen die Zahlen kontinuierlich zurück: 2019 waren es nur noch zwei Unfälle. Vermutlich nehmen viele RadlerInnen inzwischen einen Umweg in Kauf, um sich diese Todesrallye zu ersparen.
Mehr und alt
Auffällig ist auch, dass im letzten Jahr bundesweit jeder siebte Verkehrstote mit dem Fahrrad unterwegs war. Es starben „445 Radfahrerinnen und -fahrer bei einem Unfall, darunter fuhren 118 ein Pedelec (auch Elektrofahrrad genannt). Die Zahl der getöteten Radfahrenden ist gegenüber 2010 um 16,8 % gestiegen. Dies ist eine Entwicklung gegen den Trend: Die Zahl der Verkehrstoten insgesamt lag im Jahr 2019 um 16,5 % niedriger als 2010. Unter den tödlich verletzten Fahrradfahrerinnen und -fahrern war 2019 mehr als die Hälfte (53,8%) 65 Jahre oder älter, bei Elektrofahrrädern lag der entsprechende Anteil der Seniorinnen und Senioren sogar bei 72,0%.“
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Corona rettet Leben
Dass von bundesweit rund 300.000 Unfällen mit Personenschaden im Jahr 2019 rund 200.000 von AutofahrerInnen hauptverursacht wurden, wundert angesichts der alltäglichen Kriegsersatzhandlungen hinter den Lenkrädern und an den Schaltknüppeln der Macht über Leben und Tod nicht. Zumindest bundesweit hat aber ausgerechnet Corona jüngst einige Menschenleben (und vermutlich auch massenhaft Tiere) gerettet: „In den ersten sechs Monaten des Jahres sind in Deutschland 1.281 Menschen bei Straßenverkehrsunfällen ums Leben gekommen. Nach vorläufigen Ergebnissen des Statistischen Bundesamtes waren das 195 Personen oder 13,2 % weniger als im 1. Halbjahr 2019. Die Zahl der Verletzten ging um 18,7 % auf knapp 148.100 Personen zurück. Noch nie seit der deutschen Vereinigung im Jahr 1990 wurden von Januar bis Juni weniger Menschen bei Verkehrsunfällen getötet oder verletzt.“
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Auffällig ist allerdings die regionale Verteilung der Todesopfer: „Das größte Risiko, tödlich zu verunglücken, bestand in Brandenburg mit 27 Verkehrstoten je 1 Million Einwohnerinnen und Einwohner, gefolgt von Sachsen-Anhalt mit 24, Niedersachsen und Schleswig-Holstein mit jeweils 22 Verkehrstoten.“ Zum Vergleich: In Baden-Württemberg sind es 13. Sollten sich diese geographischen Unterschiede auf unterschiedliche Verzehrgewohnheiten zurückführen lassen? Im Norden die todessehnsüchtigen Schnapssäufer, im Süden die lebensfrohen Vierteleschlotzer?
Die VerursacherInnen
Auf die heiß diskutierte Frage, wer denn wohl an den schweren Unfällen die Schuld trage, Autorabauken, Fahrradchaoten oder Fußgängerterroristen, hat die Statistik eine klare Antwort: „Waren Autofahrerinnen oder -fahrer an einem Radunfall mit Personenschaden beteiligt, trugen die Radfahrenden nur in 23,4 % der Fälle die Hauptschuld. Bei Radunfällen mit Güterkraftfahrzeugen lag der Anteil noch darunter: Nur zu 18,8 % wurde die Hauptschuld bei der Radlerin oder dem Radler gesehen. Bei Unfällen mit Fußgängerinnen und Fußgängern wurde dagegen der Person auf dem Fahrrad häufig (59,5%) die Hauptschuld angelastet. Auch Kollisionen mit Krafträdern wurden überwiegend von Radfahrinnen und -fahrern verschuldet (51,7%).“
Das wäre also ein für allemal geklärt. Und jetzt ab auf die Straße mit Ihnen, denn nach dem aufgrund von Corona schwachen ersten Halbjahr gilt es nun, etwas für die Unfallstatistik zu tun.
Text: O. Pugliese, Bilder: Aus den Quellen
Quellen
https://unfallatlas.statistikportal.de/
https://service.destatis.de/DE/verkehrsunfallkalender/
https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/08/PD20_320_46241.html
https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Verkehrsunfaelle/Publikationen/Downloads-Verkehrsunfaelle/unfaelle-zweirad-5462408197004.pdf?__blob=publicationFile
https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Verkehrsunfaelle/Tabellen/hauptverursacher-fahrzeugart.html
https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Verkehrsunfaelle/Tabellen/verletzte-alter.html
Wenn ein Lieferwagen halten/ausladen/wasauchimmer will fährt/parkt er auch Radweg/Gehweg. Ganz selbstverständlich.
Radler/Fussgänger müssen selbstverständlich ausweichen.
Wenn Parkplätze voll sind verlassen Automobile selbstverständlich die Straße und walzen Wiesen/Randstreifen nieder um dort zu parken.
Alle haben dies bis ins Blut verinnerlicht: Nichts darf den Autoverkehr aufhalten!
Was wir brauchen, ist eine radikal neues Verkehrsrecht: Das Automobil ist strikt auf Straßen beschränkt, verlassen ebendieser ist nur auf Privatgrund erlaubt.
Das Überfahren von Radwegen/Bürgersteigen sollte nicht mehr erlaubt sein außer auf dediziert gekenzeichneten Wegen zu Parkplätzen/Hinterhöfen/Einfahrten.
Radwege/Bürgersteige sind tabu.
Wo das verkehrstechnisch nicht möglich ist, muss das Auto komplett ausgesperrt werden. zB in ganz Konstanz und Singen.
Zu radikal? Ich empfehle ein paar Städtereisen in Europa….
Interessant wäre hier sicher auch den oder die Standorte der Radarkästen über diese Karte darüber zu legen.
Ich denke dann würde endlich auch der einfältigste Sicherheitsoffizier merken dass es um Abzocke und nicht um Verkehrssicherheit geht.
Sondern viel mehr wo kann mit geringstem Aufwand am meisten abkassiert werden.
Ich habe selbst einmal bei einer Geschwindigkeitskontrolle an der Grenzbachstrasse die Beamten darauf hingewiesen dass diese Messung (und damit auch das Bussgeld) an der Europastrasse zwischen der Kreuzung Grenzbachstrasse und Brückenkopf an der Gartenstrasse am besten von der Fahrrad- Fussgängerbrücke viel mehr von den PS Protzer und Rennfahrer erwischen würde und damit einträglicher wäre.
Leider blieb bis jetzt mein Anliegen (Nachtruhe) ungehöhrt.
Wenn die Radarmessung 300m vom Humboldt an der Laube und an der Gartenstrasse zur Sicherheit der Schüler dienen sollen, dann sind diese sicher am falschen Platz.
@ Joachim Kohler
Das ist die bittere Erkenntnis! Wenn dem Stärkeren die Privilegien (Vorfahrt) gelassen wird, wird der Schwächere seltener verletzt.
D.h. hier steht Sicherheit, die für die Polizei und die Verkehrsbehörde nachvollziehbar immer Vorrang hat, Radverkehrsförderung und einer Verkehrswende entgegen.
Wir werden die selbe Diskussion bei der Verlängerung der Radstraße in die Schützenstraße haben, bei der Frage, wer Vorrang in der Gottlieberstraße hat. In der jedoch deutlich weniger Busverkehr ist.
Eigentlich hätte ich vermutet, dass die Schottenstrasse eher an der Kreuzung Gartenstrasse zu Problemen führt, denn dort ist die Fahrradstrasse zu Ende und die Autos aus der Gartenstrasse haben Vorfahrt.
@ O. Pugliese – Da kommen wir in den Bereich der Definition von Unfallfolgen. Immerhin scheint es, dass sich die Wertung bezüglich Unfalltod in der Statistik entwickelt hat. Danke für den Hinweis.
@Peter Groß, das ist falsch. Für die Statistik gilt: „Verkehrstote (Getötete) sind Personen, die innerhalb von 30 Tagen an den Unfallfolgen starben.“
Die Fragestellung ließe sich erweitern, als Verkehrsunfalltote(r) gilt statistisch wohl nur, wer direkt am Unfallort stirbt. Im Rettungshubschrauber gilt das schon nicht mehr, wenn der in der Luft ist, im Rettungswagen, wenn der abgefahren ist oder im Krankenhaus wenn der Mensch auf dem OP-Tisch liegt oder später in Folge einer intensivmedizinischen Behandlung stirbt. Aus Corona bedingter künstlicher Beatmung, erfuhr man viel, welche Folgen diese hat.
Was fehlt ist auch ein Anhang über Schwer- und Schwerstverletzte, die sich erst nach vielen Nachoperationen und Therapien ins Leben zurückkämpfen, mit schwersten Behinderungen. Die bei jedem Eingriff von Krankenhauskeimen (MRSA) bedroht oder gar betroffen sind. Als Verkehrstote werden auch nicht die Menschen gezählt, denen Lärm und Abgas den Tod bringen. Überlaute Motorräder, PKW und Lastagen haben da einen besonderen Anteil als ArbeitgerInnen für die Bestattungsindustrie.