Konstanzer Abgeordnete für mehr Klimaschäden
Am vergangenen Donnerstag haben alle drei Konstanzer Bundestagsabgeordneten für mehr CO2-Emissionen, für Privatisierungen und gegen die öffentliche Daseinsvorsorge votiert. Bei der Abstimmung über das EU-Kanada-Handelsabkommen CETA stimmten Andreas Jung (CDU), Ann-Veruschka Jurisch (FDP) und Lina Seitzl (SPD) auch für einen Abbau demokratischer Rechte.
Das Ergebnis war abzusehen – und doch überrascht die Deutlichkeit: Mit 558 zu 110 Stimmen entschied sich der Bundestag für eine Ratifizierung des seit Jahren umstrittenen Comprehensive Economic Trade Agreement (CETA) zwischen der EU und Kanada. Für den Vertrag votierten sämtliche anwesenden Abgeordneten von SPD, FDP, CDU und CSU – und damit auch die drei Konstanzer MdBs Jung, Jurisch und Seitzl. Die grünen Abgeordneten unterstützten in der namentlichen Abstimmung ebenfalls den Deal; nur drei MdBs von Bündnis 90/Die Grünen – Karl Bär und Deborah Düring (bei Bayern) sowie Canan Bayram (Berlin) – blieben ihren Grundsätzen treu und lehnten das Abkommen ab. Aus dem grün regierten Baden-Württemberg fand niemand den Mut, der Parteispitze zu widersprechen und wie die Abgeordneten der Partei DieLinke CETA abzulehnen.
Einsatz für das große Geld
Dank des Abstimmungsergebnisses weiß man nun, wofür die Konstanzer Abgeordneten stehen. Sie votierten unter anderem
– gegen das Vorsorgeprinzip im Gesundheitswesen: Bisher sind in Europa Medikamente und Chemikalien verboten, wenn Gesundheitsrisiken nicht klar ausgeschlossen sind; in Kanada gilt dieser Grundsatz nicht. Mit CETA droht das Prinzip außer Kraft gesetzt zu werden.
– Für ein Sonderklagerecht der internationalen Konzerne, denn mit CETA können kanadische und US-amerikanische Großbetriebe Staaten vor demokratisch nicht legitimierten Schiedsgerichten auf entgangene Profite verklagen, wenn diese Maßnahmen etwa zum Schutz des Klimas oder Lohnabhängigen ergreifen.
– Für den Schutz von Investitionen beispielsweise in fossiler Energie: Sollten sich Deutschland oder andere EU-Staaten einmal für einen Erdgasausstieg entscheiden, könnte etwa der US-amerikanische Energiekonzern ExxonMobile mit kanadischen Niederlassungen die Staaten auf Schadenersatz in Milliardenhöhe verklagen. Und wer bezahlt das?
– Für weitere Privatisierungen, denn CETA sieht den Verkauf öffentlicher Einrichtungen und Betriebe vor, darunter im Gesundheits- und Bildungsbereich. Vor allem aber verbietet CETA eine Wiedervergesellschaftung von privatisierten Unternehmen – und zwar auch dann, wenn diese (wie die Berliner Wasserbetriebe) grandios gescheitert sind.
– Gegen mehr Klimaschutz. Im CETA-Abkommen fehlen konkrete Maßnanen oder Zielvorgaben, um bespielsweise handelsbezogene Emissionen zu reduzieren oder den Handel mit klimafreundlichen Gütern auszubauen. Zur Erinnerung: Vor allem in der kanadischen Provinz Alberta hat der emissionsreiche Ölschieferabbau inzwischen eine Fläche von der Größe Englands erreicht. Dank CETA nimmt der Export von kanadischem Rohöl in die EU noch weiter zu.
– Für einen Abbau demokratischer Kontrolle. Das viele Jahre hinter verschlossenen Türen verhandelte CETA ist ein sogenannt „lebendes Abkommen“. Das heißt, es wird kontinuierlich weiterentwickelt – aber an den Parlamenten der EU-Staaten vorbei. Für die Anpassung sind CETA-Ausschüsse zuständig, die geheim tagen und auf die Konzernlobbys einen großen Einfluss haben.
Dazu kommt, dass Jung, Jurisch, Seitzl und alle baden-württembergischen Abgeordneten der Grünen ihre Voten für einen noch unfertigen Deal abgaben: Die Ampelkoalition hatte ursprünglich ihre Zustimmung von einer Interpretationserklärung zwischen der EU und Kanada abhängig gemacht, die den Investitionsschutz zugunsten der Konzerne eingrenzen, eine „missbräuchliche Anwendung“ verhindern und Klagen gegen Klimaschutz blockieren sollte. Einmal abgesehen davon, dass dies rechtlich kaum möglich ist: Am Donnerstag lag eine solche Erklärung noch gar nicht vor.
Ausgang weiterhin offen
Am Tag der Abstimmung protestierten Vertreter:innen all jener Bündnisse und Organisationen vor dem Bundestag, die sich seit langem der CETA-Ratifizierung widersetzen. Darunter waren Greenpeace, attac, foodwatch, Netzwerk Gerechter Welthandel, BUND, PowerShift, die Naturfreunde, die Gewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt, die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft. Aber für ihre Argumente interessierten sich Jung, Jurisch und Seitzl wenig.
Doch noch haben die Marktradikalen nicht gewonnen. CETA tritt erst in Kraft, wenn es von den Parlamenten sämtlicher EU-Mitgliedsstaaten ratifiziert wurde. In elf Staaten – darunter Belgien, Irland, Italien, Frankreich, Griechenland und die Niederlande – steht die Entscheidung noch aus; wann sie abstimmen, ist offen. Sollte es aber soweit kommen, dass alle EU-Parlamente das klimaschädliche und demokratiegefährdende Abkommen abnicken, könnte das Bundesverfassungsgericht die in CETA enthaltene Paralleljustiz prüfen. Es hat – wie auch der Deutsche Richterbund – bereits Zweifel angemeldet, ob die nötige Übertragung von Hoheitsrechten mit dem Grundgesetz vereinbar wäre.
Text: Pit Wuhrer, Konstanzer Bündnis für gerechten Welthandel
Fotos oben (Protestaktion von CETA-Kritiker:innen am 1. Dezember vor dem Bundestag): © Uwe Hiksch/Naturfreunde; unten (Ölschieferabbau in der kanadischen Provinz Alberta): © Jiri Rezac/Greenpeace