Konstanzer beschwert sich bei Kretschmann
Die kirchenkritische Initiative „Freiburg ohne Papst“ ist ins Visier der Verfassungsschützer geraten. Das Bündnis, so die Schlapphüte aus Baden-Württemberg in ihrem Bericht 2011, sei unter dem Einfluss von Linksextremisten gestanden. Eine Einschätzung, die der Konstanzer Dennis Riehle so nicht stehen lassen will. Hier sein Protestschreiben an den grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann und Innenminister Reinhold Gall.
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
sehr geehrter Herr Innenminister,
im kürzlich für das Jahr 2011 veröffentlichen Verfassungsschutzbericht für Baden-Württemberg wird erstmals in ziemlicher Deutlichkeit ein Bezug von Kritikern der (katholischen) Kirche zum Linksextremismus hergestellt.
Auf Seite 230f. wird im Zusammenhang mit dem Papst-Besuch in Freiburg unter dem Titel „Freiburger Autonome agitieren gegen Papstbesuch“ von drei Gruppen gesprochen, die im Vorfeld und während der Anwesenheit Benedikts XVI. im Breisgau am 24. und 25. September des vergangenen Jahres mit zahlreichen Störversuchen gegen die Verbindungen des Papstes zur fundamentalistischen Pius-Bruderschaft protestierten und auf die insgesamt auch in der Kirche vorherrschenden Strukturen „kapitalistischen Alltags“ aufmerksam machten.
Genannt werden hier die „Autonome Antifa Freiburg“, die „Anarchistische Gruppe Freiburg“ und die „Anarchistische Linke Freiburg“. Bereits am Vorabend (23.09.) soll es zum Aufruf für eine Demonstration unter den Themen „Antisemitismus, Patriarchat, Kapitalismus“ gekommen sein. Entsprechend konnten auch Nachweise erbracht werden, dass diese Gruppierungen offenbar mit einem klaren Bekenntnis zu gewaltsamen Aktionen einem militanten linken Spektrum zuzuordnen sind.
Im gleichen Abschnitt aber leitet der Verfassungsschutzbericht in den letzten Zeilen des Paragrafen ohne Atempause auf das Bündnis „Freiburg ohne Papst“ über. Wörtlich wird davon gesprochen, dass dieses „linksextremistisch beeinflusst“ sei. Zwar betont der Bericht, dass sich das Bündnis von den oben genannten Gruppierungen offen distanziert hat. Für die Aussage einer linksextremistischen Beeinflussung des Bündnisses, dem verschiedenste demokratische Kräfte angehört haben, liefert der Verfassungsschutzbericht hingegen keinerlei Beleg.
Somit werden Mitglieder und Aktive der Parteien „Bündnis 90/Die Grünen“ ebenso wie von „Die Linke“, aber auch kirchenkritische Initiativen aus mitten der Gesellschaft, die sich in dem Bündnis zusammengefunden und auf die erheblichen öffentlichen Ausgaben hingewiesen haben, die bei klarer verfassungsrechtlicher Trennung von Staat und Kirche aus Steuermitteln für den Besuch des Papstes neben den ohnehin als unrechtmäßig zu betrachtenden für die Kirchen geltenden Zuschüsse und Privilegien aufgewendet wurden, als linksextremistisch eingestuft.
Hierfür legt der Verfassungsschutzbericht keine Nachweise dar und urteilt offenkundig aus reiner Vermutung und Spekulation. Es entsteht trotz des Distanzierens obendrein der Eindruck, wonach das Bündnis „Freiburg ohne Papst“, das als legitimes zivilgesellschaftliches Miteinander von unbescholtenen Bürgern ohne Hinweis auf organisatorische oder strukturelle Vernetzung mit irgendeiner Form von linksradikalen Kräften zu bewerten ist, in ideologischer Nähe zu verfassungsfeindlichen und mit Mitteln der Gewalt agierenden Strömungen des Anarchismus und linken Militantismus stünde. Solch eine Darstellung durch den Verfassungsschutz muss als höchst fahrlässig und rechtsstaatlich kritisch beurteilt werden.
Dass in Deutschland mittlerweile über ein Drittel der Bevölkerung keinen konfessionellen Bezug mehr aufweist, ist ein Faktum, das nicht nur wegen des im Grundgesetz verankerten Rechtes auf Religionsfreiheit – also auch auf Freiheit, ohne Religion zu leben – uneingeschränkten Respekt erfahren muss. Wenn nun Personen, die ihr demokratisches Recht auf Meinungsäußerung in Form von friedlichem Protest gegen die unverhältnismäßige und die Neutralität unseres Landes verletzende Aufwartung für ein Kirchenoberhaupt ausdrücken, und sich schlussendlich im Verfassungsschutzbericht des Landes Baden-Württemberg unter der Rubrik „Linksextremismus“ wiederfinden, ist das ein eklatant anmutender Skandal.
Die neue Landesregierung, die sich besonders der Partizipation verschrieben und Bürgerbeteiligung begrüßt hat, nutzt hier offenbar ihre Position aus, freies Kundtun von rechtmäßigen Ansichten, die vielleicht nicht in das Bild eines vielfältig geprägten religiösen Kabinettes passen, einzuschränken. Ob sich die baden-württembergische Regierung zudem auch vor dem Verlust von wohlwollender Zuneigung der katholischen Kirche gegenüber dem Land schützen wollte und deshalb die Kirchenkritik derart heftig deklassiert, bleibt eine Mutmaßung. Jedoch erhält dieser Verdacht auch Nachdruck dadurch, dass beispielsweise bis heute die Partei „Die Linke“ (die ebenso Teil des Bündnisses „Freiburg ohne Papst“ war) im Gesamten unter Beobachtung der Verfassungsschutzbehörden steht. Dies muss zwangsläufig auf Unverständnis stoßen und tendenziöses Taktieren der Koalition erahnen lassen – widerspricht es doch klaren Wahlkampfaussagen von Rot-Grün.
Das Verhindern von öffentlichem Bekunden demokratischer Ansichten, die die offenbare Nähe des Landes zur (katholischen) Kirche mit ihrem weiterhin einem säkularisierten Staat unwürdigen Machteinfluss bis inmitten von Politik und Gesellschaft kritisieren, ist Signal fehlender Würdigung des GG, Art. 4, wonach „die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses“ unverletzlich sind. Denn das Land missbraucht den Verfassungsschutz und seinen Bericht zweifelsohne dafür, kirchenkritische Bürger durch den Generalverdacht der linksextremistischen Beeinflussung zu denunzieren.
Ich fordere daher eine Erklärung zu dem auf Seite 231 des Verfassungsschutzes Baden-Württemberg 2011 ausgeführten Satz „Bereits im Vorfeld hatte sich das linksextremistisch beeinflusste Aktionsbündnis ‚Freiburg ohne Papst‘ …“ und verbleibe
mit freundlichen Grüßen,
Dennis Riehle