Konstanzer „Gammlermord“: Nun steht der Text für die Gedenktafel

Provisorische Gedenktafel für Martin KatschkerIm August 1970 wurde der Lehrling Martin Katschker auf dem Augustinerplatz erschossen. seemoz hat mehrmals darüber berichtet. Vorausgegangen war die Hetze eines rechtsradikalen Stadtverordneten gegen angebliche „Gammler“. Auf Anregung der Linken Liste beschloss der Konstanzer Gemeinderat mit großer Mehrheit, eine offizielle Gedenktafel am Ort des Geschehens anzubringen. Lange wurde über einen passenden Text debattiert. Nun hat man sich auf die nachstehende Formulierung geeinigt – die allerdings auch Fragen aufwirft.

Zum Gedenken an Martin Katschker (1953-1970)

Konstanz, im Sommer 1970

Seit Längerem lagern auf dem Blätzleplatz Jugendliche, die durch lange Haare, eine Vorliebe für laute Rockmusik sowie vermeintlichen oder tatsächlichen Drogen- und Alkoholkonsum in der Altstadt auffallen. Die Bevölkerung nennt sie, wie damals üblich, verächtlich: „Gammler“. Am Abend des 29. August, es war ein Samstag, tötet ein 38-jähriger Hilfsarbeiter nach einem kurzen Wortwechsel den 17-jährigen Lehrling Martin Katschker, der sich unter den Jugendlichen aufhält. Der Täter benutzt einen Kleintierschussapparat, einen sogenannten „Hasentöter“.

Vorgeschichte der Tat

Nach einem verregneten Open-Air-Festival hatten sich Anfang August 1970 zahlreiche junge Leute in der Stadt aufgehalten: Sie lagerten am Blätzleplatz und im nahen Stadtgarten. Dagegen protestierte ein NPD-Stadtverordneter. Er schlug in öffentlicher Sitzung die Bildung einer privaten „Bürgerwehr“ vor, um gegen die angeblichen „Gammler“ vorzugehen. Oberbürgermeister und Stadtverwaltung kümmerten sich nicht weiter um die teils störenden Verhältnisse auf dem Blätzleplatz. Der NPD-Politiker ließ daraufhin scharfmacherische Flugblätter in der Innenstadt verteilen. Seine Gegner sprachen besorgt von rechter Hetze und einer Pogromstimmung, die er erzeuge. Im Umfeld dieser aufgeheizten Situation fiel der verhängnisvolle Schuss.

Das Tötungsdelikt vor Gericht

Das Landgericht Konstanz verurteilte den Hilfsarbeiter am 20. März 1972 wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit Nötigung zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe. Ein Vorsatz zur Tat und damit ein Totschlag oder gar Mord konnten nicht nachgewiesen werden. Auch ein rechtsextremistisches und damit politisches Tatmotiv des Hilfsarbeiters wurde nach detaillierter Rekonstruktion des Tathergangs und zahlreicher Zeugenaussagen ausgeschlossen. Der Täter hatte sich durch die „Gammler“ gestört gefühlt und wollte sie zur Ordnung rufen.

Reaktion der Bevölkerung

Die Bevölkerung reagierte mehrheitlich aufgebracht. Am 3. September 1970 fand hier eine Trauer- und Gedenkveranstaltung mit hunderten von Menschen statt. Gewerkschaftler, Kommunalpolitiker und Geistliche verurteilten die Tat ausdrücklich. Die Bevölkerung wurde aufgerufen, ihre Einstellung gegenüber „Gammlern“ und Minderheiten zu überdenken. Schon damals lautete die Forderung: Toleranz gegenüber abweichenden Lebensentwürfen!

Mehr zu den Hintergründen des Konstanzer „Gammlermordes“ sind hier zu erfahren:
Aufsatz von Stadtarchivar Jürgen Klöckler in der ZGO 169 (2021)

Stadt Konstanz, Dezember 2021

Anmerkung:

Soweit nun der neue Text für eine Gedenktafel. Seit Sommer 2020 steht dort eine provisorische Tafel, die in Bälde durch eine offizielle ersetzt werden soll. Lange wurde im Vorfeld vor allem darüber debattiert, wie es um die jeweilige Namensnennung der direkt Beteiligten bestellt sei. In einem ersten Textentwurf wurden keine Namen genannt, nicht mal der von Martin Katschker. Jetzt ist wenigstens zu lesen, wie das Opfer hieß. Immerhin.

Von Seiten der Verwaltung wurde mehrmals erklärt, es gelte der „postmortale Persönlichkeitsschutz“ – vor allem für den Täter, Hans Obser. Das allerdings ist schwer nachvollziehbar, denn über einen QR-Code zu dem Vorfall ist sowohl Hans Obser genannt, wie auch NPD- Mann Walter Eyermann, der vergangenes Jahr gestorben ist. Ebenso wird über die Weiterführung auf die Hintergründe auch auf den damaligen CDU-Oberbürgermeister Bruno Helmle verwiesen, dem vor einigen Jahren die Ehrenbürgerschaft der Stadt Konstanz aberkannt wurde, weil er sich zur NS-Zeit nachweislich an jüdischem Eigentum bereichert hatte. Somit wird das angebliche Persönlichkeitsrecht dann doch über Umwege außer Kraft gesetzt. Zudem ist das Argument gegen die namentliche Nennung aller Beteiligten vor über 50 Jahren schwer nachvollziehbar, denn in mehreren Beiträgen zum Thema, u.a. auf seemoz, Südkurier oder Kontext, wurden die Namen aller Beteiligten immer erwähnt.

Eine schwere Geburt also, denn zu Anfang der Debatte hatte CDU-Rat Daniel Groß erklärt: „Unsere Fraktion sieht die Voraussetzung für eine Gedenktafel nicht als gegeben an“, denn bei den damaligen Geschehnissen habe es sich nicht um eine politisch motivierte Tat gehandelt. Und: „Mit einer Gedenktafel wird nun aber das Geschehen in eine Dimension gehoben, die den Umständen und dem Tod des Martin Katschker keinesfalls gereicht werden“.

Wann die offizielle Gedenktafel am Blätzleplatz endlich aufgestellt wird, ist noch nicht klar. Wir werden berichten.

Text und Bild: H. Reile