Konstanzer Klimaziele – zu wenig und zu spät?

Der Konstanzer Gemeinderat hat die kommunalen Klimaziele ausgiebig diskutiert. Das von der Stadt beauftragte Institut für Energie- und Umweltforschung (ifeu) stellte sein Szenario Klima plus vor, das es als äußerst ambitioniert und vorbildlich bezeichnete. Allerdings wird damit dem Ziel, bis 2030 klimaneutral zu werden, eine Absage erteilt, man hofft, bestenfalls unter 1,75 Grad Erwärmung zu bleiben, und das bis ca. 2035. Fridays for Future kritisierte die städtischen Ziele als ungerecht.

Die Ziele, die sich die Stadt Konstanz setzt, stehen nach ausgiebiger Beratung fest und wurden mit großer Mehrheit beschlossen. Der eigentliche Kampf um den Konstanzer Beitrag zur Rettung des Klimas dürfte aber erst später beginnen, wenn es nämlich darum geht, konkrete Maßnahmen zum Erreichen dieser Ziele zu beschließen, denn das kostet zuerst einmal Geld, viel Geld sogar, und ist mit teils einschneidenden Veränderungen verbunden. Und das in einer Zeit, in der jede noch so kleine Veränderung die Betroffenen zuhauf auf die Barrikaden treibt.

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Außerdem, und darauf wiesen einige RednerInnen hin, genügt es beileibe nicht, wenn die Stadt in ihrem Bereich das Nötige tut, auch die Stadtgesellschaft, also wir BürgerInnen müssen ganz bewusst dazu beitragen, von den ImmobilienbesitzerInnen bis zu den Langzeit-WarmduscherInnen. Natürlich tönten in der Debatte auch die üblichen kritischen Stimmen an, dass eine kleine Stadt wie Konstanz allein ja gar nichts erreichen könne und dass es sehr schwer werden dürfte, die Bürgerschaft „mitzunehmen“.

Oberbürgermeister Uli Burchardt versuchte denn gleich – und das wohl mit allem Recht –, auch Land, Bund und die EU in die Pflicht zu nehmen und sich bewusst zu machen, dass man mit dem Kampf gegen den Klimawandel Neuland betritt. „Wir brauchen geänderte Rahmenbedingungen und können diese Ziele nicht aus eigener Kraft erreichen. Nach meinem persönlichen Eindruck gibt es in Konstanz aber eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung, die sagt, los, springt jetzt ins Wasser und fangt an zu schwimmen.“

Klima-Ehrlichkeit

In welche Richtung die Reise gehen soll, beschrieb ausführlich und klar Hans Hertle, Teamleiter Kommunaler Klimaschutz bei ifeu und federführend an den Konstanzer Klimazielen beteiligt: Das von ifeu für Konstanz vorgeschlagene Szenario verschärft nach seinen Angaben die Ziele auf das Maximum des Machbaren und zieht sie auf 2035 vor. Dagegen komme das von den meisten deutschen Kommunen und dem Bund verfolgte Szenario nicht deutlich unter 2 Grad. Null Emissionen bis 2030 oder 2035, wie von Fridays for Future gefordert, kriege allerdings kein Szenario hin. Verdächtig oft war an diesem Tage denn auch von „Realisten und Idealisten“ oder „dem Wünschenswerten und dem Machbaren“ die Rede.

Außerdem sei das Szenario für Konstanz ehrlich, denn weniger ambitionierten Kommunen in Deutschland versuchten, sich mit Ausgleichszenarien aus der Verantwortung zu stehlen, die aber sehr umstritten und problematisch seien. Als Beispiel nannte Hertle das Bundesentwicklungsministerium, das sich seit 2020 als klimaneutral bezeichnet. Es zahle 3,50 Euro an Ausgleichsmaßnahmen für eine Tonne CO2, bis es auf dem Papier klimaneutral sei, ohne dass sich dafür im Ministerium irgendetwas ändern müsse, und hinterlasse Klimaschäden für 195 Euro pro Tonne. Derartige Wolkenschiebereien etwa über Ausgleichsprojekte in entfernten Ländern lehne ifeu ab. Wichtig sei es aber trotzdem, das Klimakonzept nicht nur lokal, sondern regional zu verankern, weil Konstanz ja beispielsweise keine Windräder mitten in die Stadt stellen könne.

Weltuntergang bald?

Auch wenn über einzelne Maßnahmen erst später entschieden werden soll, deutete Hertle bereits einiges an: So brauche man in Konstanz pro Kopf und Jahr etwa 1 Quadratmeter zusätzlicher Photovoltaik-Fläche, und „auch bei der Energie- und Wärme-Einsparung muss wesentlich mehr geschehen, zuerst natürlich einmal in den Gebäuden, die der Stadt gehören, dann aber auch in den stadteigenen Betrieben, und schließlich auch in sämtlichen anderen Einrichtungen. Im Durchschnitt verbrauchen die BürgerInnen 11 Tonnen CO2 pro Jahr, und wenn Sie die Tonne CO2 mit 195 Euro ansetzen, macht das Pro Kopf der Bevölkerung 2145 Euro. Diesen Betrag dürfen wir den nachfolgenden Generationen nicht als Klimalasten hinterlassen. Wenn Sie das auf ganz Konstanz hochrechnen, kommen sie allein für diese Stadt auf einen jährlichen Klimaschuldenberg von 180 Millionen Euro.“ Er verwies auch darauf, dass Klimaschutz zusätzliche Beschäftigung schaffe und Konstanz für Urlauber attraktiver mache. Es soll also nicht um ein reines Zuschussgeschäft gehen – ganz abgesehen davon, dass bei Zuwiderhandlung nichts Geringeres als der Weltuntergang droht.

Man darf gespannt sein, welche Maßnahmen sich ab dem Sommer, wenn das Konzept immer konkreter werden soll, herausschälen werden, von Solarzellen und Windfängern bis hin zur deutlichen Beschränkung des mobilen Individualverkehrs, und dies nicht nur in der Innenstadt. Der Oberbürgermeister versicherte jedenfalls, dass Konstanz die sogenannten Bisko-Standards konsequent ohne jedwede Tricksereien erreichen will. Dabei geht es um die „Bilanzierungs-Systematik Kommunal“, also um die Methodik der kommunalen Treibhausgasbilanzierung, durch die sich prüfen lässt, wie viel emittiert wird.

Mit der einhelligen Entscheidung habe der Gemeinderat, so der OB, „gerade einmal den ersten Schritt getan auf einem langen, steinigen Weg durch schwieriges Gelände, auf dem noch vieles auf uns wartet“. Man hat den hohen Herrn bei anderen Projekten schon deutlich weniger verzagt erlebt.

Kritik von FFF

FFF hat auf den Gemeinderatsbeschluss mit einer Presseerklärung reagiert, die hier (leicht verändert) folgt:

Die Konstanzer Fridays for Future-Bewegung begrüßt, dass nun im Gemeinderat endlich über ein Klimaziel debattiert wurde. Dass die Stadtverwaltung dabei der Empfehlung des Heidelberger ifeu-Instituts folgen möchte, bis 2035 nahezu klimaneutral zu werden, halten die jungen AktivistInnen grundsätzlich für die richtige Herangehensweise. Gleichzeitig kritisieren sie aufs Schärfste, dass sich die Stadt Konstanz damit davon verabschiede, ihren gerechten Beitrag zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze zu leisten.

Am vergangenen Donnerstag stellte das ifeu-Institut im Gemeinderat seinen Vorschlag für ein Klimaziel für Konstanz vor. Der Vorschlag sieht eine weitgehende Klimaneutralität bis 2035 vor. Das ifeu-Institut war im Juli 2020 beauftragt worden, mehrere Absenkpfade auszuarbeiten, nachdem der Gemeinderat sich gegen das von Fridays for Future geforderte Ziel „Klimapositiv 2030“ entschieden hatte. Der gestrigen Vorstellung des ifeu-Instituts stehen die AktivistInnen mit gemischten Gefühlen gegenüber. Denn der Absenkpfad des sog. „Klima-Plus-Szenarios“, den das ifeu- Institut vorschlägt, sei zwar sehr ambitioniert, überschreite aber trotzdem das uns zustehende CO2-Budget, um die 1,5-Grad-Grenze mit einer Wahrscheinlichkeit von nur 50% einzuhalten. Konstanz dürfte nach der Vorlage der Verwaltung mit dem angestrebten Absenkpfad deutlich näher am 1,75-Grad-Pfad als an 1,5 Grad bleiben.

Frida Mühlhoff kommentiert: „Bei einem Münzwurf wären unsere Chancen, die 1,5-Grad-Grenze nicht zu überschreiten, besser. Erst 2035 klimaneutral zu werden ist also eine bewusste Entscheidung gegen die Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze. Jenseits dieser Grenze erhöht sich die Gefahr massiv, dass sich durch das Auslösen von Kippunkten die Klimakrise von selbst verschlimmert und es zu einer Heißzeit kommt; diese würde vermutlich das Ende unserer Zivilisation bedeuten.“

Dennoch sei das Ziel 2035 ein Schritt in die richtige Richtung, da es weit über das bisherige Klimaziel der Stadt Konstanz und auch über die Klimaziele des Landes und Bundes hinausgehe. Die jungen KlimaschützerInnen hoffen, dass die Verschärfung der kommunalen Klimaziele, wie in Konstanz und in vielen anderen Städten, auch ein Verschärfen der Klimaziele auf Bundes- und Landesebene bewirken wird.

Ausdrücklich weisen die KlimaaktivistInnen darauf hin, dass sowohl der Energienutzungsplan der Stadt Konstanz von 2018 als auch das ifeu-Institut im Januar 2021 gezeigt haben, dass sich der massive Ausbau der erneuerbaren Energien für die Stadt Konstanz auch finanziell lohnt – und das sogar ohne die entstehenden Schäden durch einen höheren CO2-Ausstoß in Konstanz mit einzupreisen. Jannis Krüßmann dazu: „Das sollte auch die letzten Zweifler überzeugen: Klimaschutz sichert uns nicht nur einen lebenswerten Planeten, sondern ist auch wirtschaftlich! Wer da nicht mitgeht, hat die Zeichen der Zeit nicht verstanden.“ Bei den Gesamtkosten der Energieerzeugung ist das ambitionierte Klimaschutzszenario rund 100 Mio. Euro günstiger.

Bezieht man den Schaden, der bei einem Weiter-So entsteht, mit ein, so lohne sich das sehr ambitionierte Vorhaben in Konstanz, bis 2035 nahezu klimaneutral zu werden, allemal, betont Fridays for Future.

Zugleich zeige die Vorlage des ifeu-Instituts, dass Konstanz vor allem den Ausbau von Photovoltaik in den nächsten Jahren vervielfachen müsse, diese Aufgabe erfordere den KlimaschützerInnen zufolge mehr als nur eine „mittelerfolgreiche Solaroffensive“, auch die Stadtwerke müssten im großen Stil in erneuerbare Energien investieren. Dieses Unterfangen bedeute zwar eine große Kraftanstrengung aller Beteiligten, sei aber dringend notwendig.

Insgesamt zieht Fridays for Future ein gemischtes Fazit. „Wir freuen uns sehr, dass die Stadt mit dem ifeu-Institut zusammenarbeitet und dass seitdem mehr Bewegung beim Klimaschutz in Konstanz zu sehen ist, auch das Ziel 2035 ist eine große Verbesserung und sehr ambitioniert. Dennoch wird Konstanz seiner Verantwortung gegenüber den künftigen Generationen nicht gerecht – oder die Stadt verlangt, dass andere Länder mehr CO2 einsparen, nur weil wir mehr ausstoßen wollen als uns zusteht. Das widerspricht jeglicher Form von Klimagerechtigkeit“, so Noemi Mundhaas.

MM/red/O. Pugliese (Bilder: Fridays for Future)