Kontext-Urteil: Meinungsfreiheit gewinnt
Am Montag berichtete seemoz über den bevorstehenden Prozess, den die KollegInnen der Wochenzeitung Kontext vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe angestrengt hatten. Es ging dabei um die Frage, ob Kontext den Namen des baden-württembergischen AfD-Mitarbeiters Marcel Grauf nennen darf, der ein rechtsextremer Hetzer ist. Nun ist das Urteil da.
Kurz nach dem Urteil in Karlsruhe, das am Mittwoch erging, veröffentlichte die Kontext-Redaktion folgende Stellungnahme, die wir den LeserInnen unseres Vorberichts nicht vorenthalten wollen:
Im Mai 2018 berichtete Kontext über rassistische, antisemitische und demokratieverachtende Aussagen in den Facebook-Chats eines Mannes, der für die AfD-Abgeordneten Christina Baum und Heiner Merz im baden-württembergischen Landtag arbeitet. „Immerhin haben wir jetzt so viele Ausländer im Land, dass sich ein Holocaust mal wieder lohnen würde“, ist dort beispielsweise zu lesen. Kontext ist der Ansicht, dass die Öffentlichkeit davon erfahren sollte, wenn Menschen, die so denken, in Parlamenten ein- und ausgehen und dort als Mitarbeiter von Abgeordneten politisch arbeiten.
Unsere Berichterstattung war Anlass für den Landtag, seine Hausordnung zu verschärfen. Nicht erfreut über die Öffentlichkeit zeigte sich der Mitarbeiter selbst, Marcel Grauf, der lieber anonym geblieben wäre: Er stellte einen Eilantrag auf den Erlass einer einstweiligen Verfügung, dem das Landgericht Mannheim am 3. August 2018 statt gab. Grauf argumentierte, sein Persönlichkeitsrecht sei verletzt und die zitierten Äußerungen würden nicht von ihm stammen, sie seien gefälscht, die Chat-Protokolle manipuliert. Das versicherte er an Eides statt.
Die beiden Gerichtsentscheidungen könnten unterschiedlicher kaum sein. Das Landgericht Mannheim sah sich außer Stande, zu beurteilen, ob die Chat-Protokolle gefälscht sein könnten. Insgesamt geht es um Material, das ausgedruckt zehn Aktenordner füllt und das von Kontext mehrere Monate intensiv auf Plausibilität geprüft worden ist, bevor wir uns für eine Veröffentlichung entschieden. Zudem haben wir ein linguistisches Gutachten in Auftrag gegeben. Nach dem Verhandlungstermin am 13. Februar teilt das Oberlandesgericht Karlsruhe nun mit: „Das Gericht sieht es als hinreichend glaubhaft gemacht an, dass die im Rechtsstreit vorgelegten Chat-Protokolle authentisch sind.“
Zudem überwiege, wie das OLG ausführt, das Informationsinteresse der Öffentlichkeit und das Recht der Redaktion auf Meinungs- und Medienfreiheit in diesem Fall das Interesse des Klägers am Schutz seiner Vertraulichkeitssphäre: „Denn mit Rücksicht auf die Diskussion um rechtsextreme Bestrebungen im Umfeld der AfD leisten die beanstandeten Presseartikel einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage.“ En passant enthält dieser Satz eine schöne Kurzdefinition der Aufgabe von Journalismus in einer Demokratie.
Und weil es eben „eine die Öffentlichkeit beschäftigende Angelegenheit“ sei, ob die AfD extreme Positionen vertrete, so das OLG, dürfe „in diesem Zusammenhang auch identifizierend über den Kläger berichtet werden“. Kurz: Da die einstweilige Verfügung des Mannheimer Landgerichts aufgehoben ist, darf Kontext die beanstandeten Artikel erneut veröffentlichen. Hier sind sie:
„‚Sieg Heil‘ mit Smiley‘ (Ausgabe 371, 09.05.2018)
„Gefährder im Landtag“ (Ausgabe 373, 23.05.2018)
Erfreut hat uns nicht nur die immense Solidarität, die uns dank zahlreicher Unterstützerinnen und Unterstützer in dieser rechtlichen Auseinandersetzung zuteil wurde. Beeindruckt waren wir auch vom großen Interesse unserer Kolleginnen und Kollegen, die die Prozesse medial begleitet haben. Ob dpa, Deutschlandfunk, BNN, SWR, taz oder Spiegel – um nur einige zu nennen. „Das ist nicht nur ein großer Erfolg für uns, sondern auch ein Sieg für die Pressefreiheit“, kommentiert Kontext- Chefredakteurin Susanne Stiefel die Entscheidung aus Karlsruhe. „Journalisten muss es möglich sein, Ross und Reiter zu nennen, ohne Gefahr zu laufen, sofort gerichtlich belangt zu werden.“