KPÖ Graz: Wie alles anfing
Fast 29 Prozent – mehr als SPD oder Union bei der Bundestagwahl – erreichte die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) bei der Kommunalwahl in Österreichs zweitgrößter Stadt. Sie zieht damit als stärkste Fraktion in den Grazer Gemeinderat ein, hat drei Sitze im siebenköpfigen Stadtsenat (Exekutive) und stellt mit Elke Kahr wohl die nächste Oberbürgermeisterin. Wie war das möglich? Ernest Kaltenegger, langjähriger KPÖ-Politiker in Graz, erläutert die Gründe in einem aufschlussreichen Beitrag über die Anfänge, den er seemoz zur Verfügung gestellt hat.
Nach der Gemeinderatswahl 1998 stand die KPÖ Graz plötzlich vor einer neuen Herausforderung: In der Folge des Wahlergebnisses hatte unsere Partei nicht nur vier Sitze im Gemeinderat (Stadtparlament), sondern auch einen Sitz im Stadtsenat (Stadtregierung). Möglich wurde dies durch eine Regelung in unserer Verfassung, welche auf kommunaler Ebene allen Wahlparteien mit einem entsprechenden Ergebnis Regierungssitze einräumt. Etwas, was in der KPÖ Graz nicht nur ungetrübte Freude auslöste.
Es gab eine Reihe von Stolpersteinen, die wir klar sahen, denen auszuweichen aber trotzdem sehr schwer werden würde:
Die KPÖ verfügte über keinerlei Regierungserfahrung. Sieht man von einem kurzen Zeitraum unmittelbar nach Kriegsende ab, war die KPÖ weder im Bund noch in einem Bundesland und auch in keiner nennenswert größeren Stadt mehr in der Regierung vertreten. Wir hatten Jahrzehnte ausschließlich als kleine Oppositionspartei agiert.
Uns war bewusst, dass viele unserer Vorschläge und Forderungen nur bei einem völligen Politikwechsel, der auch teilweise die Grenzen unseres Gesellschaftssystems sprengen müsste, realisierbar sind. Ein solcher Politikwechsel lässt sich aber nicht mit vier von 56 Abgeordneten in einem lokalen Parlament herbeiführen.
Mit der Übernahme einer Regierungsfunktion ist auch die unmittelbare Verantwortung für einen Teilbereich der Kommunalpolitik verbunden. In unserem konkreten Fall war es das städtische Wohnungswesen, welches uns – sicher nicht ohne Hintergedanken – von den anderen Parteien übertragen wurde. Es war klar, dass sich viele Menschen von uns deutliche Verbesserungen erwarten würden. Schließlich war ja die Wohnungspolitik jahrelang ein Schwerpunkt unserer Kommunalarbeit. Immer wieder wurden von uns Missstände im Bereich der kommunalen Wohnungen aufgezeigt. Ohne entsprechende Mehrheiten im Gemeinderat und im Stadtsenat sind Verbesserungen wohl schwer durchsetzbar. Außerdem gab es unter den Bediensteten im Wohnungsamt niemanden, welcher der KPÖ politisch nahe stand – hatten wir ihnen in der Vergangenheit ja nicht immer große Freude bereitet.
Nicht zuletzt sahen wir auch die Gefahr eines politischen Verschleißes. Würden wir nicht automatisch mit allen Regierenden in einen Topf geworfen, sollte es uns nicht gelingen unterscheidbar zu bleiben? Schon allein die Bezüge eines Stadtsenatsmitgliedes sind einer notwendigen Bodenhaftung nicht gerade förderlich und wurden deshalb von uns auch immer kritisiert. Ein Umstieg von Straßenbahn, Bus oder Fahrrad auf Wagen mit Chauffeur sind ebenfalls nicht gerade Turbolader in Sachen Glaubwürdigkeit.
Auf schmalem Grat
Unsere damalige Situation war relativ schwierig. Wir sahen die Gefahren auf uns zukommen, konnten uns ihnen aber nicht entziehen. Bei einer Ablehnung der Übernahme einer Regierungsfunktion hätte jede andere Partei einen beliebigen Vorschlag zur Besetzung dieser Position einbringen können. Dies wäre wohl auf wenig Verständnis bei unseren Wählerinnen und Wählern gestoßen.
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Um unser Problem aus der Welt zu schaffen, griffen wir einen alten KPÖ-Vorschlag auf: Die Zahl der Stadtsenatssitze solle von neun auf sieben reduziert werden. Damit könnte es zu den von uns immer verlangten Einsparungen an der Spitze kommen und als Nebeneffekt müssten wir auch kein Regierungsamt mehr übernehmen. Da die Umsetzung dieses Vorschlages auch einer anderen Stadtsenatspartei einen Sitz gekostet hätte, wurde er umgehend abgelehnt. Letztendlich wurde von uns die Funktion eines Stadtsenatsmitgliedes, zuständig für das Wohnungswesen, übernommen.
Von Anbeginn wurde besonderes Augenmerk auf die Bewahrung eines eigenständigen Profils gelegt. Wichtig erschienen uns dabei folgende Bereiche:
1.) Frage des öffentlichen Eigentums. Da sich die finanzielle Lage der Stadt Graz nicht wesentlich von der anderer größerer Kommunen in Österreich unterscheidet, gab und gibt es einen besonders starken Privatisierungsdruck. Dieser äußert sich in Ausgliederungen stadteigener Unternehmen beziehungsweise deren Verkauf und Teilverkauf. Dabei hätte man immer gerne die KPÖ im Boot gehabt. Uns war aber immer bewusst, dass eine Zustimmung zu Privatisierungen nur bei Strafe des eigenen politischen Untergangs möglich sei.
Nicht zu unterschätzen ist dabei der Druck, der seitens der anderen Regierungsparteien auf uns ausgeübt wurde. Schließlich müssen ja auch die Vorhaben in unserem Ressortbereich finanziert werden. Die erste Bewährungsprobe erfolgte beim Verkauf des Energiesektors der Grazer Stadtwerke. Die KPÖ lehnte diesen strikt ab und bildete gemeinsam mit unabhängigen Persönlichkeiten eine Initiative, die unter der Losung „Hände weg von den Stadtwerken – sie gehören allen Grazerinnen und Grazern!“ mehr als 17.000 Unterschriften gegen einen Verkauf sammelte. Da die SPÖ – wie schon oft – wieder einmal sogar im Liegen umgefallen ist, ist es zwar zum Teilverkauf des Energiesektors gekommen, die KPÖ hatte jedoch an Ansehen gewonnen.
2.) Eine eigenständige linke Wohnungspolitik. Die KPÖ hatte unter anderem durch ihre Aktivitäten im Bereich des Wohnens viel Zuspruch erfahren. Da die Wohnungsfrage in fast allen größeren Städten eine Rolle spielt, konzentrierten wir uns schon viele Jahre auf dieses Thema. Hier kann einerseits das Versagen des kapitalistischen Systems sehr deutlich vor Augen geführt werden, andererseits kann Betroffenen oft wirksam geholfen werden. 1992 wurde der KPÖ-Mieternotruf – verbunden mit einem Rechtshilfefonds für Spekulantenopfer – eingeführt. Regelmäßige Mieterberatungen sowie Informationsveranstaltungen für Haussprecher gehörten ebenso zum Angebot wie die öffentliche Aufdeckung von Missständen beim Thema Wohnen. 1997 setzte die KPÖ mit Hilfe einer Volksrechteinitiative eine Belastungsobergrenze beim Wohnungsaufwand von maximal 33 Prozent vom Haushaltseinkommen durch (gilt für alle Kommunalwohnungen).
Unmittelbar darauf schaffte die KPÖ bei der Gemeinderatswahl 1998 erstmals den Einzug in den Stadtsenat. Uns war klar, dass es schwer werden würde, diese Position zu halten, wo wir nun direkt für das städtische Wohnungswesen zuständig waren. Doch es war nach einjährigem Kampf möglich, 1999 eine generelle Mietzinssenkung bei stadteigenen Wohnungen durchzusetzen. Als bekannt wurde, dass Graz 2003 europäische Kulturhauptstadt sein würde, wussten wir, dass dies eine nächste Chance auf Verbesserungen sein könnte. Wir hatten damals noch mehr als 1000 Wohnungen, welche über kein Bad oder keine Dusche verfügten. Teilweise befand sich sogar das WC noch am Gang. Unter dem Motto „Auch das ist Kultur: Ein Bad für jede Gemeindewohnung!“ starteten wir eine Initiative zur Sanierung des städtischen Wohnungsbestandes. Unser Kulturbegriff ist schließlich ein umfassender. Kultur muss alle Bereiche des Lebens erfassen und darf sich nicht nur auf Musentempel und Erbauung beschränken. Unsere Forderung wurde dann sogar in das Programm für das Kulturhauptstadtjahr aufgenommen. Mittlerweile sind alle Gemeindewohnungen zeitgemäß ausgestattet. So kann man wohl behaupten, dass dies eines der nachhaltigsten Projekte des Kulturhauptstadtjahres 2003 war.
3.) Niemals Wasser predigen und Wein trinken! Die KPÖ hatte immer wieder die viel zu hohen Politikerbezüge in Österreich kritisiert. Nun darf man auch selber nicht so viel Geld einstreichen, wenn es plötzlich auf das eigene Konto überwiesen wird. Daher haben wir uns selbst eine Gehaltsbeschränkung auferlegt. Alles, was einen Nettobezug von aktuell 2200 Euro überschreitet, wird zur Unterstützung von Menschen in Notlagen verwendet. Um dieses System transparent zu gestalten, wird alljährlich um den Jahreswechsel ein „Tag der offenen Konten“ durchgeführt.
4.) Offene Türen für Hilfesuchende. Es ist nicht wichtig, dass kommunistische Mandatsträger bei allen Events und sonstigen gesellschaftlichen Ereignissen anwesend sind. Sehr oft sind dies nur Veranstaltungen für eine geschlossene Gesellschaft und kosten nur Zeit, bringen aber nichts. Stattdessen müssen wir Zeit haben, wenn sich Menschen mit Problemen an uns wenden. Was oft als „Handwerkelei“ abgetan wird, halte ich für unverzichtbar. Natürlich müssen wir uns ständig politisch für eine allgemeine Verbesserung der Lebensverhältnisse einsetzen. Einer Familie, der der Strom oder das Gas abgeschaltet wurde, weil sie die Rechnung nicht bezahlen konnte, hilft es nicht wirklich, wenn wir ihr sagen, dass wir uns ohnehin für ein besseres Sozialsystem einsetzen, welches vielleicht in einigen Jahren kommt. Hier ist sofortige Hilfe notwendig!
Die beharrliche Beibehaltung dieser Linie hatte sich bewährt: 2003 erhöhte die KPÖ-Graz ihren Stimmenanteil von 7,9 auf 20,8 Prozent. 2004 gab es eine neue Herausforderung für die KPÖ Graz, als die herrschenden Parteien die Sozialwohnungen der Stadt verkaufen wollten. Mit öffentlichen Versammlungen in allen Stadtteilen, wo es Gemeindewohnungen gibt, einer Volksrechteinitiative gegen den Verkauf der städtischen Wohnungen, die dann in eine Volksbefragung mündete, wehrten wir uns erfolgreich gegen die Privatisierung.
2005 zog die KPÖ erstmals seit 1970 dank zweier Direktmandate in Graz wieder in den Steiermärkischen Landtag ein. 2008 gab es bei der Gemeinderatswahl einen Rückschlag, der jedoch 2012 wieder deutlich ausgeglichen wurde, als die KPÖ zweitstärkste Partei im Grazer Gemeinderat wurde.
Text: Ernest Kaltenegger
Ebenfalls lesenswert:
https://steiermark.orf.at/stories/3136488/
Wer sich intensiver mit dem KPÖ-Erfolg und seinen Hintergründen befassen möchte, hier noch ein lesenswertes Interview:
https://www.heise.de/tp/features/Das-ist-ein-Marathon-und-kein-Sprint-Der-Weg-zum-kommunistischen-Wahlsieg-in-Graz-6222822.html
Mittlerweile hat sich die Medienlandschaft Österreichs zum „Gatsch“-Schmeissen* vereinigt. Daß die privat verfaßten Zeitungen damit anfingen, war zu erwarten. Aber auch der ORF, immerhin öffentlich/rechtlich, beteiligt sich subtil an der Hetze:
https://steiermark.orf.at/stories/3125845/
Da wird von Schwärmerei für Tito in Bild-Manier berichtet, obwohl die angeführten Zitate nichts weiter als Anerkennung ausdrücken. In dem Punkt unterscheiden sich die Ös-Ö/R keine Nuance von ARD oder ZDF. Was sich nicht dem Diktat der Märkte beugt, hat keine objektive, unvoreingenommene, umfassende Berichterstattung zu erwarten.
*Gatsch ist die Bezeichnung für: eine österreichische, mundartliche Bezeichnung für Schlamm bzw. Matsch (Wikipedia).