Krankenhausbeschäftigte: Plötzlich systemrelevant

Sieben weitere Corona-Befunde hatte der Landkreis Konstanz gestern zu verzeichnen. Wie das Landratsamt mitteilte, stieg damit – Stand Montagabend, 23. März – die Anzahl der beim Gesundheitsamt als erkrankt gemeldeten Personen im Kreis auf 91. Lediglich drei der Betroffenen werden derzeit stationär betreut, die anderen befinden sich in häuslicher Isolation. Für die Beschäftigten an den Krankenhäusern im Landkreis ist es aller Voraussicht nach die Ruhe vor dem Sturm. Der Zustand des öffentlichen Gesundheitswesens lässt dafür nichts Gutes erwarten.

Auf allen Ebenen stimmen derzeit PolitikerInnen Loblieder auf das medizinische Personal an, das man nun plötzlich als „systemrelevant“ adelt. Dabei wurden dieselben Kreise noch bis vor wenigen Wochen nicht müde, auf die Markttauglichkeit des Gesundheitswesens zu pochen. Seit Jahren verschlanken, rationalisieren, privatisieren oder schließen Länder, Kreise und Kommunen Krankenhäuser und unterwerfen die Beschäftigten skandalös schlechten Einkommens- und Arbeitsverhältnissen. Das Ergebnis ist der auch in den Einrichtungen des Landkreises zu beobachtende Personalmangel, der schon mal zur Stilllegung ganzer Abteilungen führt.

Das Corona-Virus legt jetzt offen, wie schlecht die Idee ist, Gesundheit als Ware zu handeln. Schon im Normalbetrieb arbeitet das Personal am Limit. Durch die Pandemie droht nun vielerorts die Versorgung schnell in eine gefährliche Schieflage zu geraten. Krankenhäuser, dafür braucht man kein Experte zu sein, müssen als Einrichtungen der Daseinsvorsorge Kapazitäten für den Ernstfall vorhalten. Genau das verhindert indes häufig das der Finanzierung bundesdeutscher Kliniken zugrundeliegende DRG- oder Fallpauschalen-System, weil es als betriebswirtschaftliches Risiko gilt, das sich nicht rechnet.

Wie schlecht etwa die Krankenhäuser im Gesundheitsverbund des Landkreises für einen solchen Ernstfall gerüstet sind, zeigt der Aufruf von Landrat Zeno Danner, der „alle examinierten Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger, die eine dreijährige Ausbildung durchlaufen haben, aber gegebenenfalls auch schon länger nicht mehr im Berufsleben stehen“, bittet, „in dieser Krise ihr Wissen und ihre Arbeitskraft einzubringen und sich als Pflegepersonal den Kliniken Singen und Konstanz zur Verfügung zu stellen.“

Mehr Personal statt warmer Worte

Mit solchen Zuständen muss Schluss sein, fordert die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. „Die Beschäftigten der Krankenhäuser sind Profis. In einer Krisensituation tun sie alles, um Menschenleben zu retten und die Verbreitung des Virus zu bremsen“, erklärt Sylvia Bühler, die im ver.di-Bundesvorstand für das Gesundheitswesen zuständig ist. „Auch ohne die Extrembelastung der Epidemie gehen die Beschäftigten allzu oft über ihre eigenen Grenzen hinaus, weil ihnen das Wohl und die Sicherheit der Patientinnen und Patienten am Herzen liegen. Es muss damit Schluss sein, dass Klinikträger und politisch Verantwortliche dieses Engagement ausnutzen. Alle Verantwortlichen müssen jetzt das Signal setzen: Wir arbeiten mit Hochdruck an besseren Arbeitsbedingungen. In erster Linie bedeutet das mehr Personal.“

Lösungsvorschläge dafür liegen lange auf dem Tisch. Das von ver.di, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem Deutschen Pflegerat im Januar vorgelegte Instrument zur Personalbemessung im Krankenhaus, die PPR 2.0, müsse vom Gesetzgeber zügig umgesetzt werden, verlangt Bühler. „Die Bundesregierung kann das Vertrauen der Beschäftigten im Gesundheitswesen zurückgewinnen, wenn sie in dieser Krisensituation die richtigen nachhaltigen strukturellen Maßnahmen auf den Weg bringt. Es braucht für das gesamte Krankenhaus verbindliche Vorschriften für eine bedarfsgerechte Personalausstattung.“

Genauso wie die Bundesregierung für die Wirtschaft Hilfspakete schnüre, müssten jetzt die Beschäftigten im Gesundheitswesen unterstützt werden, so Bühler. Stattdessen würden sogar Entscheidungen getroffen, die Pflegekräfte weiter belasten. Als „völlig falschen Weg“ bezeichnete die Gewerkschafterin etwa die Ankündigung von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), die Pflegepersonaluntergrenzen in Krankenhäusern pauschal auszusetzen. „Der Umgang mit dem Coronavirus verlangt mehr, nicht weniger Personal. Diese Maßnahme sorgt unter den Beschäftigten für große Empörung.“ Die Untergrenzen gelten zum Beispiel in der Geriatrie, wo besonders gefährdete Menschen liegen. „Hier das Personal noch weiter auszudünnen, wäre auch fachlich fatal.“

Die Menschen in den Vordergrund stellen

ver.di macht sich überdies für eine Aufstockung des Reinigungspersonals in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen stark. Denn die Corona-Krise, betont Reiner Geis, Geschäftsführer der Bezirks Südbaden der Dienstleistungsgewerkschaft, zeige auch: „Nicht nur die Ärztin und die Pflegekraft sind systemrelevant, sondern auch die Beschäftigten im Reinigungsdienst, Transportwesen, die Hauswirtschafterin und all die anderen, die für ein funktionierendes Gesundheitswesen sorgen“. Sie alle leisteten in diesen Tagen wichtige lebenserhaltende Arbeiten weit über die Grenzen des Normalbetriebes und der Belastbarkeit.

Doch gerade in diesem relevanten Bereich sei in den vergangenen Jahren rigoros gespart worden, kritisiert ver.di. So müsse eine Reinigungskraft nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene inzwischen doppelt so viele Zimmer in der gleichen Zeit putzen wie vor 15 Jahren. In vielen Kliniken finden regelmäßig nur noch sogenannte Sichtreinigungen statt. „Das muss sofort unterbunden und dauerhaft geändert werden“, verlangt die ver.di-Zuständige Sylvia Bühler.

Sie fordert zudem, die im Gesundheitswesen vielerorts erfolgte Ausgliederung von Dienstleistungstätigkeiten rückgängig zu machen, um Reibungsverluste zu verringern und hohe Standards zu gewährleisten. Mit den Ausgliederungen verfolgten die Dienstherren ein einziges Ziel: Lohndumping. Ob Service oder Pflege – überall sei es in den vergangenen Jahren vor allem ums Geld gegangen. „Das muss sich grundlegend ändern“, erklärte Bühler. „Im Gesundheits- und Sozialwesen müssen endlich wieder die Menschen im Vordergrund stehen. Das ist hoffentlich spätestens jetzt allen klargeworden.“

jüg, mit Material von ver.di (Foto: ver.di)