Krieg an der Grenze – der Erste Weltkrieg am Bodensee
14/18 gilt als Kürzel für den 1. Weltkrieg zwischen 1914 und 1918. Im Konstanz der Gegenwart bekommt das Kürzel eine andere Bedeutung: Von 1414 bis 1418 fand das Konstanzer Konzil statt, das von 2014 bis 2018 in Stadt und Region gefeiert wird – mit etlichen aufklärerischen und manchen klamaukigen Veranstaltungen. Zu den eher ernsthafteren zählt sicherlich die Ausstellung, die Tobias Engelsing derzeit vorbereitet. seemoz sprach mit dem Konstanzer Museumsdirektor
Seit längerer Zeit ist die Rede vom Konziljubiläum, das in den kommenden Jahren die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit binden soll. Doch im vermeintlichen Schatten dieser Erinnerung entsteht Ihre Ausstellung, die den Ausbruch des Ersten Weltkriegs zum Thema hat. Wie weit sind die Vorbereitungen gediehen?
Nach dem einstimmigen Votum des Kulturausschusses, im ersten Jahr des Konstanzer Konziljubiläums auch das Gedenken an den Ersten Weltkrieg mit einer Ausstellung zu würdigen, arbeiten inzwischen mehrere Historikerinnen und Historiker einer Arbeitsgruppe an diesem Thema: Lothar Burchardt, Arnulf Moser, Manfred Bosch, Jürgen Klöckler, Jürgen Bleibler, Anne Reene, Lisa Foege und andere recherchieren in Archiven, in persönlichen Nachlässen und in verschiedenen öffentlichen und privaten Sammlungen, um Objekte, Kunstwerke und Dokumente zur Zeit zu sichten, zu sammeln und auszuwerten.
Konstanz ging es gegen Anfang des 20.Jahrhunderts gut und eher liberales Gedankengut herrschte vor. Ab wann schlug die Stimmung um und nationalistische Töne wurden lauter? Schon lange vor oder erst bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs?
Wie fast überall im Reich gingen die Wogen der nationalen Begeisterung in den ersten Augusttagen 1914 hoch, eine heute schwer vorstellbare Hysterie erfasste die Massen. Davor war Konstanz schon damals eine Insel – nicht gerade der Seligen, aber doch etwas im Windschatten der großen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen im Reich. Es gab einige Industriebetriebe, aber ebenso viele Menschen arbeiteten in Behörden und im Handel. Dominierende politische Kräfte waren das katholische Zentrum und die Nationalliberalen, die Sozialdemokratie spielte um 1914 noch eine nachrangigere Rolle. Soziale Gegensätze offenbarten sich hier nicht in der Schärfe wie in den großen deutschen Industriezentren.
Inwiefern wirkte es sich aus, dass Konstanz Garnisonsstadt war?
Das ist heute fast völlig vergessen: Konstanz war mehr als 150 Jahre lang Garnisonsstadt, die Soldaten prägten das Gesicht der Stadt wesentlich mit. Unmittelbar nach der Mobilmachung füllte sich Konstanz mit Freiwilligen, Reservisten und Einberufenen. Man hatte Hunderte erwartet, Tausende eilten „zur Fahne“. Nach den Erfahrungen zweier mörderischer Kriege und angesichts unserer heutigen Informiertheit über die Realität eines technisierten Krieges können wir nur schwer verstehen, wie kriegstrunken die Mehrheit der Menschen in diesen Sommerwochen 1914 war. Am Ende des Ersten Weltkriegs hatte das Konstanzer Regiment über 3000 Tote und tausende Verwundete zu beklagen.
Da Konstanz direkt an der Grenze zur Schweiz liegt, wurde die Stadt in den militärischen Sperrgürtel einbezogen. Was hieß das konkret?
Die Konstanzer Bevölkerung blieb über Wochen von der Außenwelt jenseits der militärischen Sperrzone nahezu hermetisch abgeriegelt. Post und Fernmeldeverkehr wurden überwacht, in der ebenfalls hysterischen Furcht vor Spionage und Sabotage. Zugleich nahmen die gegenseitigen Grenzschikanen zu. Der Erste Weltkrieg ist die große Zäsur im Umgang der Nachbarn miteinander, in dieser Zeit endet die gänzlich unbefangene Freizügigkeit. Die Staatsgrenze wird auch zu einer Grenze in den Herzen und Köpfen. Das wollen wir in der Ausstellung und im Begleitbuch darstellen.
Wie gestaltete sich im Krieg die Versorgung der Bevölkerung? Wie sah ihr Alltag aus?
Durch die Einberufungen Hunderter junger Männer lagen Industrie und Handwerksbetriebe, der Handel und die öffentliche Verwaltung zeitweise fast brach – bis die kriegsbezogene Produktion richtig los legte. Zugleich wurden Aufträge storniert, es kam zu einer gravierenden Arbeitslosigkeit. Der Handel hob die Preise an, auch Schweizer Milchhändler trieben, weil sie die einzigen Lieferanten waren, die Preise nach oben. Die Versorgungslage wurde, je länger der Krieg dauerte, desto prekärer. Schwarzmarkt und Schmuggel blühten, aber es nahm auch die Erbitterung gegen die Regierung und zuletzt gegen die Monarchie zu. Um 1917 waren auch die Konstanzer völlig erschöpft und kriegsmüde.
Stiegen die Konstanzer Zeitungen von Anfang an in das allgemeine Kriegsgeheul ein?
Wer im August 1914 pazifistische oder auch nur mäßigende Töne anschlug, galt schnell als Vaterlandsverräter. Interessant wird die Auswertung der Schweizer Zeitungen werden, denn in der Deutschweiz gab es starke Sympathien für Deutschland, aber auch Befürchtungen. Zeitungen hatten generell auch damals schon die Tendenz, eher den Mainstream zu vertreten als abweichende, gegen die Mehrheit ihrer Leser gerichtete Meinungen. Nicht zuletzt versprach die Kriegsthematik in den kriegführenden Ländern für Verlage ein glänzendes Geschäft zu werden. Hier in Konstanz setzte Reuß & Itta, der Verlag der liberalen „Konstanzer Zeitung“, unter anderem auf „Kriegsausgaben“ gängiger Literatur und produzierte hohe Auflagen davon.
Wann tauchten erste Zweifel auf, dass dieser Krieg wohl Anfang 1917 schon verloren war?
Die Sinnhaftigkeit des Krieges bezweifelten schon im Sommer 1914 die Mitglieder des internationalen „Versöhnungsbunds“, der im August eine internationale Friedenstagung in Konstanz abhalten wollte und hier von der Mobilmachung in den europäischen Ländern überrascht wurde. Kritischere Stimmen kamen von exilierten deutschen Publizisten in Zürich, Bern und Thun. Wir wollen solche, heute vergessenen publizistischen Stimmen wieder hörbar machen. Nachdenklich wurden viele Menschen, als sie immer häufiger schwerst verletzte und verkrüppelte Soldaten sahen, die im Zuge der Gefangenenaustauschaktionen über die Schweiz am Konstanzer Bahnhof ankamen und ausgeladen wurden.
Mit an der Front waren auch jüdische Bürger?
Einige Söhne jüdischer Konstanzer Familien gehörten zu den ersten Kriegsfreiwilligen und, wenn ich mich recht erinnere, war der erste gefallene Konstanzer ein junger jüdischer Mann. Die jüdischen Bürger waren sehr gute Deutsche: häufig liberaler politischer Gesinnung, traten sie unbedingt für das Kaiserreich und seine Errungenschaften ein, auch wenn sie im antisemitisch eingestellten Offizierscorps keine Aufnahme fanden. Der angeblich „feige Jude“ ist ein Zerrbild antisemitischer Propaganda mit offensichtlich langer Nachwirkung.
Gab es zu jener Zeit Friedensaktivisten vor Ort? Waren sie um den See herum schon während des Krieges miteinander vernetzt?
Der Bodenseeraum war in diesen Kriegsjahren häufig Fluchtraum oder Transitstation für Pazifisten, Kriegsdienstverweigerer und zivilisierte Kulturmenschen, die sich am großen europäischen Schlachten nicht beteiligen wollten und Asyl in der Schweiz suchten. Vom thurgauischen Mannenbach aus und dann in Zürich gab der aus dem Elsass stammende Dichter René Schickele die „Weißen Blätter“ heraus, eines der führenden pazifistischen Organe. Auch Bern und Ascona wurden zu bedeutenden Zentren der Emigration.
Wie war es während der Kriegsjahre um die Kultur bestellt? Fand überhaupt noch was statt?
Die lokale „Leitkultur“ in Konstanz war systemtragend: Das Stadttheater spielte vaterländische Stücke, die Regimentskapelle gab Stadtgartenkonzerte, es wurden Lesungen aus Werken der Kriegsliteratur gehalten und systemkonforme Kunst gezeigt. In den Kirchen beteten Pfarrer und Geistliche für den Sieg deutscher Waffen. Kritischere Töne, wie sie Hermann Hesse, Leonhard Frank, Hugo Ball oder der aus Wangen am Untersee stammende Dichter Jacob Picard äußerten, wurden hier in geistig aufgeklärteren Kreisen vermutlich gelesen und diskutiert, aber sie fanden keinen Verlag und kaum ein öffentliches Podium. Das änderte sich erst nach Krieg und Revolution, als Oskar Wöhrle in Konstanz einen Verlag gründete, der auch zeitkritische Literatur verlegte.
Was wird uns bei Ihrer Ausstellung präsentiert? Konnten Sie noch Erinnerungsstücke auftreiben, die uns Nachgeborenen die damaligen Verhältnisse etwas näher bringen?
Wir werden keine militärgeschichtliche Ausstellung machen, also keinen Schützengraben nachbauen oder den Schlachtenverlauf illustrieren. Wir wollen versuchen, den Alltag der Menschen und die Veränderungen an der deutsch-schweizerischen Grenze zu veranschaulichen. Der große Gefangenenaustausch, die Kunst und Literatur der Zeit, Emigration, Politik und Propaganda, aber auch das Leid der damaligen Menschen werden unsere Themen sein. So bitter das klingt: Der Erste Weltkrieg, die „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts, die Hitler mit herbei führte, ist für junge Menschen unserer Tage so weit weg wie Kaiser Nero und der Brand von Rom.
Mit wie vielen BesucherInnen rechnen Sie?
Wir hoffen, dass wir mindestens 15 000 Besucherinnen und Besucher aus Stadt und Region dazu bewegen können, sich mit diesem ernsten Thema auseinander zu setzen. Ich bin da allerdings etwas skeptisch, vor allem was den Besuch von Schulen anlangt. Seit G 8 herrscht, ist der Schulalltag so verdichtet, dass Klassen den Bau kaum mehr verlassen, um „außerschulische Unterrichtsorte“ zu besuchen.
Wie hoch ist Ihr Budget für diese Ausstellung?
Um heute eine zeitgemäß inszenierte, anspruchsvoll ausgestattete, gut beworbene und von einem verständlich geschriebenen und gestalteten Buch begleitete Ausstellung realisieren können, muss man etwa 150.0000 Euro Sachkosten kalkulieren. Pro gedachten Besucher sind das also 10 Euro. Ein Museumseintritt kostet ohne Ermäßigung in Konstanz aus sozialen Gründen jedoch nur 3 Euro. Weitere Einnahmen bringen der Buchverkauf und Erlöse aus dem Shop und von Gruppenführungen und Angeboten des Rahmenprogramms. Den Sachkosten stehen so, wenn alles gut geht, Einnahmen in Höhe von rund 100 000 Euro gegenüber. Wie bei vielen Projekten des Rosgartenmuseums müssen wir also in erheblichem Umfang Spenden, Sponsoringmittel und Sachspenden einwerben, denn allein über die städtischen Haushaltsmittel (120 000 Euro für Ausstellungen) sind solche Projekte der historischen Erinnerungsarbeit nicht vollständig zu finanzieren.
Das Gespräch mit Tobias Engelsing führte Holger Reile
Der Krieg an der Grenze – Der Erste Weltkrieg am Bodensee, 18. 7. 2014 – 31.12. 2014. Es wird ein umfangreiches Begleitbuch erscheinen.
Ja, so geht Interview! Gute Fragen, prägnante Antworten.
Nach diesem Text fühle ich mich hervorragend informiert und freue mich jetzt schon auf die Ausstellung. Danke SeeMoz!