Kuno Schelmles Stoßseufzer: Kulturbanausen unter sich
Wenn ich schon kein Honorar bekomme, so die Macher dieser Seite (einer war vor Ort, wollte aber nichts darüber schreiben), dann sollte wenigstens ich bei der Kulturdebatte der OB-Kandidaten bis zum bitteren Schluss bleiben und ausführlich berichten. Okay – dann aber auf meine Art, denn diesen Abend konnte man getrost in die Tonne treten. Öder, langweiliger und sinnfreier kann eine Veranstaltung kaum sein.
Ich fasse die spritzigsten Aussagen der Möchtegern-OBs mal kurz in ihrer ganzen Tragweite zusammen. „Kultur ist Brot für Seele und Geist“ – „Wir brauchen ein Kunstmuseum“ – „Geld für Kultur ist gut angelegt“ – „Wir brauchen ein Konzerthaus“ – „Die kulturelle Vielfalt muss erhalten bleiben“ – „Kultur ist sozialer Kitt“ – „Eine Kunsthalle wäre gut“ – „Kultur hat eine soziale Funktion“ – „Eine Kunsthalle wäre auch nicht schlecht“ – „Ein Oberbürgermeister muss die Kunst lieben und fördern“ – „Kultur ist Lebensqualität“ – undsoweiterundsofort. Alles wirklich echte Brüller.
Wer nun was genau gesagt hat, bleibt der Fantasie der LeserInnen überlassen. Zwei Stunden Sprechblasen in schier endloser Aneinanderreihung. Erstaunlich dennoch, wie geduldig das zahlreich erschienene Publikum das alles ertragen hat; Schmerzensgeldforderungen wurden nicht erhoben. Und natürlich kam, was kommen musste. Fast alle KandidatInnen sind in der Lage, ein Buch zu lesen, musizierten in ihrer Jugend oder spielten Theater. Das freut uns, interessiert aber – darf ich ausnahmsweise etwas gröber werden? – wirklich keine Sau.
Schnurstracks am Thema vorbei
Die Veranstalter waren schlecht vorbereitet und hatten kein Konzept. Eine vernünftige Moderation war wohl nicht vorgesehen und so entschloss man sich, aus dieser Not eine vermeintliche Tugend zu machen. Also durften alle 13 KandidatInnen jeweils zehn Minuten darüber räsonieren, was sie unter Kultur verstehen. Ergebnis siehe oben. Eine quälend lange Laberrunde. Ständige Wiederholungen am laufenden Meter. Nur nicht negativ auffallen, dachten sich die OB-Bewerber, nur nicht von der Mainstream-Quasselstraße abbiegen, nur nicht Kante zeigen oder sogar eigene Ideen mit Substanz anbieten.
Dabei stehen im Rahmen einer Kulturdebatte viele wichtige Fragen an. Wie schaffen wir es, das Kulturangebot der Stadt Konstanz zu halten? Wie stehen die Träger der einzelnen Einrichtungen, sowohl der etablierten wie auch der freien Kultur, finanziell da? Unter welchen Bedingungen arbeiten sie überhaupt? Wo gibt es existentielle Probleme und wie wären diese zu beheben? Ist die bundesweite Debatte über das Buch „Kulturinfarkt“ tatsächlich weiträumig an Konstanz vorbei gezogen? Müssen die Subventionen überdacht und eventuell neu geordnet werden? Doch Fehlanzeige, damit wollte man sich nicht auseinander setzen, lieber ergötzte man sich an nichtssagenden Beliebigkeiten und versprach den Anwesenden das Blaue vom Himmel herunter.
Die Leiche zuckt noch
Die überzogenen Pläne für ein Konzert- und Kongresshaus sind gerade zwei Jahre unter der Erde, da wurden sie auch schon wieder ausgegraben in dieser schwül-warmen Gewitternacht. Der eine will unbedingt ein Konzerthaus, die andere ein Kunstmuseum, einige sogar beides. Über den Daumen gepeilt haben fast alle KandidatInnen während ihrer Redezeit 60 bis 80 Millionen Euro verbraten, ohne nur ein Wort darüber zu verlieren, wie das alles finanziert werden soll. Keine mahnende Stimme war zu hören, ob wir denn nicht ganz andere, drängendere Probleme haben. Es war schon immer leicht, das Geld anderer Leute auszugeben. Auf die Standortsuche müsse man sich machen, und zwar subito, forderte die Spezialistenschar auf dem Podium. Nun also der dritte Anlauf innerhalb von rund zehn Jahren, irgendwo einen innerstädtischen Kulturtempel hochzuziehen. Meine Fresse, dachte ich mir – haben denn diese Nasen das KKH-Fiasko völlig aus dem Gedächtnis verloren?
Durchweg realistisch äußerten sich nur Benno Buchczyk und Sabine Seeliger. Pirat Benno: „Die fetten Jahre sind vorbei, ein Konzerthaus wäre momentan nicht vermittelbar“. Seeliger würde als Oberbürgermeisterin „kein Geld in tote Infrastruktur“ investieren. Den ausgefranstesten Vogel bei diesem Wunschkonzert holte Kandidatin Sabine Reiser vom Baum. Sie plädierte dafür, Sponsoren und Mäzene zu suchen, die ihre Kohle nach Konstanz schaufeln, um ein Konzerthaus zu realisieren. Sie kenne auch einen finanzstarken Unternehmer, den sie kontaktieren möchte: „Ich wäre froh, liebe Konstanzerinnen und Konstanzer, wenn ich dieses Telefonat für Sie führen dürfte“. Da wurde es sehr still im Raum.
Frau Reiser wackelt mächtig, je länger der Wahlkampf dauert. Da helfen auch die ständig eingestreuten Grinsattacken nur bedingt über die Zeit. Liegt es daran, dass ihre PR-Beraterin Waltraud Kaesser zumindest für einen Abend das politische Lager gewechselt hat? Kurz nach der Kandidatenvorstellung im Konzil verteilte Kaesser Wahlkampf-Flyer für den SPD-Bewerber Sven Zylla. Wahrscheinlich hat sich die PR-Frau an eine Aussage erinnert, die sie schon mehrmals auf ihrem Blog seeonline ungefragt von sich gegeben hat: „Ich wähle rot-grün“. Wie sie das mit ihren aktuellen Bemühungen für Kandidatin Reiser in Einklang bringt, darf gerne ihr Geheimnis bleiben.
Feiern bis zum Abwinken
Euphorisch und losgelöst von den Realitäten äußerten sich alle Beteiligten über das bevorstehende Konziljubiläum. Luithle freut sich jetzt schon auf ein „Fest für Europa“, Grossmann sieht den Zauber als „Chance – da können wir Geld rausholen“, Zylla schloss sich freudig erregt an und Kaltenbach hätte es gerne „nachhaltig“. Burchardt sagte dazu gar nichts, überzeugte aber auch diesmal mit schickem Schuhwerk. Da kann ihm keiner das Wasser reichen. Von Seeliger weiß man längst, dass sie sich nicht einreihen wird in die Phalanx der Konzilhysteriker, die am liebsten fünf Jahre am Stück feiern würden. Auch dafür wird sich jemand finden, der tief in die Tasche greift. Oder etwa nicht? Wenn gar nichts vorangehen mag, darf Frau Reiser gerne nochmal telefonieren. Mit wem auch immer.
Gerade noch rechtzeitig vor dem Anpfiff des EM-Spiels Portugal gegen Tschechien fand die nicht stattgefundene Debatte ihr Ende. Morgen bittet der Südkurier zur Kandidatenbefragung ins Konzil. Wie zu hören ist, will das Ortsblatt mit einem neuen Format aufwarten. Die BewerberInnen sollen in Gruppen aufgeteilt werden. Als Moderatoren sind dem Vernehmen nach Chefredakteur Lutz und Lokalchef Rau vorgesehen. Das ging in ähnlicher Bestzung schon mal schief und kann nur noch besser werden. Zur Zeit wird im Verlag noch darüber diskutiert, ob man für die Veranstaltung einen rein symbolischen Eintrittspreis von 2,99 Euro erhebt.
Wenn wir schon dabei sind: Haben Sie heute schon auf Südkurier-online abgestimmt, wer beim Rennen um den Rathaussessel diese Woche am besten abgeschnitten hat? Zusammen mit meinem Mitbewohner war ich zwischen dem 1. und 18.Juni etwa 100 Mal mit von der Partie. Wie Sie die Bezahlschranke für diesen groben Unfug umgehen können, war erst kürzlich auf seemoz nachzulesen. Also klinken Sie sich ein, auf dass der Schwachsinn kein Ende nehme!
P.S.: Geschätzte Herren dieser Internetpublikation: Ich stelle mich gerne als Berichterstatter zur Verfügung. Sie sollten aber auch wissen, dass Belästigungen dieser Art – und dazu zählte die „Kulturdebatte“ – keineswegs vereinbart waren. Ich bitte Sie nachdrücklich, das fürderhin zu berücksichtigen. Ansonsten schreiben Sie sich Ihren Quark ab sofort selber.
Autor: Kuno Schelmle
Bissig und erhellend. Der Mann muss öfters schreiben!
Kompliment an Kuno!
Das war bestimmt erhellender und zugleich unterhaltsamer, als den Abend live ausgehalten zu haben.
In der Liga der dilettantischen Veranstaltungen mit Sicherheit ganz vorne dabei! Ich kam mir vor wie bei „KKH reloaded Teil XXXXX“.
Vielleicht so von den Einladenden nicht beabsichtigt, aber hier hat sich für mich weiter die Spreu vom Weizen getrennt. Da half auch moderiertes Mogeln nicht. Denn warum Uli Burchardt als Einziger nochmals einen Nachsatz liefern durfte, der dann doch in ein weiteres Statement ausuferte, mag allein er und seine Freunde der Kultur wissen. Das hatte ein arges „Gschmäckle“. Benno war klasse, und Dr. Sabine S. souverän und ehrlich, wie man das von ihr inzwischen schon gewohnt sein dürfte. Zylla hatte die wenig glaubwürdige Rhetorik eines Berufspolitiker, ähnlich auch Sabine Reiser, Luithle schwebte in anderer Sphäre, dafür war Kaltenbach schlicht unterirdisch. Die andern – wie waren doch gleich ihre Namen?
Ich glaub, Christoph Nix wusste, warum er gleich nach seiner Begrüßungsansprache das Weite suchte.